Věra Čáslavská: Harte Schicksalschläge durchzogen Leben der einstigen Turn-Ikone

Фото: Чешское телевидение

Auch nach den Spielen in London bleibt Turnerin Věra Čáslavská die erfolgreichste tschechische Olympionikin aller Zeiten. Bei den Spielen in Mexiko vor 44 Jahren schaffte sie das Kunststück, als vierfache Olympiasiegerin gefeiert zu werden. Nur wenige Wochen zuvor hatten die Truppen des Warschauer Paktes die Tschechoslowakei besetzt und die Reformbewegung des Prager Frühlings niedergeschlagen. Das traurige Ereignis vom 21. August 1968 hat damals und auch später tiefe Spuren im Leben der einstigen Ausnahmeathletin hinterlassen. Darüber hat die populäre Rentnerin, die im Mai 70 wurde, vor kurzem erstmals ausführlich im Rundfunk gesprochen.

Im Jahr 1968 stand Věra Čáslavská auf dem Höhepunkt ihrer sportlichen Karriere. Die damals 26-jährige Pragerin reiste als dreifache Olympiasiegerin von Tokio in die mexikanische Hauptstadt. In Mexiko City aber setzte sie ihrer Bilderbuchkarriere endgültig die Krone auf: Mit viermal Gold und zweimal Silber war sie die erfolgreichste Sportlerin der Spiele. Es hatte jedoch nicht viel gefehlt, und die einstige Strahlefrau hätte 1968 in Mexiko weder ihre Siege noch ihre Hochzeit feiern können. Denn im Sog der niedergeschlagenen Reformbewegung Prager Frühling kam auch sie persönlich in Bedrängnis:

„Am 21. August begann die Okkupation. Zuvor hatte ich das Manifest der 2000 Worte unterzeichnet und mich auch nicht umstimmen lassen, es zu widerrufen. Im Rundfunk wurde jedoch verkündet, dass sich die Signatare der 2000 Worte am besten verstecken sollten, da ihnen Gefahr drohe. Ich war damals gerade mit der gesamten Mannschaft im Trainingscamp in Šumperk.“

Mit ihren Turnkolleginnen bereitete sich Věra Čáslavská akribisch auf die Olympischen Spiele vor. Mit einem Schlag aber stand ihre Sicherheit an erster Stelle. Leute von der Bergwacht halfen ihr damals, sich in einem Wald zu verstecken. Nahezu unbeobachtet von der Außenwelt setzte sie hier ihr vorolympisches Training in origineller Weise fort:

Věra Čáslavská | Foto: Ron Kroon / Anefo,  Wikimedia Commons,  CC0 1.0 DEED
„Den moosbedeckten Waldboden nutzte ich als Bodenmatte, und auf einem kleinen Waldweg trainierte ich den Anlauf für den Sprung am Pferd. Die starken Äste einiger Bäume ersetzten mir die Holme eines Stufenbarrens, und gefällte Baumstämme dienten mir als provisorische Schwebebalken.“

Im Wald war Věra Čáslavská aber nicht vollkommen auf sich allein gestellt. Sie wurde von einem älteren Ehepaar aufgenommen, das den Forst verwaltete. Und in diesem Forsthaus gab es auch so einiges zu tun. Eine Arbeit half der elffachen olympischen Medaillengewinnerin ganz speziell, um ein wichtiges Detail für das Geräteturnen nicht zu vernachlässigen:

„Um die Schwielen an meinen Händen, die ich für die Übungen am Stufenbarren brauche, nicht zu verlieren, habe ich fleißig Kohlen geschaufelt – immer von draußen durch ein Fenster in den Keller. Wenn ich es nicht getan hätte und die Schwielen sich zurückgebildet hätten, wäre es schwer geworden, am Stufenbarren gut zu turnen.“

Věra Čáslavská | Foto: http://afbeeldingen.gahetna.nl/ Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0 NL
Bei den Spielen in Mexiko im Oktober 1968 wurde Věra Čáslavská dann für ihr hartes und entbehrungsreiches Training reich belohnt: Sie gewann die Goldmedaillen am Pferd, am Barren, am Boden und im Achtkampf-Einzelwettbewerb sowie je eine Silbermedaille am Schwebebalken und im Mannschaftswettbewerb. Jede einzelne der gewonnenen Medaillen widmete sie je einem der Helden des Prager Frühlings, darunter auch Alexander Dubček. Ganz besonders aber genoss sie die Siegerehrungen, bei denen sie ganz oben auf dem Podest stand:

„Das waren für mich ganz starke und bewegende Momente: Noch ganz frisch war die Okkupation unseres Landes, mit meinen Siegen aber war es mir gelungen, den Okkupanten einiges heimzuzahlen. Erhebend war vor allem, als die tschechoslowakische Hymne gespielt wurde.“

Darüber hinaus wurde Věra Čáslavská in Mexiko geehrt wie eine Göttin, denn sie war der absolute Star der Spiele:

„Nach meinen Olympiasiegen wurde mir in Mexiko ein großartiger Empfang bereitet. Ich wurde in einem Konvoi ins Hotel gebracht, begleitet von einer festlich uniformierten Motorradstandarte. Als ich dort ankam, wartete bereits das gesamte Hotelpersonal auf mich – von den Zimmermädchen bis zum Direktor, alle standen sie Spalier“, schildert die 70-jährige Čáslavská auch heute noch bewegt ihre Eindrücke von den wohl schönsten Momenten ihres Sportlerlebens.

