Vom Eisernen Vorhang geprägt: Böhmerwald-Hirsche meiden Bayern

Foto: Free Domain

Vor fast 25 Jahren fiel der Eiserne Vorhang. Im Kopf der Hirsche im Böhmerwald steht der Grenzstreifen aber immer noch. Dies haben Forschungen ergeben, deren Ergebnisse die Verwaltung des Nationalparks Böhmerwald diese Woche veröffentlicht hat.

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Wie sich die Hirsche im Böhmerwald verhalten, das hat ein Expertenteam in den Jahren 2005 bis 2011 beobachtet. Die Tiere wurden mit Funkhalsbändern ausgestattet, die jede Stunde Informationen über ihren Standort lieferten. Der Zoologe Pavel Šustr war Leiter des Forschungsprojektes.

„Eine der interessanten Erkenntnisse ist der Effekt des Eisernen Vorhangs, den wir verzeichnet haben. Die Hirsche im Böhmerwald waren von ihren Artgenossen im angrenzenden Bayerischen Wald einst jahrzehntelang durch ein Sperrgebiet voneinander getrennt. Die Sperrzone war von Stacheldraht markiert. Hirsche leben ständig auf einem bestimmten Gebiet und ihr Verhalten ändert sich nicht über die Jahre. Die Jungtiere verbringen das erste Lebensjahr mit ihrer Mutter, die ihnen die Abgrenzung des Territoriums beibringt. Die Junghirsche im Böhmerwald lernten so von den Hirschkühen, dass ihr Gebiet nur bis zu der früheren Stacheldrahtlinie reicht. Das heißt, sie halten bis heute die nicht mehr existierende Grenze ein. Zwar bestehen Ausnahmen, aber der Effekt des Eisernen Vorhangs ist deutlich zu erkennen.“

Pavel Šustr  (Foto: Archiv des Nationalparks Böhmerwald)
Die Forscher kamen daher zum Schluss, dass sich die Hirschpopulation aus Böhmen nur wenig mit den Hirschen aus Bayern gemischt hat. Es gibt aber mindestens eine Ausnahme: der Hirsch, den die Zoologen „Vincek“ nennen, hat laut Šustr höchstwahrscheinlich eine deutsche Mutter. Darum ziehe es den Junghirsch ständig zum Äsen nach Bayern, so der Experte.

Insgesamt haben die Zoologen nun auch eine genauere Vorstellung davon, wie das typische Territorium von Hirschen aussieht:

„Erwachsene männliche Hirsche nutzen im Böhmerwald ein Gebiet von etwa 60 Quadratkilometern. Die Weibchen bewegen sich auf nur etwa 30 Quadratkilometern. Wir wissen jetzt, welche Landschaft und Natur die Hirsche bevorzugen.“

Böhmerwald  (Foto: Archiv Radio Prag)
Die Tiere suchen eher eine offene Landschaft oder ein Gebiet im Nationalpark, das vom Borkenkäfer befallen ist. In den strengen Schutzzonen des Nationalparks verursachen die Tiere laut Šustr keine größeren Schäden an kleinen Bäumen. Im Winter, wenn der Schnee hoch liegt, zögen die Hirsche aus den höheren Lagen in tiefere, erzählt der Zoologe. Einige der neuen Erkenntnisse hält der Wissenschaftler für die Natur des Böhmerwaldes wichtig.

Selbst wenn sich die Hirsche meist auf einem begrenzten Gebiet aufhalten, gibt es unter ihnen aber auch wanderlustige Typen. So legte einer der beobachteten Hirsche dem Zoologen zufolge etwa 20 Kilometer zurück, als er sich von Strážný / Kuschwarda nach Smrčina / Hochficht begab.