Architektur der Deutschböhmen: Ausstellung im Museum in Ústí nad Labem (II)
Von Deutschböhmen entworfene oder in Auftrag gegebene Bauten sind das Thema einer Ausstellung, die derzeit im Stadtmuseum des nordböhmischen Ústí nad Labem / Aussig zu sehen ist. In der Sendereihe „Reiseland Tschechien“ haben wir Sie bereits vergangenes Mal durch die Schau geführt. Wie versprochen, geht die Führung aber auch diesmal weiter.
„Wir möchten die Verflechtung zwischen der deutschen und tschechischen Architektur dokumentieren. Zudem wollen wir zeigen, dass die gegenseitigen Beziehungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bedeutend enger waren, als man sich heute vorstellt. Aus dem Grund sind hier solche Bauten zu sehen wie Rathäuser, Turnhallen oder lutherische Kirchen in den Städten mit ehemals deutschsprachiger Bevölkerung. Man würde erwarten, dass diese Architektur das ,echt Deutsche‘ und den deutschen Charakter der Städte repräsentieren würde. Man findet jedoch sehr viele Ähnlichkeiten und Verbindungen mit der tschechischen Architektur. Es handelte sich nämlich um denselben Kulturraum. Und die Architektur der Deutschböhmen war der Architektur der Tschechen viel ähnlicher als der Architektur der aus Deutschland stammenden Deutschen, also der Reichsdeutschen.“
Benischeks Rudolfinum
Im 19. Jahrhundert sollten die Rathäuser die Städte sowie die nationale Identität der Bewohner repräsentieren, sagt die Kunsthistorikerin.„Trotzdem findet man noch in den 1880er Jahren Beispiele von Rathäusern – unter anderem in Česká Lípa oder in Stříbro, deren Architektur an die Rathäuser in den tschechischen Städten erinnert. Der deutsche Neorenaissancestil war dem tschechischen Neorenaissancestil sehr ähnlich.“
In der Ausstellung sind zahlreiche Entwürfe zu sehen, die von den bedeutendsten architektonischen Wettbewerben der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammen. Es handele sich um die Entwürfe für bekannte Gebäude wie das Nationalmuseum oder das Künstlerhaus Rudolfinum in Prag, so die Kunsthistorikerin:
„Es ist kaum bekannt, dass der Siegerentwurf für das Rudolfinum vom Prager Deutschen Josef Benischek stammte. Aber die Leitung der Sparkasse, die über das Projekt entschied, beauftragte die Architekten des Nationaltheaters, Josef Zítek und Josef Schulz, mit dem Bau.“
Bernhard Grueber
Eines der Ziele der Ausstellung ist es, der Öffentlichkeit einige der hierzulande bereits vergessenen Architekten vorzustellen, erklärt Věra Vostřelová.„Einer der ersten namhaften deutschen Architekten war Bernhard Grueber. Er war Professor an der Prager Kunstakademie. Grueber studierte aber in München. 1844 wurde er von der Polytechnischen Schule in Regensburg nach Prag berufen. Noch vor seiner Ankunft in der Hauptstadt Böhmens ist er auch im Ausland, darunter in England, durch seine Bücher über mittelalterliche Architektur bekannt geworden. Sie enthielten große graphische Darstellungen, die Grueber anhand seiner Zeichnungen zusammenstellte. In der Ausstellung sind viele seiner Pläne und Entwürfe zu sehen. Er war mit der Umgestaltung der Schlösser Sychrov und Hrubá Skála beauftragt worden.“
Viele der Entwürfe und Zeichnungen stammen aus den Sammlungen des Prager Nationalmuseums für Technik und wurden für die Ausstellung ausgeliehen.
„Zu den schönsten Exponaten gehören die Pläne von den Kunstschul-Professoren Bernhard Grueber und Zdenko Schubert von Soldern. Sehr beachtenswert ist Schuberts Wettbewerbs-Entwurf für das Gebäude des finnischen Parlaments. Wir wissen nichts Genaueres über den Entwurf, aber es handelt sich um einen sehr schönen, kolorierten Plan.“
Wiener Architekten
Prestigeträchtige Aufträge für monumentale Gebäude in den nordböhmischen und westböhmischen Städten bekamen oft nicht die lokalen deutschsprachigen Architekten, sondern eher Architekten aus Wien. Dies habe einige Gründe gehabt, meint die Kunsthistorikerin:„Sie hatten mehr Erfahrung, haben ihre Projekte in vereinbarter Frist vollendet, das Budget nicht überschritten und sie hatten vor allem einen guten Ruf. Die schönsten Gebäude entstanden in den westböhmischen Kurorten und in den nordböhmischen Städten Liberec und Ústí nad Labem. Wir zeigen hier beispielsweise den Entwurf für das Stadttheater in Karlovy Vary, das die Wiener Architekten Ferdinand Fellner und Hermann Helmer erbaut haben. Das Theater wurde im Neobarockstil gestaltet und entsprach den damaligen Vorstellungen von einem Luxusgebäude.“
Gezeigt werden zudem viele Entwürfe von den Wiener Architekten Hans Miksch und Julian Niedzielski. Miksch stammte aus Liberec, aber hatte 1881 mit Niedzielski ein Planungsbüro in Wien gegründet. Sie bauten beispielsweise die Kolonnade in Mariánské Lázně / Marienbad und gewannen den Wettbewerb für den Bau des Stadttheaters in Liberec. Letzteres wurde jedoch nie realisiert.
Die Ausstellung mit dem Titel „Ein fremdes Haus? Architektur der Deutschböhmen 1848-1891“ ist im Stadtmuseum in Aussig bis 16. April zu sehen. Das Museum ist täglich außer dienstags von 9 bis 17 Uhr geöffnet.
Věra Vostřelová betont, sie sei nicht die erste, die sich mit der Architektur der Deutschböhmen beschäftige:
„Anfang der 1990er Jahre stellte Hana Rousová eine Ausstellung mit dem Titel ,Lücken in der Geschichte‘ zusammen. Der Architektur wurde dabei zwar nur wenig Raum gewährt, es war aber der allererste Impuls. Mit der deutschen Architektur vor allem in Prag beschäftigte sich auch Jindřich Vybíral. Er ist Professor an der Kunstgewerbehochschule in Prag. Er hat einen Bildband über die deutsche Architektur in Mähren herausgegeben mit dem Titel ‚Ein anderes Haus‘. Die jetzige Ausstellung knüpft daran an und füllt eine Lücke in der Geschichte der Architektur in Böhmen.“