Versöhnung 2016: Junge Tschechen laden Heimatvertriebene nach Prag ein
Deutsche Zeitzeugen der Vertreibung in der Nachkriegszeit und ihre Nachkommen sowie junge Tschechinnen und Tschechen – sie sind am vergangenen Wochenende in Prag zusammengekommen. Das Treffen hatte das Motto „Versöhnung 2016“.
„Ich habe vor sechs Jahren in Dresden studiert. Dort traf ich einige Vertriebene und habe mit ihnen über ihre Erinnerungen gesprochen. Das hat mich sehr betroffen, weil ich zuvor darüber nicht viel wusste.“
Schon damals kam Vlaďka auf die Idee eines Treffens.
Konzert und Kunstinstallation
„Ich habe darüber mit meinen Freundinnen, der Bildhauerin Josefína Jonášová und der Komponistin Eliška Cílková, gesprochen. Eliška sagte mir, dass sie gerne ein Stück für die Vertriebenen komponieren möchte. Und Josefína wollte eine Kunstinstallation machen.“Die beiden Werke wurden bei einem „Konzert der Versöhnung“ in der Sankt-Antonius-Kirche in Prag am vergangenen Samstag präsentiert. Außerdem wurde eine Ausstellung mit dem Titel „Unter einem Dach“ eröffnet.
Unter einem Dach
Der Verein Antikomplex stellt darin Geschichten von tschechisch-deutschen Freundschaften an sieben Orten Tschechiens dar. Es handelt sich dabei um Freundschaften zwischen den ehemaligen, ausgesiedelten Einwohnern eines konkreten Hauses und den heutigen, tschechischen Neusiedlern an dem jeweiligen Ort.
Die Einladung zum Treffen in Prag angenommen haben etwa 90 Teilnehmer aus Deutschland. Lieselotte Steiner, geboren 1931, gehörte zu den ältesten Gästen. Für sie war das Treffen im Prager Stadtteil Holešovice eine Rückkehr in die Heimat:„Ja, ja, das war eine Straße hier tiefer, da haben wir mal gewohnt.“
Zeitzeugen und ihre Nachkommen
An das Kriegsende kann sich Lieselotte Steiner sehr gut erinnern:
„Und zwar waren dort zunächst Straßenkämpfe. Es wurden Barrikaden aufgebaut. Und wir mussten damals schnell in den Luftschutzkeller. Danach sind wir nie mehr in die Wohnung zurückgekommen. Wir wurden zum Strossmayer-Platz getrieben. Da waren dann mehrere versammelt, und dann ging es sehr schnell. Wahrscheinlich über Lautsprecher wurden immer Horror-Meldungen verbreitet, und daraufhin hat sich die Menge auf uns gestürzt. Uns hat man Ölfarben-Hakenkreuze auf den Rücken und auf die Stirn gemalt. Von der Stirn ist es ja runtergegangen, aber das Hakenkreuz am einzigen Mantel, mit dem ist man dann Wochen herumgelaufen.“
Martina Büchel vertritt die Generation der Nachkommen:„Ich habe mich immer heimatlos gefühlt. Ich bin in Frankfurt am Main großgeworden, aber ich habe mich nie als Frankfurterin, sondern immer wurzellos gefühlt. Es bin nicht nur ich, das sind viele in meiner Generation der Nachgeborenen, die das so empfinden.“
Heute sucht Martina Büchel nach ihren Wurzeln im Kuhländchen, der Region im Norden Mährens, aus der ihr Vater stammte.
„Ich bin auch auf den Spuren meiner familiären, kulturellen und christlichen Wurzeln. Und das freut mich.“
Rudolf Schroth ist ein gebürtiger Nordmährer, geboren in Nieder-Lindewiese / Lipová lázně. Er kam als Vierjähriger nach Bayern:
„Wir versuchen, als Mitglieder der Ackermann-Gemeinde, die deutsch-tschechische Freundschaft, die Versöhnung zu machen. Ich freue mich, dass junge Leute den Verein Antikomplex gegründet haben. Die Alten sind vielleicht ein bisschen befangen und in der Geschichte erstarrt. Da erwarte ich nichts mehr. Die Hoffnung liegt auf der Jugend.“Mehr Erinnerungen von Zeitzeugen können Sie am Dienstag bei uns hören, in einer Ausgabe unserer Sendereihe „Heute am Mikrophon“. Die Ausstellung „Unter einem Dach“ ist bis Ende November in der Nationalen Technischen Bibliothek im sechsten Prager Stadtbezirk.