Ausstellung: Zu Besuch bei „Unseren Deutschen“ in Ústí nad Labem

Ausstellung Unsere Deutschen

Das städtische Museum von Ústí nad Labem / Aussig beherbergt die Dauerausstellung „Unsere Deutschen“ („Naši Němci“). In dieser geht es um die teils kontroverse tschechisch-deutsche Geschichte. Es ist die erste solche Schau hierzulande überhaupt.

Ausstellung Unsere Deutschen | Foto: Jiří Preclík,  Collegium Bohemicum

Im Zentrum von Ústí nad Labem befindet sich das Museum der nordböhmischen Industriestadt. Genau dort ist eine Ausstellung zu sehen, die sich – wie es heißt – mit „Unsere Deutschen“ („Naši Němci“) beschäftigt. Das ist aus tschechischer Sicht die deutschsprachige Bevölkerung der Böhmischen Länder. Auf zwei Etagen wird die gesamte historische Entwicklung abgedeckt. Tomáš Okurka ist Kurator der Ausstellung und stellvertretender Direktor des Trägervereins Collegium Bohemicum:

„Die Ausstellung ‚Unsere Deutschen‘ befasst sich mit einem langen Zeitraum vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert. Sie ist so aufgebaut, dass in der unteren Etage vorwiegend die ältere Geschichte gezeigt wird, also das Mittelalter und die frühe Neuzeit. Die Revolution von 1848 spielt eine wichtige Rolle in der Konzeption der Ausstellung, weil es währenddessen zur Trennung der Gesellschaft in den böhmischen Ländern gekommen ist. So sind zwei moderne Nationen entstanden, Tschechen und Deutsche.“

Als Erstes sehen die Besucher einen einführenden Film von Robert Sedláček. Danach folgt ein Raum, der sich mit der Landschaft und den Gebieten befasst, in denen die deutschsprachige Bevölkerung lebte. Nach einem Ausflug in die Revolution von 1848 in einem weiteren Raum kann der Besucher entscheiden, ob er in der Zeit weiter zurückschreitet bis zum frühen Mittelalter oder ob er in die zweite Etage geht und sich mit der politischen Entwicklung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigt.

Ausstellung Unsere Deutschen | Foto: Jiří Preclík,  Collegium Bohemicum

Im oberen Stockwerk werden bestimmte Themen vertieft wie etwa die Industrie in den Sudetengebieten oder die regionale Kultur. Unter anderem kann man sich in eine Kneipe in Elbogen / Loket setzen, ein Hotelzimmer in Reichenberg / Liberec begutachten oder die Atmosphäre eines Prager Cafés aus der Zwischenkriegszeit aufsaugen.

Eine kulturelle Eigenschaft ist auch die Sprache.

Es ist die Mundart des Egerlands. Das ist die Gegend im Westen Tschechiens, an der Grenze zu Deutschland. Historisch wurde sie ebenso von der deutschen Kultur geprägt. Aber auch noch weitere Mundarten kann man sich im Museum anhören.

Mühselige Annäherung an die deutsch-tschechische Geschichte

Bis sich die Pforten der Ausstellung über die deutschsprachige Bevölkerung der Böhmischen Länder jedoch überhaupt öffnen konnten, hat es lange gebraucht. Tomáš Okurka:

Ausstellung Unsere Deutschen | Foto: Jiří Preclík,  Collegium Bohemicum

„Im Prinzip kann man sagen, dass die Historiker in Tschechien vor allem nach der Samtenen Revolution von 1989 angefangen haben, sich mit dem Thema der Geschichte der Deutschen in den böhmischen Ländern systematisch zu beschäftigen – zumindest auf der offiziellen Ebene. Vor der Revolution war das Thema der Geschichte der Deutschen in den böhmischen Ländern durch die kommunistische Zeit geprägt, oder es gab damals keine Möglichkeit, objektiv über diese Entwicklung zu schreiben.“

Während des Kommunismus galt eine Beschäftigung mit dem Thema als politisch unerwünscht – auch weil der tschechoslowakische Staat nach Hitlers Besatzung und den Verbrechen der Nazis die Vertreibung der Deutschen als Staatsräson betrachtete.

Ausstellung Unsere Deutschen | Foto: Jiří Preclík,  Collegium Bohemicum

Erst Ende der 1990er Jahre kam es dann zur Idee, ein Museum in Ústí nad Labem entstehen zu lassen, das sich mit der Geschichte der Deutschen in den Böhmischen Ländern beschäftigt. 2021 war es dann endlich soweit, dass die Dauerausstellung eröffnet wurde. Um dieses Großprojekt überhaupt realisieren zu können, war 2006 der gemeinnützige Verein Collegium Bohemicum entstanden. Er ist eine wissenschaftliche, pädagogische und kulturelle Einrichtung, deren Schwerpunkt auf dem Wissen über die Geschichte der Deutschen in den böhmischen Ländern, auf der Geschichte der tschechisch-deutschen und tschechisch-österreichischen Beziehungen sowie auf der Kultur des deutschsprachigen Raums liegt.

Auch in der breiten Bevölkerung hat sich etwas im Laufe der Zeit getan. Tomáš Okurka:

Tomáš Okurka | Foto: Collegium Bohemicum

„In der tschechischen Gesellschaft ist es in den letzten Jahrzehnten zu einer Entwicklung gekommen, in der dieses Thema nicht mehr so kontrovers wahrgenommen wird. Was aber noch vor einigen Jahrzehnten als Tabuthema oder sehr kontroverses Thema wahrgenommen wurde, ist die Vertreibung und Aussiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei. Heute wird viel offener darüber gesprochen. Erkennen kann man es daran, dass in den Massenmedien, den Zeitschriften, im Fernsehen und auch im Rundfunk oft darüber diskutiert wird – und das auch ziemlich kritisch.“

Die Vertreibung ist dabei auch die Schnittstelle für die Dauerausstellung.

