Vom Comic-Held zum Kinostar: „Alois Nebel“ läuft mit Vorschusslorbeeren in Tschechien an

Film „Alois Nebel“

Am 29. September ist es soweit: Die mit Vorschusslorbeeren bedachte Verfilmung der Comic-Trilogie „Alois Nebel“ wird endlich auch auf den tschechischen Kinoleinwänden zu sehen sein. Bei den Filmfestspielen in Venedig feierte der Streifen bereits vorab seine internationale Premiere. Dort und auch auf dem Internationalen Filmfestival in Toronto war das Publikum von dem Film über den Fahrdienstleiter aus dem mährischen Altvatergebirge begeistert. Nun bleibt abzuwarten, wie die tschechischen Zuschauer reagieren werden. Iwi Hagenau hatte vorab schon einmal die Gelegenheit, sich den Streifen anzusehen. Sie hören eine neue Ausgabe unserer Sendereihe Kultursalon.

Film „Alois Nebel“
Schon der Trailer zum Film „Alois Nebel“ kündigt ein geheimnisvolles und gefährliches Abenteuer an. Es donnert, ein Hund fletscht seine Zähne und es wird geschossen. Dabei führt Alois Nebel alles andere als ein aufregendes Leben. Als Fahrdienstleiter eines kleinen Bahnhofes im Altvatergebirge reguliert er den Zugverkehr in seiner Station. Sein Hobby, das Sammeln von alten Fahrplänen, liebt der Fünfzigjährige mehr als jegliche zwischenmenschliche Kontakte. Die Einsamkeit macht ihm nichts aus. Im Gegenteil, er ist zufrieden mit seinem Leben. Jaroslav Rudiš, Schriftsteller und einer der Väter von Alois Nebel, fasst zusammen, worum es in der Comicverfilmung eigentlich geht:

Film „Alois Nebel“
„Die Geschichte beginnt im Sommer / Herbst 1989 und endet im Frühjahr 1990. Alois Nebel und seine Freunde sind die ewigen Verlierer. Typische Wendeverlierer halt. Alois Nebel hat zum Beispiel seinen Job als Fahrdienstleiter verloren. Als Arbeitsloser muss er nun das erste Mal in seinem Leben nach Prag fahren. Auf dieser Reise verliebt er sich dann auch.“

In die Hauptstadt reist Alois Nebel, um bei dem Chef der Tschechoslowakischen Staatsbahnen um eine Wiedereinstellung zu bitten. Erfolglos. Dafür trifft er auf dem Prager Hauptbahnhof die Toilettenfrau Květa. Der Film erzählt jedoch nicht allein die Liebesgeschichte eines einfachen älteren Mannes. Im Laufe der Handlung verliert sich Alois Nebel immer wieder in der Vergangenheit. Kindheitstraumata steigen in ihm auf: Er erinnert sich an den Zweiten Weltkrieg, die Vertreibung der Deutschen, die sowjetische Okkupation 1968 und die graue Zeit der Normalisierung. Auch wegen dieser weiteren Dimensionen der Geschichte waren die Erwartungen des tschechischen Publikums an den Film von Anfang an sehr hoch. Das hat auch Filmfestivalorganisatoren im Ausland aufhorchen lassen. Ende August, vor der Filmpremiere in Venedig, meinte Rudiš noch:

„Ich versuche, das gelassen zu sehen und lasse mich überraschen. Aber es ist toll, dass wir mit Alois Nebel die Möglichkeit bekommen, auf diesen internationalen Zug aufzusteigen. Natürlich fahren wir nicht mit dem Zug nach Venedig oder Toronto, sondern fliegen. Nichtsdestotrotz erwartet uns eine sehr spannende Reise.“

Venedig und Toronto haben Rudiš und seine Kollegen bereits mit pochendem Herzen hinter sich gelassen. Der Aufwand für den Film ist groß gewesen. Insgesamt wurde fast zwei Jahre lang an der Comicverfilmung gefeilt. Über drei Millionen Euro hat der Film gekostet. Der Erfolg für diese tschechisch-slowakisch-deutsche Koproduktion war dennoch nicht garantiert. Zurück in Prag erzählt Rudiš bei der offiziellen Pressekonferenz von den Reaktionen auf den Filmfestivals:

