Villa Primavesi in Olmütz: Perle des Wiener Jugendstils mit wechselhaftem Schicksal
Anfang des 20. Jahrhunderts ließ die Industriellen- und Bankiersfamilie Primavesi im mährischen Olomouc / Olmütz eine neue Villa bauen. Das Haus ist heute eines der Kulturdenkmäler der Stadt.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts verließ Paolo Antonio Primavesi mit seiner Frau und drei Kindern die norditalienische Lombardei. Die Familie floh vor der Gefahr eines Angriffs durch Napoleons Truppen. Die Primavesis fanden in einer ruhigeren Region der Habsburger Monarchie Zuflucht – und zwar in Olmütz. Die Stadt in Mähren galt damals zudem als eine der größten und modernsten bastionierten Festungsanlagen Österreich-Ungarns.
Die Ankömmlinge aus der Lombardei waren allerdings keine mittellosen Flüchtlinge. Mit dem mitgebrachten Kapital, das sie in ihrer Seidenspinnerei am Comer See erwirtschaftet hatten, kauften sie sich ein Haus im noblen Teil des Olmützer Zentralplatzes. Dieses wurde bald auch zum Sitz einer prosperierenden Bank, die die deutschsprachige Familie eröffnete. Im Lauf der Zeit kletterten die Primavesis an die Spitze in der Finanz- und Wirtschaftswelt Mährens.
Von den Nachkommen der Flüchtlinge wurde der Industrielle und Bankier Otto Clemens Primavesi der bekannteste, geboren 1868 in Olmütz. Er und seine Frau Eugenia, deren Familie aus Böhmen stammte, profilierten sich auch als Kunstsammler. An das Ehepaar erinnert bis heute die 116 Jahre alte Villa Primavesi. Sie gilt als „Perle des Wiener Jugendstils“ in Olmütz. Fremdenführerin Jana Krausová weiß Interessantes zu berichten über das Haus und seine Geschichte:
„Otto Primavesi heiratete mit 26 Jahren die Schauspielerin Eugenia Butschek aus Wien, die zu Gastauftritten auch nach Mähren kam. Mäda, so ihr Künstlername, war fest in der Wiener Kultur verankert und trug maßgeblich dazu bei, das ihr Ehemann eine besondere Rolle in der Kunstförderung spielte. Das Interesse der beiden galt allerdings nicht der alten Kunst. Sie hatten ein ausgeprägtes Faible für die Moderne, vor allem für die berühmte kunstgewerbliche ‚Wiener Werkstätte GmbH‘. Die Firma mit dem Kürzel ‚WW‘ vereinigte rund 180 Künstler, Architekten, Unternehmer und Handwerker. Zwischen 1905 und 1906 ließen sich die Primavesis ein neues Haus bauen, das ihre gesellschaftliche Position wiederspiegeln sollte. Mit dem Bau beauftragten sie das renommierte Architektenduo Franz von Krausse und Josef Tölk aus Wien. Für die Villa musste allerdings das historische Spital des barocken Stadtteils Platz machen.“
Dem Bau im Wiener Jugendstil inklusive der Innenausgestaltung widmete das Ehepaar Primavesi sehr viel Aufmerksamkeit. Das begann bei der Wandverkleidung aus Holz und reichte über die Beleuchtung, die Tapeten, die Fußböden bis zu handwerklichen Details. Obendrein kamen im Haus auch Errungenschaften der modernen Technik zur Geltung. Zum Beispiel die Zentralheizung, das hauseigene Kraftwerk, das Lüftungssystem oder der automatisierte zentrale Staubsauger. Nach Meinung von Kunsthistorikern ist es vor allem das Innere des Hauses, das aus ihm ein einzigartiges Architekturobjekt macht.
Wohnhalle als Zentrum der Villa
Durch einen der drei Hauseingänge gelangt man von der heutigen Universitätsgasse direkt ins Innere der Villa. Dort startet auch die Besichtigungstour für die Besucher. Es ist die ehemalige Wohnhalle im Erdgeschoss, um die weitere Räume angeordnet waren. Dieser Stil der Raumgestaltung, der als englisches Hallensystem bezeichnet wurde, galt damals als revolutionär.
