Vegane Schnitzel und das Patriarchat: Brünner Theaterkollektiv bringt Kafkas Vaterkonflikt ins Heute

Inszenierung „Franz Kafka žije! – Žranice“

In Brno / Brünn ist derzeit eine ungewöhnliche Kafka-Inszenierung zu sehen. Sie beruht unter anderem auf Kafkas „Brief an den Vater“. Thema des Abends sind Generationenkonflikte, die am Esstisch ausgetragen werden. Erarbeitet wurde die Inszenierung vom Kollektiv Divadlo 3+KK.

Die „Verwandlung“ in Prag, „Amerika“ in Plzeň / Pilsen, der „Process“ in Ostrava / Ostrau – Kafka gehört ins Theater, wie viele Inszenierungen der letzten Jahre in Tschechien zeigen. Im Kafka-Jahr, in dem an den 100. Todestag des weltberühmten Schriftstellers erinnert wird, gilt dies natürlich noch einmal mehr. Und so wird derzeit etwa in Brünn eine neue Theatervorführung gezeigt, die sich mit Briefen und Texten des Autors befasst. Hinter der Inszenierung steht das Kollektiv Divadlo 3+KK. Libor Brzobohatý ist eines der Gründungsmitglieder:

„Wir haben uns 2020 als unabhängiges Theaterkollektiv gegründet. Derzeit sitzen wir in Brünn, am Anfang waren wir aber eher ein Wandertheater. Wir hatten zu der Zeit alle gerade frisch unseren Abschluss an der Brünner Theaterakademie JAMU in der Tasche oder standen kurz davor. Deshalb haben wir nach Wegen gesucht, wie wir am Anfang unserer Laufbahn relativ frei Theater machen können – ohne all die Hindernisse, von denen es zu Beginn einer Karriere natürlich so einige gibt.“

Adam Steinbauer und Libor Brzobohatý | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

In der neuesten Inszenierung des Divadlo 3+KK geht es also um Kafka. Ausgangspunkt sei der „Brief an den Vater“ gewesen, sagt Adam Steinbauer im Interview für Radio Prag International. Er zeichnet als Regisseur für den Theaterabend verantwortlich…

„Es werden dort viele Situationen am Esstisch beschrieben, und das teils auch brutal. So offenbart sich, dass die Familie ganz anders ist, als sie nach außen vorgibt zu sein. Zudem beschreibt Kafka eine gewisse Form von Chauvinismus, die sich in der Form des Vaters zeigt – dieses männlichen, intensiven, lauten Typs.“

Eine der Essensbeschreibungen findet sich relativ zu Beginn des Briefs an den Vater:

„Knochen durfte man nicht zerreißen, Du ja. Essig durfte man nicht schlürfen, Du ja. Die Hauptsache war, daß man das Brot gerade schnitt; daß Du das aber mit einem von Sauce triefenden Messer tatest, war gleichgültig. Man mußte achtgeben, daß keine Speisereste auf den Boden fielen, unter Dir lag schließlich am meisten. Bei Tisch durfte man sich nur mit Essen beschäftigen, Du aber putztest und schnittest Dir die Nägel, spitztest Bleistifte, reinigtest mit dem Zahnstocher die Ohren.“

Inszenierung „Franz Kafka žije! – Žranice“ | Foto: Terezie Fojtová,  Theater 3+KK

Vaterkonflikt als zentrales Thema

Den „Brief an den Vater“ schrieb Kafka 1919. Was der Text heute bedeute, sei eine der zentralen Fragen gewesen, mit denen sich das Team beschäftigt habe, meint Steinbauer:

Inszenierung „Franz Kafka žije! – Žranice“ | Foto: Terezie Fojtová,  Theater 3+KK

„Wir haben nach Verbindungen zur heutigen Zeit und zu uns persönlich gesucht. In der Inszenierung werden Texte von Kafka verwendet, etwa aus den Tagebüchern oder aus seinen Erzählungen – und das mitunter auch nonverbal. So haben wir etwa eine Boxszene direkt aus einer Erzählung übernommen.“

Hinzu kämen allerdings Esstischgespräche, die die Mitglieder des Inszenierungsteams selbst in ihren Familien erlebt oder anderweitig aufgeschnappt haben.

„Der Text des Stücks ist also durchaus autobiographisch, wir haben alle daran mitgewirkt. Aber das Ganze wird überspitzt dargestellt, und die Geschichten werden teils in andere Kontexte gesetzt. Wir wollten kein Dokumentartheater über unsere Familiengeschichten machen. Stattdessen haben wir nach Analogien zu Kafka gesucht“, so Steinbauer.

