Vienna meets Prague – Kulturbegegnungen direkt und persönlich

Wien

Obwohl Prag und Wien sich so nah sind, bleibt vieles unbekannt und unentdeckt. Das Kulturfestival „Vienna meets Prague“ will dem entgegenwirken und vermittelt mit seinen Aktivitäten einen Dialog zwischen den beiden Städten. Ab Donnerstag bietet es nun zum dritten Mal die Gelegenheit, tschechische Kultur direkt in Wien zu erkunden. Ein Interview mit dem Festivalleiter Ludger Hagedorn.

Ludger Hagedorn | Foto: Institut für die Wissenschaften vom Menschen

Herr Hagedorn, in der österreichischen Hauptstadt beginnt am Donnerstag bereits zum dritten Mal das Kulturfestival „Vienna meets Prague“. Dabei wird tschechische Kunst und Kultur in Wien präsentiert. Das Motto heißt Praha // cross over. Was bedeutet dies, und worin ist das Festival einzigartig?

„Das ist toll, dass Sie mit unserem Slogan anfangen, der ist nämlich neu in diesem Jahr. Sie wissen ja, dass die etymologische Bedeutung des Wortes Prag / Praha etwas mit einer Furt oder mit einem Übergang über einen Fluss zu tun hat. Wir haben unser Motto ein bisschen daran angelehnt. Natürlich ist das auch ein Appell: ‚Geh hinüber aus Wien nach Prag, mach dich mit der Prager, mit der tschechischen Kultur vertraut‘. Das Cross-Over ist auch ein gutes Motiv für die Kunst und Kultur überhaupt. Wir machen viele Veranstaltungen aus verschiedenen kulturellen Sparten, die miteinander in Berührung stehen. Wir haben auch viele Veranstaltungen, die nicht eindeutig zuzuordnen, also selbst ein Cross-Over sind.“

Praha // cross over

Pavel Novotný | Foto: Roman Machek,  Tschechischer Rundfunk

Sie nennen eine Lesung von Pavel Novotný als Beispiel...

„Pavel Novotný ist Lyriker, er hat im letzten Jahr den Magnesia-Litera-Preis für sein lyrisches Werk ‚Zápisky z garsonky‘ zugesprochen bekommen. Aber er macht auch viele andere Dinge, Soundinstallationen, kleine Filme und Radio-Arrangements. Und vor allen Dingen ist er Performer. Da kommen sehr viele Sachen – Musik und Sprache – zusammen. Deshalb finde ich, dieses Motto ‚cross over‘ passt wunderbar zu einem Kulturfestival.“

Das Programm ist recht interdisziplinär und umfasst Musik, bildende Kunst, Literatur und Film. Im vergangenen Jahr stand der tschechische Schriftsteller Bohumil Hrabal im Mittelpunkt. Haben Sie gewisse Schwerpunkte für dieses Jahr festgelegt?

„Nach zwei Jahren Corona wollten wir ganz stark auf die Begegnungen und die analogen Formate setzen.“

„Nein, wir haben keinen Schwerpunkt explizit benannt, aber wir haben intern für uns einen Schwerpunkt gehabt. Nach zwei Jahren Corona – wo wir alle nun hoffen, dass die Pandemie zwar vielleicht nicht vorüber, aber zumindest handhabbarer geworden ist und man ein Festival wieder einfacher veranstalten kann – wollten wir ganz stark auf die Begegnungen und die analogen Formate setzen. Wir haben alle so viele Zoom-Meetings, Online-Treffen und Online-Vorträge gemacht, die nach meiner Erfahrung sehr ermüden. Für uns war es nun wichtig, dass die Erlebnisse, die eigentlich nur Kunst und Kultur vermitteln können, möglichst direkt und persönlich ermöglicht werden. Deshalb bieten wir auch diese Performances. Sie spielen mit Raum, Zeit, Geruch, den Farben, den Eindrücken und mit der Begegnung. Und wir haben weiterhin einen Schwerpunkt in Fotografie, ausdrücklich in analoger, also Schwarz-Weiß-Photographie, die von Negativen abgezogen wird. Wir sind mit so vielen Bildern im Internet konfrontiert und wollten ganz bewusst einen Gegenakzent setzen.“

Tschechische Botschaft in Wien | Foto: Tschechisches Außenministerium

Wo finden die Veranstaltungen statt? Haben Sie einen Austragungsort, oder gibt es Treffen an mehreren Orten in Wien?