Dazu gehört auch die Hochzeit mit dem damaligen Leichtathleten Josef Odložil, die das Sportlerpaar ebenso in Mexiko feierte – vor über 100.000 Menschen! Neben Jacqueline Kennedy wurde Věra Čáslavská sogar zur Frau des Jahres 1968 gekürt, bevor sie im Schatten des Eisernen Vorhangs für lange Zeit verschwand. In der Heimat wurde nämlich gleich nach der Okkupation ein neues, finsteres Kapitel aufgeschlagen: die Normalisierung. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings übernahmen sowjettreue Kommunisten die Regierung in der Tschechoslowakei. Diejenigen, die für den Aufbruch standen und sich von den Ideen der kurzen Reformepoche nicht lossagten, hatten es deshalb jetzt besonders schwer. Auch Věra Čáslavská:

„Da ich das Manifest der 2000 Worte unterzeichnet und ich diesen Schritt weder bereut noch widerrufen hatte, wurde ich 20 Jahre lang verfolgt. Mit anderen Worten: 20 Jahre meines Lebens musste ich in gewisser Weise abschreiben.“

Věra Čáslavská
Die Schikanen des Regimes äußerten sich darin, dass Věra Čáslavská Berufsverbot bekam und sämtliche Privilegien verlor, die erfolgreichen Sportlern sonst zustanden. Wie aber kam sie mit ihren zwei Kindern finanziell über die Runden?

„Das war nicht einfach. Ich habe begonnen, Ölgemälde zu malen, und ich habe mich in Wohnhäusern des Prager Stadtteils Nusle als Putzfrau verdingt. Allerdings unter falschem Namen, eine Frau der örtlichen Wohnverwaltung ließ mich unter ihrem Namen arbeiten.“

1979 wurde die siebenfache Olympiasiegerin nach Mexiko abgeschoben, wo sie eine Arbeit aufnahm. Auf dem Flughafen von Mexiko City wurde sie erneut von Tausenden von Menschen empfangen, das Familienleben fern der Heimat aber war für sie nicht leicht. Sie kehrte zurück, als ihr Bruder mit 33 Jahren in Haft starb.

Věra Čáslavská
Die politische Wende im Jahr 1989 sollte eigentlich auch für Věra Čáslavská und ihre Familie die Wende zum Guten sein. Im August 1993 gerieten allerdings ihr Sohn Martin Odložil und sein Vater Josef, von dem Věra Čáslavská mittlerweile geschieden war, in einer Diskothek in einen Streit. Dabei kam es zu einem Handgemenge, bei dem der offenbar betrunkene Vater so unglücklich fiel, dass er einen Monat später an den Folgen seiner Kopfverletzungen starb. Wegen fahrlässiger Tötung wurde Sohn Martin zu vier Jahren Haft verurteilt, obwohl ihm eine Schuld am Tod des Vaters nicht zweifelsfrei nachgewiesen wurde. Der eine unabhängige Justiz unterstützende Rechtsbund Šalamoun entdeckte dann auch mehrere im Prozess gemachte Verfahrensfehler wie das eingeschränkte Recht auf Verteidigung und stellte den Antrag auf Begnadigung. Im Januar 1997 wurde Martin Odložil vom damaligen Präsidenten Václav Havel begnadigt. Das Unglück aber hatte Věra Čáslavská ein weiteres Mal schwer getroffen:

„Schon früh nach der Wende kam es zu dieser echten Familientragödie, die ich bis heute noch nicht völlig überwunden habe. Aufgrund dieser Tragödie habe ich erneut auf sehr harte Weise 16 Jahre meines Lebens verloren.“

So lange nämlich hatte sich Věra Čáslavská vollkommen von der Öffentlichkeit zurückgezogen. Auch diesmal also konnte sie die Früchte ihrer sportlichen Verdienste vorerst nicht ernten. Dabei hatte nach der Wende alles so gut angefangen: Präsident Havel hatte sie als Beraterin zu sich auf die Prager Burg geholt, und das Tschechische Olympische Komitee wählte sie auch sehr bald zu seiner Vorsitzenden. Erst seit dem Jahr 2009 zeigt sich Věra Čáslavská nun wieder in der Öffentlichkeit. Besonders unter den älteren Tschechen, die ihre Erfolge damals miterlebt hatten, ist sie beliebt wie eh und je. Und als Ehrenvorsitzende der tschechisch-japanischen Gesellschaft hat sie auch wieder eine Aufgabe gefunden, die sie mit Hingabe ausfüllt.