Libor Brzobohatý, der Dramaturg des Projekts, sagt allerdings auch: „Einige im Team sind bei manchen Szenen schon ein wenig nervös gewesen, ob die Verwandten, die im Publikum sitzen, sich nicht doch wiedererkennen.“

Inszenierung „Franz Kafka žije! – Žranice“ | Foto: Terezie Fojtová,  Theater 3+KK

Publikum und Schauspieler nehmen am Esstisch Platz

Die Kafka-Inszenierung des Divadlo 3+KK spielt sich – wie sollte es anders sein – rund um einen großen Esstisch ab, wie Steinbauer schildert. An dem nimmt auch das Publikum Platz…

Inszenierung „Franz Kafka žije! – Žranice“ | Foto: Terezie Fojtová,  Theater 3+KK

„Die Zuschauer sitzen gemeinsam mit den Schauspielern an einer großen Tafel und essen Schnitzel. Wir dachten uns, dass das eine Szene ist, die wir alle kennen: Es riecht nach Bratpfanne, nur das Besteck klirrt, die Stimmung ist angespannt.“

Die Schnitzel sind dabei nicht irgendwelche. Denn das Essen für die Inszenierung wird von einem veganen Brünner Restaurant angeliefert.

„Das ist passend, denn Kafka war ja auch den Großteil seines Lebens Vegetarier“, meint Brzobohatý.

Schlechte Bedingungen für Künstler werden angemahnt

Dass das Essen im Stück vom Divadlo 3+KK eine große Rolle spielt, zeigt sich auch im Titel. Denn der lautet: „Franz Kafka žije! – Žranice“ – also auf Deutsch: „Franz Kafka lebt! – Fressgelage“. Die Thematik der Nahrungsaufnahme kommt dabei nicht von ungefähr, denn sie knüpft an Kafkas Erzählung „Ein Hungerkünstler“ an. Eine Installation, die Steinbauers Frau Andrea beigesteuert hat und die bei der Premiere gezeigt wurde, steht dann auch unter genau diesem Titel. Aber was hat es mit dieser Geschichte von Kafka auf sich?

Inszenierung „Franz Kafka žije! – Žranice“ | Foto: Terezie Fojtová,  Theater 3+KK

„In seiner Erzählung ‚Ein Hungerkünstler‘ beschreibt Kafka einen Künstler, der freiwillig hungert. Die Pointe liegt darin, dass es schlichtweg kein Essen gibt, das ihm schmeckt. Das Ganze ist sehr paradox. Aber im Grunde hungern wir auch ein wenig freiwillig – und es gibt keinen Ausweg“, erläutert Adam Steinbauer.

Denn die Bedingungen für Menschen in der Kulturbranche in Tschechien seien seit Langem nicht sonderlich gut, meint der Regisseur und spricht dabei aus eigener Erfahrung, wie er betont:

„Mit Theaterregie eine Familie zu ernähren ist ein Sudoku ohne Lösung. Mich hat das wirklich beschäftigt, und ich wollte das einfach nicht verschweigen – gerade eben, weil Kafka das in seiner Erzählung anspricht.“

Inszenierung „Franz Kafka žije! – Žranice“ | Foto: Terezie Fojtová,  Theater 3+KK

Premiere im „Franz Kafka Špitál

Dass das Stück vom Divadlo 3+KK nun im Kafka-Jahr aufgeführt wird, sei eigentlich gar nicht gewollt gewesen, sagt Adam Steinbauer. Die ersten Vorführungen habe man bewusst bereits im Dezember veranstaltet – um dem großen Hype zu entkommen, meint der Regisseur. Für die Aufführung wurde dabei ein ganz besonderer Ort gewählt:

Káznice | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

„Es handelt sich um einen Jugendstilbau, aus dem die Kommunisten ein trostloses Krankenhaus gemacht haben. Das an sich hat ja schon seinen Charme. Hinzu kommt, dass sich dort eine Zweigstelle der Versicherung befand, für die Franz Kafka in Prag gearbeitet hat.“

Heute heißt dieser Ort Franz Kafka Špitál und dient als Touristenunterkunft – und mitunter als Theaterbühne. Die kommenden Vorstellungen würden allerdings nicht mehr in dem Gebäude stattfinden, sagt Steinbauer:

„Die Inszenierung wird demnächst im Brünner Zuchthaus gezeigt. Dort hat das Divadlo 3+KK neuerdings seinen Sitz und möchte dort ansässig sein.“

Das Zuchthaus, oder tschechisch „Káznice“, ist ein Gefängnis, das im 18. Jahrhundert eingerichtet wurde. Als Strafanstalt und Hinrichtungsstätte wurde der Ort schließlich auch von den Nazis und später den Kommunisten genutzt. Seit einigen Jahren nun schon dient der Ort aber als Veranstaltungsraum für kulturelle Aktionen – und soll so auch bald für das Divadlo 3+KK zur Heimstätte werden.

Das „Wandertheater“ steckt dem Kollektiv aber doch noch immer in den Genen, und so hoffen Libor Brzobohatý und Adam Steinbauer, ihren Kafka bald schon auch auf Gastspielen zeigen zu können. Erste Gespräche in diese Richtung gebe es bereits.

Inszenierung „Franz Kafka žije! – Žranice“ | Foto: Terezie Fojtová,  Theater 3+KK

Die nächste Vorstellung von „Franz Kafka žije! – Žranice“ findet am 21. März im Brünner Kulturzentrum Káznice statt. Weitere Veranstaltungen sind für April geplant.

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