US-Raketenabwehr in Tschechien und Polen: Bewegung in den Positionen
Die Stationierung eines Teils des US-amerikanischen Raketenabwehrschirms in Mittelosteuropa dürfte in den nächsten Tagen beherrschendes Thema der tschechischen Außenpolitik sein. Außenminister Schwarzenberg weilt zu einem Besuch in den Vereinigten Staaten und wird am Freitag mit seiner amerikanischen Amtskollegin Condoleezza Rice über die Raketenpläne reden. Währenddessen nimmt bei den europäischen Nato-Mitgliedern das Verständnis für das Vorhaben der USA zu.
Wegen der US-Raketenabwehrpläne in Europa war der Nato-Rat am Donnerstag in Brüssel zu einer Sondersitzung zusammengetreten. Es ging um die Frage, ob die Stationierung eines Radarsystems in Tschechien und von Abwehrraketen in Polen durch die Amerikaner mit den Sicherheitsplänen der Nato zu vereinbaren ist. Und es ging um die Frage, ob die Raketenabwehrpläne das strategische Gleichgewicht beeinflussen. Das behauptet Russland und das waren bisher auch die Befürchtungen einiger Nato-Mitglieder wie beispielsweise Deutschland. Nach der Sitzung fasste der tschechische Botschafter bei der Nato, Tomas Pojar, das Ergebnis der Unterredung zusammen:
"Kritik wurde überhaupt nicht laut. Viele Länder finden es hingegen positiv, dass mit den amerikanischen Raketenabwehrplänen auch die gesamte Sicherheitsdebatte in der Nato etwas vorankommt und dass auch der europäische Raum vor Raketen unterschiedlicher Reichweite und unterschiedlichen Typs geschützt wird."
Beigetragen zu diesem Stimmungswandel unter einigen Nato-Mitgliedern hat laut Presseberichten eine Aufklärungskampagne, die die USA gestartet haben. Überzeugt werden soll aber auch Russland. Doch der Nato-Botschafter Russlands, Konstantin Totzky, wiederholte die bekannte Position des Kremls: Man sei gegen einseitige Entscheidungen von dieser Tragweite.
In Brüssel Bewegung, in Moskau nicht. Zugleich ist der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg auf Besuch in Washington, wo ebenfalls der Raketenabwehrschirm Thema ist. So sagte Schwarzenberg zu dem für Freitag avisierten Treffen mit US-Außenministerin Rice:
"Wir werden uns über die Reaktionen verschiedener europäischer Nato-Staaten unterhalten. Für mich ist eine wichtige Sache, dass die Raketenabwehr möglichst weitgehend in die Nato eingebunden werden kann."
Die Amerikaner sind wiederum weiter bemüht, Skeptiker zu überzeugen. Am Montag trifft sich deswegen der Leiter der US-Agentur für die Raketenabwehr, Henry Obering, in Prag mit Parlamentariern aus Senat und Abgeordnetenhaus. In den letzten Tagen waren zudem sechs tschechische Abgeordnete auf den Marshall-Inseln, wo bisher die Radaranlage steht, die später auf dem Militärgelände Brdy in Mittelböhmen aufgebaut werden soll. Der Sozialdemokrat Miroslav Svoboda sagte in einem Telefongespräch von der Südseeinsel, dass die Radaranlage die Umgebung kaum beeinflusse. Dabei war das bisher immer eine der Befürchtungen von Kritikern der Raketenabwehr gewesen, zu denen die tschechischen Sozialdemokraten gehören. Neben der Sitzung des Nato-Rats könnte also auch der Besuch auf den Marshallinseln Bewegung in bisher feste Positionen bringen. Verstärkt wird das noch durch eine Ankündigung von allergrößtem Gewicht: Am 5. Juni will US-Präsident George W. Bush selbst nach Prag zu Gesprächen reisen.