„Die große Wohnhalle war das Zentrum des familiären sowie des gesellschaftlichen Lebens in der Villa. Einbezogen ist hier auch ein Teil der höheren Etage mit einem Wandelgang, den eine Holztreppe mit der Wohnhalle verbindet. Dort im ersten Stock befanden sich die Zimmer für vier Kinder und ihre Erzieherin. In der nächsten Etage befanden sich die Zimmer für Gäste und das Dienstpersonal. In der Zentralhalle spielte eine Glasmalerei-Vedute eine symbolische Rolle. Das zwölfteilige Fenster entstand als eine Kopie eines Holzschnitts aus dem Jahr 1706, der das Olmützer Stadtpanorama jener Zeit abbildete. Die Glasmalerei zeigt auch die Konturen von vier Gebäuden, die es längst nicht mehr gibt. Es sind zwei Kirchen, die im 18. Jahrhundert infolge der sogenannten Josephinischen Reformen abgerissen wurden. Zu sehen sind des Weiteren zwei Stadttore. Beide mussten im nachfolgenden Jahrhundert bei der Auflösung der Olmützer Befestigung verschwinden. Was im Gegenteil in dem Buntglasbildnis noch nicht zu sehen sein konnte, war die Silhouette der 35 Meter hohen Dreifaltigkeitssäule. Das heutige Unesco-Denkmal entstand erst zwischen 1716 und 1754. Im Haus Primavesi sollte das farbige Stadtpanorama auf die Ideen von Charles Rennie Mackintosh hinweisen, dem wichtigsten Begründer des Jugendstils in Schottland. Und die Jahreszahl 1706 steht für die 200 Jahre Geschichte, die von der Entstehung des Holzschnitts bis zum Bau der Villa Primavesi vergangen waren“, so Krausová.
Gegenüber der Vedute befindet sich in der Halle ein Kamin an der Wand. Er wurde vom Wiener Bildhauer und Designer Anton Hanak entworfen. Auch auf seinem Sims befindet sich die Jahreszahl 1906 sowie dieses Zitat: „Das Leben geht immer vorwärts, niemals nach hinten.“ Dies sei, so die Fremdenführerin, das Kredo der Familie Primavesi gewesen.
Um die zentrale Wohnhalle waren drei wichtige Räume angeordnet: der Speisesaal sowie die Privatzimmer von Otto Primavesi und seiner Ehefrau Eugenie. Jana Krausová:
„Der Essraum mit intarsiertem Massivholzmobiliar wurde 1912/13 von Anton Hanak entworfen. Zum Großteil handelt es sich hier um die Originalausstattung mit einem ausziehbaren Tisch und zwölf Stühlen mit den für die Wiener Werkstätte typischen hohen Lehnen, mit einem kleineren Frühstückstisch für Kinder und einem Teil der Holztäfelung an den Wänden, die bis zur Decke reicht. Die restliche Ausstattung im Essraum sind originalgetreu gefertigte Nachbildungen. Die Familie Primavesi versammelte sich hier zu festlichen Mittags- und Abendessen. Gerne luden die Hausherren auch ihre liebsten Künstlerfreunde aus Wien zum opulenten Diner ein, manchmal verbunden mit einer Kostümparty. Stammgast war insbesondere der Bildhauer, Designer und Familienfreund Anton Hanak. Im Auftrag der Gastgeber schuf er auch einige Skulpturen. Drei weitere besorgte sich Otto Primavesi 1911bei der internationalen Kunstausstellung in Rom. Wie der Privatkorrespondenz der Familie zu entnehmen ist, war außerdem der später weltberühmte Maler Gustav Klimt zu Gast in Olmütz. Er soll dort auch den letzten Silvestertag seines Lebens verbracht haben.“
Gustav Klimt starb am 6. Januar 1918 in Wien. Laut Jana Krausová besaß das Ehepaar Primavesi insgesamt 17 Gemälde von Klimt. 1912 gab Otto Primavesi das erste Werk bei dem Maler in Auftrag. Es handelte sich um das Porträt seiner zweitältesten Tochter, der neunjährigen Mäda. Das Gemälde sollte ein Geburtstagsgeschenk für sie werden. Sie war das einzige Kind, das Klimt je porträtiert hat. Zuvor aber fanden mehrere Sitzungen mit Mäda in seinem Wiener Atelier statt, bevor sich der Maler über seine Bildkomposition im Klaren war. Das Mädchen trug dabei ein Kleid der bekannten Wiener Modedesignerin Emilia Flöge, die Klimts Lebensgefährtin war. In der Villa hängt heute aber nicht mehr das Original-Gemälde, dieses befindet sich seit 1964 im New Yorker Metropolitan Museum. Das Bild im ehemaligen Zimmer von Eugenia Primavesi, dem sogenannten „roten Zimmer“ mit restaurierten Originalmöbeln der Wiener Werkstätte, ist nur eine Kopie.
