Muriel trifft Donald Duck

Foto: Archiv des Erika-Fuchs-Hauses
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Tschechische und deutsche Comics geben sich derzeit im Erika-Fuchs-Haus in Schwarzenbach an der Saale ein anregendes Rendezvous. Das Museum für Comics und Sprachkunst ist nach der Übersetzerin der Geschichten von Walt Disney benannt. Gegenwärtig wird im Erika-Fuchs-Haus die Sonderausstellung „Ein Jahrhundert tschechische Comics“ gezeigt.

Hans-Peter Baumann,  Pavel Kořínek,  Alexandra Hentschel,  Gerhard Severin  (Foto: Maria Hammerich-Maier)

Vernissage im Erika-Fuchs-Haus  (Foto: Maria Hammerich-Maier)
Die Ausstellung über die Geschichte der tschechischen Comics war von Museumsleiterin Alexandra Hentschel nach Schwarzenbach geholt worden.

„Wir zeigen im Erika-Fuchs-Haus immer wieder Sonderausstellungen, die Comics in allen Facetten darstellen. Und als ich von dieser Ausstellung am Tschechischen Zentrum in München gehört hatte, war ich ganz begeistert. Ich dachte, wir sind hier so dicht an der Grenze, und trotzdem ist vieles unbekannt. Da erschien es mir als großartige Idee, die Ausstellung zu übernehmen und auf diese Weise das Nachbarland den Menschen näher zu bringen“, so Hentschel.

Ein ähnliches Ziel setzte sich der tschechische Comicforscher Pavel Kořínek mit seinem Eröffnungsvortrag. Er hat die Wanderausstellung, die schon in vielen Ländern gezeigt wurde, zusammen mit Tomáš Prokůpek von der Universität in Olomouc / Olmütz gestaltet. Kořínek arbeitet an der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in Prag. Er sagte, der tschechische Comic entwickle sich derzeit sehr dynamisch. Die Comicautoren versuchten heute, neue gesellschaftliche Aufgabenfelder und Lesergruppen zu erschließen.

Foto aus dem Buch „Die Heilige Barbara“  (Quelle: Lipnik Verlag)
„In den letzten Jahren sind zahlreiche Comics mit historischer Thematik entstanden. Sie adaptieren wichtige Momente der tschechischen Geschichte für dieses Genre. Die Themen werden entweder für didaktische Zwecke neu erzählt, oder die Autoren kommentieren sie aus einer persönlichen Sicht. Ich finde es auch sehr gut, dass Comics in Tschechien jetzt beginnen, eine Rolle in der aktiven Zivilgesellschaft und der öffentlichen Diskussion zu spielen“, meinte Kořínek.

Anspruchsvolle Formen

Ein Beispiel hierfür ist der Bilderzyklus „Die wir meiden“ aus dem Jahr 2016. Er tritt für eine bessere Integration psychisch Kranker ein. Oder der preisgekrönte Bild-Text-Roman „Die Rückkehr des Böhmerwaldkönigs“. Er bezieht sich auf einen propagandistischen Streifen von Karel Kachyňa von 1959. Kachyňas Film verherrlichte Grenzschützer, die Schleppern im Böhmerwald das Handwerk legten. Der neue Comicroman präsentiert diese Geschichte nun unter drastisch veränderten Gesichtspunkten. Ein anderes Problem greift „Die Heilige Barbara“ auf. Hier geht es um Kindesmisshandlung. Solche anspruchsvollen Formen des Comics seien in den USA seit jeher üblich, erläutert Pavel Kořínek:

Dagobert Duck im Erika-Fuchs-Haus  (Foto: Maria Hammerich-Maier)
„Der Begriff ‚Comic‘ wurde im amerikanischen Kulturraum bereits um 1930 allgemein für alle Arten von Bild-Text-Geschichten verwendet, bei denen Bild und Text verbunden sind und sich gegenseitig ergänzen. Comics sind ein eigenes Medium, eine selbstständige Kunstform, die Anleihen macht beim Film und der Literatur, beim Theater und der bildenden Kunst. Sie kombiniert diese Elemente und verknüpft sie so miteinander, dass dabei ein Gesamtwerk von einer neuen Qualität entsteht.“