Jaroslav Rudiš
„In Mitteleuropa muss man den Zuschauern nicht viel erklären. Grenzen verschwinden, Grenzen entstehen. Das ist etwas, was hier heutzutage immer noch präsent ist. Läuft der Film hingegen in Italien, Kanada oder Frankreich müssen wir natürlich ein bisschen mehr erklären. Auch wenn der historische Kontext nicht jedem Zuschauer hundertprozentig verständlich sein wird, hoffe ich, dass man die Geschichte nachvollziehen kann und begreift, worum es geht. Es geht um die Geister der Vergangenheit, die man bewältigen muss, um erwachsen werden zu können und um einen geschichtlichen Wandel.“

Am schwierigsten gestaltete sich wohl die Übertragung von 340 Seiten, also an die drei Kilo Literatur auf einen knapp anderthalbstündigen Film. ´Alois Nebel´ ist kein herkömmlicher Animationsfilm. Mit Hilfe der Rotoskopie-Technik erfolgte die Umsetzung. Zunächst wurden die Szenen mit den Schauspielern gefilmt und später dann mit dieser speziellen Technik am Computer nachgezeichnet. Jaroslav Rudiš und der Comiczeichner und Musiker Jaromír 99, die beiden Erfinder der Figur Alois Nebel, überlegten lange, wie aus dem Comic ein guter Film werden sollte:

Jaromír 99
„Ein Spielfilm kam für uns nicht in Frage. Jaromír 99 und ich sind uns einig gewesen, dass wir uns möglichst nah an der Vorlage, also an dem Comic halten würden. Kurzzeitig haben wir überlegt, ob wir daraus nicht eine Proanimation machen wollen. Jaromír 99 kam dann aber auf die Idee, mit Tomáš Luňák zusammenzuarbeiten. Luňák hatte schon im Vorfeld ein paar Videos für seine Band ´Priessnitz´ gemacht und kennt sich daher mit so etwas aus. Deswegen haben wir ihn in unsere Arbeit involviert“, so Rudiš.

Tomáš Luňák, der Regisseur des Films, zeigte sich von Anfang an engagiert. Er bereitete für Rudiš und Jaromír einen kurzen Probefilm vor. Jaroslav Rudiš ergänzt:

„Von da an war uns klar, dass wir das so machen werden. Wir wollten, dass die Atmosphäre im Film erhalten bleibt. Ich hoffe, dass das ein sehr atmosphärischer Film ist und die Wirkung auch über die Leinwand transportiert wird.“

Tomáš Luňák
Die Atmosphäre, die mit Hilfe dieser Animationstechnik erzeugt wird, ist wohl der ausschlaggebende Grund für den internationalen Erfolg von „Alois Nebel“. Davon ist auch der Produzent Pavel Strnad überzeugt:

„Mich hat vor allem gefreut, dass der Film vom ausländischen Publikum so gut angenommen wurde. Grund dafür ist vor allem die Art, wie wir den Film visualisiert haben. Natürlich kennt beispielsweise in Nordamerika kaum jemand die Geschichte der Sudentendeutschen. Doch die Graphik des Films scheint die Handlung zu überragen. Zudem basiert die Geschichte auf Gefühlen, die jeder von uns in sich trägt, und deshalb mögen den Film auch die Zuschauer im Ausland.“



Pavel Strnad
Die ersten Rezensionen, wie beispielsweise die Kritik der Zeitschrift „The Hollywood Reporter“, haben die Meinung Pavel Strnads bestätigt. Ins Ausland wird der Film bereits verkauft. Demnächst wird „Alois Nebel“ in den französischen Kinos anlaufen. Wann der Film deutsche Kinosäle füllen wird, ist bisher noch nicht bekannt. Immerhin erscheint die deutsche Übersetzung der Comic-Trilogie „Alois Nebel“ bereits im Januar 2012. Bis dahin weiß man dann auch, wie den Tschechen die Verfilmung gefallen hat.

Autor: Iwi Hagenau
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