Usti nad Labem und seine deutsche Vergangenheit

Schön ist es nicht gerade - das nordböhmische Usti nad Labem - Aussig an der Elbe, und dennoch hat es eine gewisse Anziehungskraft und viele seiner Bewohner sind echte Lokalpatrioten. Davon können Sie sich im nun folgenden Regionaljournal überzeugen, in dem Sie Katrin Bock nun nach Usti - Aussig einlädt.

Die meisten Menschen, die mit dem Zug von Dresden kommend nach Prag fahren, beachten das nordböhmische Usti nad Labem -Aussig an der Elbe nicht weiter. Manch ein Reisender bemerkt auf dem linken Elbufer hinter der Stadt die imposante Burg Strekov- Schreckenstein, die Künstler wie Richard Wagner und Ludwig Richter inspirierte. Eine Sehenswürdigkeit der immerhin schon im 10. Jahrhundert gegründeten Stadt ist die gotische Maria Himmelfahrts-Kirche, die mit einem Rekord aufwarten kann: ihr Turm neigt sich seit den Bombenangriffen im April 1945 um ganze zwei Meter und ist seitdem einer der schiefsten Türme Europas. Jenen Bombenangriffen vor 60 Jahren verdankt das heutige Stadtzentrum auch zum Teil sein Aussehen. Damals war es fast völlig zerstört. Mit Krystina Kaiserova von der Universität in Usti stehe ich auf dem ehemaligen Marktplatz, der heute mit Sicherheit nicht zu den schönsten des Landes gehört:

"Für den Marktplatz gilt, nicht alles wurde ausgebombt, vieles wurde später heruntergerissen. Das ist leider einer der letzten Exzesse, da wollte die kommunistische Partei noch zeigen, das wurde gebaut 1986/7, dass wirklich die Macht noch fest in ihren Händen liegt und da entstand so ein Monstrum."

Aus all der recht hässlichen sozialistischen Architektur der Jahrzehnte zwischen 1948 und 1989 ragt auf dem ehemaligen Marktplatz eine der kuriosen Sehenswürdigkeiten der Stadt hervor - das angeblich weltweit zweitgrößte Mosaik. An der Fassade des Rathauses ließen es die Kommunisten anbringen. Krystina Kaiserova erläutert den Inhalt des monumentalen Werks:

"Und da sehen Sie, dass ist von den Premysliden weiter, die ganze Geschichte bis in die frohe Zukunft im Kommunismus."

Heute ist Usti nad Labem eine Industriestadt mit knapp 100.000 Einwohnern, einer Universität, an der unter anderem ein Fach namens germanisch-slawische Studien studiert werden kann, es gibt ein Stadtmuseum und ein Archiv. Dieses beherbergt eines der größten Tonarchive in Tschechien, über 24.000 Aufnahmen lagern hier. Der Schwerpunkt liegt dabei bei Aufnahmen mit sudetendeutschen Bezug - in fast ausgestorbenen Dialekten gesprochen, oder von sudetendeutschen Künstlern interpretiert. Sie hörten den aus dem Erzgebirge stammenden Sänger Anton Günter.

Alle drei Institutionen, Archiv, Universität und Museum arbeiten seit Jahren zusammen bei der Erforschung der Geschichte ihrer Stadt - und diese ist vor allem deutsch. Bis 1945 waren so gut wie alle der 50.000 Bewohner deutsch. Die meisten von ihnen, 30.000, wurden noch 1945 ausgesiedelt. Wie kommt es aber, dass man sich ausgerechnet in Usti so mit der deutschen Vergangenheit beschäftigt?

"Wir bemühen uns seit 1989 und das kommt auch dadurch, dass wir ein sehr gutes Team hier haben - Universität, Archiv, Museum - leider ist es in sehr vielen Städten so, dass alle sich streiten, aber uns ist es gelungen, dass wir uns seit Jahren gut kennen und auch gut zusammenarbeiten und wir haben auch aus verschiedensten Gründen hoffentlich keine Vorurteile. Und wenn wir dann die Kräfte zusammengeben, dann gelingt etwas ab und zu und ab und zu nicht, aber wir bemühen uns jedenfalls."

Zu den erwähnten Einrichtungen soll bald eine neue hinzukommen, das Collegium Bohemicum. Hinter diesem Namen verbirgt sich ein geplantes Museum der Geschichte und Kultur der Deutschen in den Böhmischen Ländern. Ist es Zufall, dass dieses gerade in Usti entstehen soll, fragte ich Vaclav Houfek vom Stadtmuseum:

"Es ist bestimmt kein Zufall. In Usti nad Labem existiert bereits eine mehr als 15jährige Tradition der historischen Erforschung der Geschichte der Deutschen in den Böhmischen Ländern. Nicht nur das Stadtmuseum arbeitet an solchen Themen, sondern auch das Archiv und die historische Fakultät der Universität in Usti. Das heißt also, dass wir etwas haben, woran wir anknüpfen können. Es gibt auch eine recht lange Tradition historischer Konferenzen, wissenschaftlicher Projekte, Ausstellungen zu diesem Thema, so dass es eigentlich logisch ist, all diese Aktivitäten zu vereinigen und eine zentrale Institution zu schaffen."