Am Beginn des Comics standen gleichwohl in den USA wie in Europa vergnügliche, sittenkritische Bild-Text-Geschichten für die Jugend. Führende Comicserien und Zeichentrickfilme aus Walt Disneys Studio projizierten den American Way of Life in anthropomorphe Tierfiguren wie Micky Maus und Donald Duck. Der berühmte Erpel, den auch heute noch jedes Kind kennt, wurde übrigens vor genau 85 Jahren geschaffen. Im Erika-Fuchs-Haus würdigt man den runden Geburtstag mit einer kleinen Jubiläumsausstellung.

„Donald Duck ist das erste Mal in dem Film ‚Die kluge kleine Henne‘ in unserer Welt erschienen, und zwar am 9. Juni 1934. Da wohnte er auf einem Hausboot“, erzählt Gerhard Severin, der Bestände aus seiner umfangreichen Sammlung von Figurinen und Druckwerken beigesteuert hat.

Foto: Archiv des Erika-Fuchs-Hauses
Der Sammler gilt als geistiger Vater des Erika-Fuchs-Hauses. Träger des 2014 eröffneten Museums ist die Stadt Schwarzenbach mit Bürgermeister Hans-Peter Baumann an der Spitze.

Entenhausen und Schwarzenbach

Die breite Rezeption der Comics von Walt Disney im deutschsprachigen Raum ist nicht zuletzt der Sprachkunst von Erika Fuchs zu verdanken. Sie hat die Serien aus Hollywood nahezu vier Jahrzehnte lang an ihrem Wohnort Schwarzenbach an der Saale ins Deutsche übertragen. Aus „Duckburg“ und „Mouseton“ machte Erika Fuchs „Entenhausen“. Dabei flossen viele Züge der Schwarzenbacher Gegend ein. Museumsleiterin Alexandra Hentschel:

Foto: Archiv des Erika-Fuchs-Hauses
„Erika Fuchs hat es geschafft, die amerikanisch geprägten Comics für die deutschen Leser verständlich zu machen. Sie hat amerikanische Sitten und Gewohnheiten genommen und sie in deutsche umbenannt – zum Beispiel Halloween in Rosenmontag. Die deutschen Leser haben das dann sofort verstanden, ohne sich zu wundern, was eigentlich in dieser Geschichte passiert.“

Eingängige Redewendungen wie „Dem Ingenieur ist nichts zu schwör“, Anspielungen an Goethe und Schiller, aber auch eigene, comicgerechte Stilmittel verliehen dem Entenhausen-Kosmos Sprachwitz und Tiefe. Solche sprachliche Besonderheiten hat die tschechische Comictradition nicht hervorgebracht. Doch zu der Zeit, als die Walt-Disney-Figuren erfunden wurden, entstanden auch in der damaligen Tschechoslowakei bereits gezeichnete Bilderserien von hohem künstlerischem Wert.

Foto: Archiv des Erika-Fuchs-Hauses
„Josef Lada schuf die erste Comicadaption des Schwejk schon in den Jahren 1923 bis 1925. Es handelte sich nicht direkt um einen Comic mit Sprechblasen, doch es war eine Bilderserie von rund 540 Illustrationen mit kurzen Texten“, so Kořínek.

Nischendasein in der sozialistischen Ära

Die Comicserien und Zeichentrickfilme von Walt Disney gelangten in der Zwischenkriegszeit ebenso prompt in die tschechischen Kinos und Buchläden wie anderswo. Nach der kommunistischen Machtübernahme 1948 führten sie in der staatlich gelenkten Kultur allerdings ein Nischendasein.

Foto: Archiv des Erika-Fuchs-Hauses
„Micky Maus und Donald Duck wurden als etwas Westliches, Imperialistisches wahrgenommen. Als etwas, das in der sozialistischen Zukunft hierzulande entschieden nichts verloren hätte.“

Auch ein Großteil der einheimischen Comicproduktion wurde damals von der Zensur gemaßregelt, beschnitten oder ganz verboten. Großzügiger gab man sich nur bei Comics für Kinder, die frei vom Verdacht politischer Ambitionen waren. Trotz alledem gelang es in allen historischen Phasen, für den Comic gewisse Freiräume zu bewahren.