Auch Otto Primavesi hatte ein Zimmer für sich, in dem er sich öfters mit seinen Geschäftspartnern traf. Jana Krausová:
„Dieses Zimmer soll ursprünglich mit schwarzen Originalmöbeln der ‚Wiener Werkstätte‘ ausgestattet gewesen sein. Bisher wurde jedoch kein einziges Stück davon gefunden. An den Wänden hängen hier einige Kopien von Klimts Werken. Darunter eines mit dem Titel ‚Die Freundinnen‘. Das Original verkaufte das Ehepaar Primavesi einige Jahre später, als es in Finanznot geraten war, an den österreichischen Industriellen August Lederer. Er war Besitzer einer der umfangreichsten und bedeutendsten Privatkunstsammlungen in Wien und gehörte zu den wichtigsten Förderern Gustav Klimts. 1938 wurde seine Sammlung beschlagnahmt und für Hitler auf Schloss Immendorf in Niederösterreich aufbewahrt. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs wurde es bei einem Brand zerstört.“
Gemälde von Gustav Klimt
1913 gab Eugenia Primavesi ein Portrait ihrer selbst bei Gustav Klimt in Auftrag. Es sollte das Weihnachtsgeschenk für ihren Ehemann sein. Die Fertigstellung verzögerte sich allerdings, bei Klimt angeblich nichts Ungewöhnliches. Knapp vor Weihnachten war es aber doch so weit. Klimt schickte das fertige Porträt, eingepackt in einer Holzkiste, in aller Eile mit dem Postzug aus Wien nach Olmütz. Heute ist es im Toyota Municipal Museum of Art in Japan ausgestellt.
Nach den erfolgreichen und glücklichen Jahren gab es zu Ende des Ersten Weltkriegs einen Wendepunkt im Leben der Familie. Eine der Ursachen war die sich verschlechternde Lage der Wiener Werkstätte. Otto Primavesi war dort 1915 als Hauptaktionär eingestiegen, um ihre drohende Pleite abzuwenden. Von der damit verbundenen Führungsposition trat er allerdings nach einigen Jahren zurück, als auch seine Bank mit finanziellen Problemen kämpfen musste. So wollte er verhindern, dass die Schulden des Bankhauses Primavesi mit Geldern der Wiener Werkstätte bezahlt werden. Den Führungsposten mit Finanzkompetenz bei der Werkstätte übernahm in der Folge seine Frau Eugenia. Denn sie wollte das Projekt weiter unterstützen.
Nach dem Zerfall der Donaumonarchie und der nachfolgenden Gründung der Tschechoslowakei zogen die Primavesis, die sich mit dem alten Staatsgebilde identifizierten, nach Wien um. Nach und nach verkauften sie dann einen Großteil ihrer Bildersammlung sowie ihren hiesigen Immobilienbesitz. Dennoch geriet die Familie immer weiter in finanzielle Schwierigkeiten, denn ihre Bank war in Olmütz war pleite.
Für die Villa Primavesi bedeutete dies, dass mehrmals ihre Besitzer wechselten. Zu kommunistischen Zeiten zog dann eine Klinik ein. Erst ab Ende der 1990er Jahre konnte das Gebäude restauriert werden. 2009 wurde die Villa zum nationalen Kulturdenkmal erhoben. An die Vorfahren ihrer ersten Besitzer erinnert die Familiengruft auf dem Friedhof im Olmützer Stadtteil Neřetín. Die Dominante des Grabsteins ist die drei Meter hohe Frauenstatue „Die Ewigkeit“ von Anton Hanak, seit 1994 Olmützer Kulturdenkmal.