„Wir haben unseren Festivalschwerpunkt im Architekturzentrum. Dieses ist ein Bestandteil des Museumsquartiers. Dort werden wir am Freitag und am Samstag sein. Der Auftakt am Donnerstagabend, das klassische Konzert und die analoge Photographie-Ausstellung, werden in der tschechischen Botschaft in Wien stattfinden.“

Sie haben die Performances besonders hervorgehoben. Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Performance ‚Krbíky‘ | Foto: Theater Alfred ve dvoře

„Wir haben eine Performance, die ‚Krbíky‘ heißt. Das ist ein etymologisches Kunstwort. Darin geht es um den mythischen Stamm der Krpáks, die eine Verehrung für Ultramarin haben. Man wird also etwas von den Riten, von den Verhaltensweisen, von der Philosophie der Krpáks kennenlernen. Wir werden diese Performance sogar mehrfach anbieten, weil dies nur jeweils für eine Gruppe möglich ist. Also wird es an diesen beiden Festivaltagen sieben Mal die Möglichkeit geben, sie zu besuchen. Und wir werden die große Abend-Performance und Lesung mit Pavel Novotný haben, von der ich schon gesprochen habe.“

Performances, Schwarz-Weiß-Fotos, Animationsfilme

Die tschechische Literatur ist mit Radka Denemarková vertreten. Wird sie aus einem ihrer Bücher lesen?

Radka Denemarková | Foto:  Martina Vacková,   Tschechischer Rundfunk

„Radka Denemarková war soeben schon zu Besuch in Wien und hat ihr jüngstes Buch vorgestellt, den großen China-Roman ‚Die Stunden aus Blei‘. An Festivalabend werden wir nicht noch einmal nur über dieses Buch reden, sondern im weiteren Sinne über ihr Werk. Es wird mehr um die großen, wichtigen Themen, um ihr politisches Engagement und um etwas gehen, was ich sehr wichtig finde: Das ist ihr Fortsetzen einer gewissen Tradition der tschechischen Dissidenz. Jetzt bei dem jüngsten Buch ist es mir sehr klar geworden, wie stark sie sich in der Tradition zum Beispiel von Václav Havel sieht, wie wichtig ihr diese Dinge sind. Und darüber werden wir reden.“

Das Festival hat mehrere Organisatoren, unter anderem das Tschechische Zentrum in Wien, aber auch das Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen. Beim Letztgenannten handelt es sich eigentlich um eine Forschungseinrichtung. Womit beschäftigt sich dieses Institut, und wie beteiligt es sich an dem Festival?

Tschechisches Zentrum Wien | Foto: Хомелка,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0

„Wenn ich noch ein Wort zu dem Tschechischen Zentrum sagen darf: Wir sind sehr dankbar, dass es sich in diesem Jahr ganz toll engagiert hat. Das Zentrum hat einen Nachmittag vorbereitet mit Filmen für Kinder. Wir werden am Freitag im Architekturzentrum tschechische Animationsfilme zeigen. Da die Filme stumm sind, keine Sprache brauchen, ist es egal, wer aus der großen internationalen Community in Wien zu diesen Filmen kommt. Wir haben auch eine Einladung für diesen Nachmittag in ukrainischer Sprache formuliert, wir laden also ebenfalls ausdrücklich Geflohene ein zu kommen – Mütter mit ihren Kindern und Familien.“

Und das Institut für die Wissenschaften vom Menschen?

„Das IWM bringt seit 40 Jahren Gelehrte aus Ost und West zusammen. Die Kontakte zu Tschechien sind also immer schon eng, groß und wichtig gewesen.“

„Das IWM ist ein Institut für Advanced Studies, früher hätte man auf etwas altmodische Weise eine Gemeinschaft von Gelehrten gesagt. Von Gelehrten auf Zeit. Sie werden an das Institut eingeladen, verfolgen dort ihre eigenen Forschungsprojekte und sind im Dialog mit den anderen. Und zwar interdisziplinär, aber auch international. Die Gründung des Instituts im Jahr 1982 war stark mit den Zeiten des Eisernen Vorhangs verknüpft. Die Gründungsidee von Krzystof Michalski, einem polnischen Philosophen, war, an diesem Institut im neutralen Österreich Gelehrte aus Ost und West zusammenzubringen. Polen, die Tschechoslowakei und Ungarn waren die wichtigsten Länder in den Anfangsjahren. Und da ist auch schon der enge Bezug zur tschechischen Kultur, zur Prager Kultur. Das Institut besitzt seit dieser Anfangszeit unter anderem ein Archiv der Schriften von Jan Patočka, dem vielleicht bekanntesten und wichtigsten tschechischen Philosophen des 20. Jahrhunderts. Dieses Archiv wurde damals als sicherer Ort vor dem Zugriff der Razzien und der Beschlagnahmung seiner Schriften gegründet. Es besteht bis heute und bildet einen engen Bezugspunkt zu Tschechien. Des Weiteren bieten wir seit vielen Jahren Fellowships für tschechische Wissenschaftler und Nachwuchswissenschaftler an, die zu uns kommen und eine Zeit hier verbringen. Die Kontakte zu Tschechien sind also immer schon eng, groß und wichtig gewesen.“

Die Veranstaltungen finden in diesem Jahr vom 21. bis 24. April statt. Hauptspielstätte ist das Architekturzentrum Wien im Museumsquartier. Ein detailliertes Programm finden Sie unter www.viennameetsprague.com.