In Deutschland heuerten in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg einige heimatvertriebene Zeichner bei Comicverlagen an. Franz Roscher etwa, geboren in Ústí nad Labem / Aussig an der Elbe, ließ sich in München nieder. Dort wurde er künstlerischer Leiter des Studios von Rolf Kauka und zeichnete bei „Fix und Foxi“ mit. Ein anderer bedeutender Zeichner war Adolf Kabatek, der aus Liberec / Reichenberg stammte. Kabatek brachte als Generaldirektor des Comic-Verlages Ehapa, für den auch Erika Fuchs arbeitete, Asterix auf den deutschen Markt. Bereits im 19. Jahrhundert hatten einige deutschböhmische Zeichner von Bilderserien international Karriere gemacht. Auch hierüber informiert die Sonderausstellung im Erika-Fuchs-Haus. Heute erlebt die Comic-Kultur in Tschechien wieder einen Aufschwung. Dazu trägt auch das sich wandelnde Rezeptionsverhalten bei. Pavel Kořínek:

„Muriel und die Engel“ | Foto: Kája Saudek,  Verlag Plus
„Die Comicliteratur begünstigt selbstverständlich das, was man in der Kulturgeschichte die ‚visuelle Wende‘ nennt. Die Hinwendung zum Visuellen und zu allen Medien, die Information rasch und impulsiv vermitteln können. Anderseits sind Comics ein relativ konventionelles Medium, das eine aktive Partizipation des Lesers erfordert.“

Der Comic-Preis Muriel

Allmählich institutionalisiert sich die Sparte in Tschechien. So wurde ein Zentrum für Comicforschung gegründet. Seit nunmehr zwölf Jahren wird ein Pendant zum deutschen Max-und-Moritz-Preis verliehen, der Preis Muriel. Die Trophäe, eine schlanke Frauenfigur, ist nach einem Meisterwerk des tschechischen Comics benannt: „Muriel und die Engel“ von Miloš Macourek und Kája Saudek. Einige tschechische Bild-Text-Romane sind auch ins Deutsche übersetzt, wie „Alois Nebel“ von Jaroslav Rudiš und Jaromír Švejdík.

Museumsshop  (Foto: Maria Hammerich-Maier)
Ansonsten gibt es wenig Austausch zwischen den Comicszenen beider Länder. Ein tschechisch-deutscher Workshop, den das Erika-Fuchs-Haus im Januar veranstaltet, soll hier ein wenig Abhilfe schaffen. Tschechischer Projektpartner ist die Galerie Klatovy Klenová.

„Der Workshop richtet sich an junge Menschen zwischen 18 und 27 Jahren. Die Teilnehmer können von erfahrenen Comiczeichnern grundlegende Fertigkeiten dieses Handwerks erlernen. Es werden ein tschechischer Dozent und eine deutsche Dozentin mitwirken. Der ganze Workshop wird übersetzt, daher bietet er auch eine großartige Gelegenheit zu einem Kulturaustausch“, so Alexandra Hentschel.

Künftig wollen das Erika-Fuchs-Haus und die Galerie Klatovy Klenová mit einem zweisprachigen Flyer füreinander Werbung machen. Und bei öffentlichen Führungen können Besucher des Erika-Fuchs-Hauses noch bis zum Ende der Sonderausstellung viel Wissenswertes über die Comictraditionen beider Länder erfahren.

Erika-Fuchs-Haus  (Foto: Michael Stumpf,  Archiv des Erika-Fuchs-Hauses)

Öffentliche Führungen durch die Sonderausstellung und das Museum werden am 24. November dieses sowie am 23. Februar kommenden Jahres angeboten. Die Sonderausstellung „Ein Jahrhundert tschechische Comics“ ist noch bis Anfang März 2020 im Erika-Fuchs-Haus in Schwarzenbach an der Saale zu sehen.