„Die Ausstellung beschäftigt sich vorwiegend mit der Zeit bis zur Vertreibung und Aussiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei. Die Zeit danach wird bei uns nur als ein Thema dargestellt, das im Konzept der Ausstellung keine Schlüsselrolle spielt.“

Ausstellung Unsere Deutschen | Foto: Jiří Preclík,  Collegium Bohemicum

In der Zukunft sei jedoch geplant, das Leben der Sudetendeutschen in der Nachkriegszeit in einer eigenen temporären Ausstellung zu zeigen, so Okurka.

Als die Ausstellung eröffnet wurde, störte sich ein anwesender Journalist sehr daran, dass Franz Kafka auf Plakaten und Flyern der Ausstellung zu sehen ist. Er behauptete Kafka, sei Jude und nicht Deutscher. Petr Koura, der Direktor des Collegiums Bohemicum, erzählt, dass diese Provokation beabsichtigt sei:

Petr Koura | Foto:  Stiftungsfond Neuron

„Natürlich, wir wollten ein bisschen provozieren. Auf einem Plakat zu unserer Ausstellung ist ein Portrait von Tomáš Garrigue Masaryk, dem ersten tschechoslowakische Präsidenten. Und dieses Plakat hat auch Kritik hervorgerufen. Aus mehreren Gründen haben wir den ersten tschechoslowakischen Präsidenten mit in unsere Plakate zu der Ausstellung aufgenommen. So war der Autor dieses Portraits, Emil Orlik, ein deutschsprachiger jüdischer Maler. Er wurde in Prag geboren. Und der zweite Grund war, dass die Mutter von Tomáš Garrigue Masaryk deutsch war. Sie kam aus Südmähren und sprach nur wenig Tschechisch. Das ist nicht so bekannt. Wir wollten damit auch zeigen, dass unsere Ausstellung einen breiteren Fokus hat. Es ist nicht die Ausstellung zu den Sudetendeutschen, sondern zu der deutschsprachigen Bevölkerung der Böhmischen Länder.“

Als Historiker müsse er zwischen den beiden Begriffen unterscheiden: den Sudetendeutschen auf der einen und der deutschsprachigen Bevölkerung der Böhmischen Länder auf der anderen. Denn zu Letzterem könne man natürlich auch deutschsprachige Juden zählen, so Koura. Und der Historiker ergänzt zu Kafka, dass man nicht wissen könne, wie er sich selbst bezeichnen würde.

Comiczeichner „Jaz“ mit neuer Kunst für die Ausstellung

Aber noch eine weitere Sache fällt in der Ausstellung auf: Die Wände in den Fluren sind mit Zeichnungen und Parolen geschmückt.

Ausstellung Unsere Deutschen | Foto: Jiří Preclík,  Collegium Bohemicum

„Der Grund dafür ist, dass das Gebäude ursprünglich eine Schule war und kein Museum. Wir arbeiten mit diesem Konzept der Schule in unserer Ausstellung. In Schulen kann man ab und zu einige Schriften und Parolen sehen, mit der die Lehrer nicht zufrieden sind.“

Als man nach einem Künstler für die Bemalung der Wand gesucht habe, sei ihm eingefallen, dass es einen tschechischen Comiczeichner mit dem Pseudonym „Jaz“ gebe, erzählt Koura.

Der richtige Name von „Jaz“ ist unbekannt. Er ist sehr beliebt bei jungen Menschen – vor allem auf Social Media, wo einige Posts zwischen 300.000 und 400.000 Mal gelikt wurden. Jaz beschäftigt sich gerne mit der tschechischen Geschichte. Der Direktor des Collegium Bohemicum sagt, er habe den Künstler daher gefragt, ob er sich vorstellen könne, eine Comicreihe zu den tschechisch-deutschen Beziehungen zu machen. Erfreulicherweise habe er zugestimmt.

„Hier hat sich das architektonische Konzept zusammen mit den Zeichnungen von Jaz, meiner Meinung nach, genial verbunden. Man sieht diese Zeichnungen, und über den Zeichnungen befinden sich die Parolen und Schriften, die provokativ sind. Damit blicken wir auch mit ein bisschen Humor auf die deutsch-tschechischen Beziehungen.“

Ausstellung Unsere Deutschen | Foto: Jiří Preclík,  Collegium Bohemicum

Denn ansonsten werden in der Ausstellung viele auch sehr ernste Themen behandelt. Mit Jaz´ Kunst wolle man vor allem die jüngere Generation ansprechen, so Direktor Koura.

Seit anderthalb Jahren besteht bereits die Ausstellung „Unsere Deutschen“. Wie ist das Interesse der Öffentlichkeit? Kurator Okurka:

„Wir sind eigentlich mit den Besucherzahlen zufrieden. Es kommen viele Gäste zu uns, vor allem Gruppen, insbesondere Schulklassen. Während des ersten Jahres hatten wir ungefähr 100 Gruppen bei uns, für die wir Führungen gemacht haben.“

Führungen auf Deutsch sollte man allerdings anmelden. Die Ausstellung ist aber ohnehin zweisprachig, und man kann sie also auch ohne Erläuterungen problemlos verstehen.

Die Ausstellung „Unsere Deutschen“ ist im städtischen Museum von Ústí nad Labem zu sehen. Die Öffnungszeiten sind dienstags bis sonntags von 9 Uhr bis 18 Uhr.

https://www.muzeumusti.cz/vystavy/nasi-nemci/

https://www.collegiumbohemicum.cz/

Autor: Jörg Pranger
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