Vom Pakt zur Verfolgung: Sozialdemokraten und Kommunisten nach dem Krieg

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Die Sozialdemokraten werden genauso wie die Kommunisten traditionell zur politischen Linken gezählt. Das ist nicht ganz falsch: Beide Parteien betonen die Sozialpolitik und in Tschechien kommen auch ihre Wähler immer noch überwiegend aus denselben Schichten, also der Unter- und Mittelschicht. Dass sie den Kommunisten aber nahe standen, wurde den Sozialdemokraten hierzulande nach dem Zweiten Weltkrieg zum Verhängnis. Und bis heute beeinflusst diese tragische Partnerschaft die öffentliche Wahrnehmung der Sozialdemokraten in Tschechien.

Gasthaus „Zur Kastanie“
Die Sozialdemokratische Partei ist die älteste politische Partei der Böhmischen Länder. Sie wurde am 7. April 1878 im Gasthaus „Zur Kastanie“ im Prager Stadtteil Břevnov gegründet. Das Gasthaus besteht bis heute. Den Sozialdemokraten in Böhmen ging es wie ihren Genossen in anderen Ländern zunächst darum, die mittellose Arbeiterschaft vor allem in den industriellen Großstädten zu unterstützen. Das heißt, dass sie sich für die Rechte der Arbeiter einsetzten und für den Aufbau einer sozialen Sicherung.

Pavel Horák  (Foto: Archiv der Masaryk-Universität Brünn)
Die Mehrheit der Sozialdemokraten stand zudem hinter der Bildung der eigenständigen Tschechoslowakei im Jahr 1918. Unter dem damaligen Namen Sozialdemokratische Arbeiterpartei war sie in der Zwischenkriegszeit auch eine der bedeutendsten politischen Kräfte. Doch die Stellung zum Staat führte zur Spaltung der Partei – anders als in Deutschland, wo sich der Konflikt an der Unterstützung der Kriegspolitik des Reiches entzündete. Die tschechoslowakischen radikalen Linken schlossen sich jedenfalls recht schnell der internationalen kommunistischen Bewegung an. Pavel Horák ist Historiker am Masaryk-Institut der Tschechischen Akademie der Wissenschaften.

„Zu dieser Spaltung kam es 1920. Während die alte Sozialdemokratie zur staatsbildenden Partei wurde und ihr Programm schrittweise per Reformen umsetzen wollte, sahen die Kommunisten in dem neuen Staat ein ‚Werkzeug des Imperialismus’ und bekämpften ihn. Beide Parteien warben aber um dieselben Wählergruppen und gaben sich gegenseitig Schuld für die Spaltung. Die Kommunisten waren die größten Konkurrenten der Sozialdemokraten.“

Edvard Beneš
Nach dem Zweiten Weltkrieg schien es für kurze Zeit, als seien die Gräben zwischen beiden Parteien zugeschüttet. Beide kooperierten eng mit Präsident Edvard Beneš und versprachen der Öffentlichkeit, die neue Tschechoslowakei sozial gerecht aufzubauen:

„Das tschechoslowakische Parteiensystem wandelte sich während des Zweiten Weltkriegs stark. Die Exilregierung in London begann 1941 nach dem Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion, mit den Kommunisten zusammenzuarbeiten. Die Kommunisten lancierten damals die so genannte ‚Nationale Front’, das war die Zusammenarbeit aller demokratischen Parteien. Die Führer von Volkspartei, Volkssozialistischer Partei (Národní socialisté – deutsch daher auch ‚Nationale Sozialisten’, Anm.d.Red.) und Sozialdemokratischer Partei gingen darauf ein. Sie suchten nach der großen Wirtschaftskrise nach einer neuen Form der ‚Volksregierung’. Das politische System der Vorkriegs-Tschechoslowakei hatte ihrer Ansicht nach die Probleme nur verschärft, anstatt sie zu lösen. Die vier Parteien schlossen sich also zusammen und zugleich andere aus, darunter auch die früher einflussreiche Agrarpartei.“, so Pavel Horák.

Februar 1948 | Foto: Tschechisches Fernsehen
Viele Sozialdemokraten wollten sogar eine Vereinigung aller Linksparteien, paradoxer Weise wurden sie aber gerade von den Kommunisten dazu bewegt, selbständig zu bleiben. Diese hielten es für sinnvoller, einige befreundete Parteien zu haben und damit auch beherrschbare Verbündete. Hinter den Kulissen spielten die Kommunisten aber ein anderes Spiel. Als ihre größten Feinde bezeichneten sie „die Rechte“. Die Auslegung dieses Begriffes war jedoch äußerst flexibel. Im Prinzip wurden all jene Parteien und Politiker der Rechtsabweichung bezichtigt, die nicht mit den kommunistischen Machtansprüchen übereinstimmten. Nach dem kommunistischen Umsturz von 1948 gehörten dazu alle Gegner des neuen Regimes, also auch die Sozialdemokraten. Sie hatten zuvor aber heftig über das Verhältnis zu den Kommunisten gestritten, sagt Pavel Horák:

Zdeněk Fierlinger
„Es ging darum, mit wem die Sozialdemokraten ihre Ziele durchsetzen wollten – ob mit den Kommunisten, die nach den Wahlen von 1946 die Mehrheit im Parlament hatten, oder lieber mit den anderen Parteien. Der pro-kommunistische Flügel wurde vom früheren Botschafter in Moskau und ersten Ministerpräsidenten nach dem Krieg, Zdeněk Fierlinger, geleitet. Fierlinger wurde 1945 Vorsitzender der Sozialdemokraten, und seine Nähe zu den Kommunisten war allgemein bekannt. Sein Opponent hieß Václav Mayer, ein ehemaliger Bergmann und unbändiger Redner, der jedoch kein politisches Talent mitbrachte. Das Problem der Sozialdemokraten war aber auch der Mangel an charismatischen Persönlichkeiten, diese waren während des Krieges ums Leben gekommen. Trotzdem wagte die Partei 1947 eine letzte bedeutende Entscheidung: Sie wählte den konsequenten Demokraten Bohumil Laušman zum Vorsitzenden anstatt Zdeněk Fierlinger.“

Bohumil Laušman  (Foto: Archiv des Regierungsamtes der Tschechischen Republik)
Da war es aber bereits zu spät, um das Schicksal abzuwenden. 1948 traten die demokratischen Minister aus der Regierung zurück, und die Kommunisten hatten die ganze Macht in ihren Händen. Laušman raffte sich nicht zum Widerstand auf, im Gegenteil: Er wurde Stellvertreter des kommunistischen Ministerpräsidenten Klement Gottwald. Das half ihm jedoch nicht: 1949 emigrierte er zwar, doch wurde er entführt und zurück in die Tschechoslowakei gebracht. In seiner Heimat erhielt er 17 Jahre Gefängnis. 1963 starb er unter ungeklärten Umständen in seiner Haft.

Zdeněk Fierlinger übernahm – allerdings ohne Legitimation - noch im Jahre 1948 den Vorsitz der Sozialdemokraten. Er organisierte die Vereinigung mit den Kommunisten. Als Belohnung bekam er einen Sitz im Zentralkomitee der KPTsch und weitere hohe Posten. Dass sie sich der Sozialdemokraten entledigten, war für die Kommunisten auch aus internationaler Sicht sehr wichtig.

„Während die tschechischen Volkssozialisten in Westeuropa keine Schwesterpartei hatten, waren die Sozialdemokraten durch viele Kontakte auch international verankert. Durch die Vereinigung mit ihnen beseitigten die Kommunisten elegant einen ihrer traditionellen Gegner. Die Volkssozialistische Partei durfte dagegen unter Kontrolle noch weiter existieren, das sollte nach außen den Schein von Pluralität und Kontinuität geben“, sagt der Historiker Horák.

Damit war aber die Vergeltung der Kommunisten noch nicht zu Ende. Viele Sozialdemokraten wurden in politischen Prozessen wegen Hochverrats, Spionage oder Sabotage zu Gefängnisstrafen verurteilt. Als die tschechoslowakische Regierung 1953 eine Währungsreform durchsetzte und alle Einsparungen der Bevölkerung dadurch auf ein Fünftel zusammenschrumpften, kam es in mehreren Städten des Landes zu Unruhen. Um die Unruhen unterdrücken zu können, wurde der Begriff „Sozialdemokratismus“ geprägt, wie Pavel Horák erläutert.

Václav Kopecký  (Foto: Archiv der Zeitschrift Čtenář)
„Die einfachste Lösung für die kommunistische Regierung war, die Unruhen als eine ideologische Verschwörung hinzustellen. Sie bezeichneten diese als ‚Sozialdemokratismus’ und ‚Masarykismus’ und stellten sie als die größte Bedrohung hin. Es kam zu einer Verhaftungswelle, die vor allem die Städte Pilsen und Ostrau betraf - also die traditionellen Bastionen der Sozialdemokratie. Obwohl die Proteste eher spontan losgebrochen waren, vermutete das Regime berechtigter Weise, dass unter den Arbeitern weiter sozialdemokratische Ideen verbreitet waren. Der Hauptideologe der Kommunistischen Partei, Václav Kopecký, erklärte daher, es müsse dringend etwas dagegen unternommen werden.“

Die Zahl der Verhafteten lag damals bei mehreren Tausend. Geplant war sogar eine Art Monsterprozess nach stalinistischem Vorbild, solche Prozesse hatte es früher auch in der Tschechoslowakei schon gegeben. Aufgrund der veränderten politischen Lage kam es aber nicht dazu. Nach einer allgemeinen Amnestie wurden 1960 auch viele der verhafteten Sozialdemokraten freigelassen. Manche blieben jedoch bis 1964 im Gefängnis oder erlebten die Freiheit überhaupt nicht mehr. 1966 erklärte der Oberste Gerichtshof alle Urteile gegen Sozialdemokraten für ungültig. Während der Reformbewegung des so genannten Prager Frühlings 1968 gab es Versuche, die sozialdemokratische Partei zu erneuern, die militärische Intervention der Staaten des Warschauer Paktes beendete jedoch diese Hoffnung. Es dauerte noch weitere 21 Jahre, bis die politische Freiheit in die Tschechoslowakei zurückkehrte.