Das geplante Projekt des Collegiums Bohemicum stößt bisher sowohl auf tschechischer wie auch auf deutscher Seite auf positive Reaktionen, dazu Vaclav Houfek:

"Von tschechischer Seite ist es meiner Meinung nach wichtig, dass die meisten politischen Institutionen anerkennen, dass es sich um ein tschechisches Projekt handelt, das die tschechische Seite des Themas beleuchten soll. Auch die politischen Parteien haben bisher keinerlei Einwände gegen das Projekt hervorgebracht, im Gegenteil. Von Seiten der deutschen politischen Repräsentation gab es bisher keine Einwände, sondern Unterstützung und eine gewisse Würdigung des Projekts. Sudetendeutsche Vereinigungen nehmen eine eher abwartende Haltung ein, was die tschechische Seite da wohl vorbereitet."

Wie aber sieht es mit der Bevölkerung von Usti aus? Wurde ihr Interesse an der Vergangenheit der Stadt geweckt? Dazu noch einmal Krystina Kaiserova von der hiesigen Universität:

"Ich glaube, dass uns das gelungen ist, und das sage ich deshalb, weil, als wir Memoiren herausgegeben haben, von ehemaligen Deutschen oder die Geschichte, die wirklich nicht tschechisch oder deutsch ist, einfach eine Geschichte der Stadt ist - wurden alle diese Sachen ausverkauft. Die Leute fragen nach, wollen das und haben eigentlich die ganze Geschichte angenommen. Vielleicht hat sich etwas wiederholt, wie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dass die neuen Eliten kamen und sich identifiziert haben mit der Stadt."

Martin Vesely gehört der jüngsten Historikergeneration an. Studiert hat er in Usti, kein Wunder also, dass er sich für die tschechisch-deutsche Vergangenheit interessiert.

"Am Anfang hatte ich allgemein Interesse an der Geschichte, dann immer mehr an der tschechisch-deutschen Geschichte und der Geschichte des 20. Jahrhunderts, die sehr konfliktreich war und uns bis heute beeinflusst. Bestimmt spielte auch eine Rolle, dass ich aus Nordböhmen komme, das von dieser Geschichte, ich möchte sagen, sehr heimgesucht wurde."

Mich interessierte, wie es mit dem heutigen Schulunterricht aussieht. Erfahren die Schüler etwas von der deutschen Vergangenheit ihrer Stadt?

"Ich komme aus Usti-Aussig - soweit ich mich an meine Schultage erinnere, wurde dem Thema keine Aufmerksamkeit gewidmet. Man wusste, dass hier früher Deutsche gewohnt haben, aber damit hörte es auch schon wieder auf. Heute wird es unterrichtet, aber es ist problematisch- es hängt von den Lehrern ab und die haben leider oft Angst vor solchen problematischen Themen."

Aber, wie Martin Vesely betont, ändert sich langsam aber sicher die Einstellung:

"In meiner Generation und in der, die jetzt gerade studiert, haben wir keine Angst vor solchen Themen - wir haben keine Angst darüber zu diskutieren, es ist nötig darüber zu sprechen - sowohl unter Tschechen als auch zwischen Tschechen und Deutschen - ohne Dialog geht es nicht weiter."

Auch die Stadtherren sind sich der deutschen Vergangenheit der Stadt bewusst, so existiert am Rathaus bereits eine Gedenktafel für den letzten deutschen sozialdemokratischen Bürgermeister der Stadt vor 1938, Leopold Pölzl. Mit Krystina Kaiserova stehe ich vor dieser Gedenktafel:

"Er hat große Verdienste für diese Stadt, nicht nur in der Sozialpolitik, aber allgemein ausgewogene Politik der Stadt, Leopold Pölzl kam dann 1944 ums Leben, man weiß bis heute nicht genau wie und man muss auch wieder zum Guten der Bevölkerung sagen, dass sein Begräbnis eine stille Manifestation gegen die dann Naziherrschaft wurde."

Die Gedenktafel für den deutschen sozialdemokratischen Bürgermeister hat ihre eigene Geschichte:

"Am Anfang engagierten sich die hiesigen Sozialdemokraten. Aber solange nur bis sie Bedenken bekamen, sie könnten vielleicht die Kommunalwahlen verlieren, so eine deutsche Tafel, und da haben sie es gelassen. Es war damals eine große Schande. Und zuletzt hat es dann die Stadt gemacht. Und ich finde es viel besser, denn ehrlich gesagt, die Parteien, die vergehen, aber die Stadt bleibt hoffentlich."

Ende Juli soll eine weitere deutsche Gedenktafel in Usti-Aussig eingeweiht werden - diesmal auf der Elbbrücke, auf der am 31. Juli 1945 ein Massaker an der deutschen Zivilbevölkerung stattfand, bei dem schätzungweise 40 bis100 Menschen starben.