Von Shakespeare lernen – Projekt EuroGlobe sucht die Antwort auf Europas Probleme
Wie funktioniert Europa? Menschen in allen 27 Mitgliedsstaaten der EU versuchen eine Antwort auf diese Frage zu finden. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Die vielen unterschiedlichen Vorstellungen über Europas Zukunft zusammenzuführen, und eine gemeinsame Idee von Europa zu entwickeln, das ist auch das Ziel des Projekts EuroGlobe. Helfen soll dabei ein 400 Jahre altes Theaterkonzept von William Shakespeare.
„Die Idee von 180 Grad vereint eigentlich ganz unterschiedliche Genres, zum Beispiel Hip Hop, Theater, politische Debatten. Unser Interesse ist, diese unterschiedlichen Kulturbereiche zusammenzubringen und unter die Oberfläche zu gehen.“
Aber zurück zum Halbkreis, zurück zu den 180 Grad. Der Ursprung des 180-Grad-Konzeptes ist schon 400 Jahre alt, und sein geistiger Vater ist einer der bedeutendsten Dichter und Dramatiker der Weltliteratur: William Shakespeare. Als geistigen Vater des aktuellen Projektes EuroGlobe kann man den deutschen Theaterregisseur und Theaterschauspieler Norbert Kentrup bezeichnen. So bilden auch Aufführungen von Shakespeares Theaterstücken den zentralen Programmteil des EuroGlobe-Projektes. William Shakespeare schrieb seine Stücke für ein ganz besonderes Theater, nämlich für „sein“ Globe-Theater, eine der größten und wichtigsten Spielstätten im elisabethanischen London. Das Theater wurde in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zweimal durch Brände zerstört und schließlich 1644 endgültig abgerissen. Das Besondere – und der größte Unterschied zu den heutigen Theatern – bestand zum einen in der großen Nähe zwischen Schauspielern und Zuschauern und, dass das Publikum in einem Halbkreis – also 180 Grad – um die Bühne saß und stand. Globe? EuroGlobe? Norbert Kentrup stellt die Verbindung her:
„Dieses Theater funktioniert eigentlich nur, wenn die Interaktion zwischen Bühne und Zuschauerraum funktioniert. Die Zuschauer sind Bestandteil der Vorstellung. Diese Idee wollten wir mit EuroGlobe in die politische Philosophie übertragen. Europa ist nun kein Guckkastentheater mehr. Wenn sich das Europäische Parlament ansieht, fällt auf, dass die 700 Abgeordneten dort im Kreis sitzen. Man ist umgeben von Freunden, die ehemalige Feinde sind. Und jetzt versuchen wir zusammen herauszufinden: Wie geht die Zukunft? Wie geht Europa? Aber keiner weiß es.“
Ausgehend von Shakespeares Theaterphilosophie erhoffen sich Kentrup und das EuroGlobe-Team also Antworten zu finden. Antworten darauf, wie Europa funktionieren könnte. Denn auch bei den ursprünglichen Shakespeare-Aufführungen wusste niemand: Wie funktioniert die Show? Wie funktioniert der Abend? Wie reagieren die Zuschauer? Einzige Möglichkeit für die Schauspieler, der Unsicherheit zu begegnen, war eine gute Vorbereitung auf die Interaktion mit dem Publikum. Und genau das wollte eine Gruppe von Schauspielstudenten der DAMU, der Theaterfakultät der Akademie der musischen Künste in Prag, lernen. Dazu haben sie Ende Februar einen Workshop bei Norbert Kentrup besucht. Dana Marková ist eine der Studentinnen:„Bei uns in der Tschechischen Republik arbeitet man nur wenig mit der direkten Ansprache des Publikums. Die Kommunikation mit dem Publikum wird nur wenig verwendet. Was ich an dem Workshop bei Herrn Kentrup interessant fand, war herauszufinden, an welchen Stellen man etwas zum Publikum sagen könnte und das dann auch zu tun. Das gefällt mir sehr an diesem Konzept, und das ist ein großer Unterschied dazu, wie ich Shakespeare bisher kennen gelernt habe hier bei uns an der Schule.“
Norbert Kentrup weiß nicht von ungefähr, wie er bei den Studenten die Begeisterung für das anscheinend neue, aber eigentlich schon 400 Jahre alte Theaterkonzept weckt. Er ist ausgewiesener Shakespeare-Experte. 1998 hatte er als bisher einziger deutscher Schauspieler die Ehre, im wiedererbauten Globe-Theater in London zu spielen. Diese Bühne war ein Jahr zuvor eröffnet worden. 2001 gründete Kentrup das seither vielfach ausgezeichnete Theaterensemble „Shakespeare und Partner“. Pavel Kryl ist wie Dana im vierten Studienjahr, dem Abschlussjahr der DAMU. Ihn hat besonders beeindruckt, wie anspruchsvoll das Spielen auf der Shakespeare-Bühne ist:
„Man steht viel mehr unter Adrenalin bei dieser Art von Schauspiel. Man kommt da auf die Bühne, die nach drei Seiten offen ist, und die Zuschauer sind so etwas wie Mitspieler. Man muss mit ihnen rechnen. Im heutigen Theater, auf der herkömmlichen Guckkastenbühne, spielen wir eigentlich gegen die so genannte vierte Wand. Das heißt, wir spielen und die Leute schauen sich das an. Normalerweise achtet man dabei nur auf seinen Partner und auf das, was auf der Bühne geschieht. Aber so ist es viel lebendiger, und das ist interessant.“
Anstrengend sei das zwar auch, gibt Pavel zu. Aber er und seine Kommilitonen hätten etwas für die Zukunft gelernt. Und das auch dann, wenn sie später fast nur noch auf der klassischen Guckkastenbühne spielen sollten:
„Durch den Workshop haben wir gelernt, uns nicht vor dem Zuschauer zu fürchten und ihn stärker wahrzunehmen. Es geht darum, den Zuschauer als jemanden zu verstehen, der uns mit seiner Energie und seinem Interesse gegebenenfalls hilft bei dem, was wir auf der Bühne tun. Es ist wichtig zu lernen, mit ihm zu kommunizieren und ihn mehr in unser Spiel mit einzubeziehen, jedenfalls mehr als wir das jetzt noch tun und zwar im gesamten Theater.“
Hört sich also so an, als sei Norbert Kentrup erfolgreich gewesen bei der Vermittlung von Shakespeares 180-Grad-Konzept. Und genau darin sieht Kentrup auch seine Aufgabe und die seiner Mitstreiter bei „Shakespeare und Partner“, wobei er noch einmal den Bogen zur Politik schlägt:
„Wir versuchen als Schauspieler unseren Kollegen beizubringen, wie man nach drei Seiten spielt, wie man wirklich kommuniziert, wie man sich in die Augen schaut. Denn in dem Moment, wenn man sich auf den anderen Menschen einlässt, verändert sich auch die Haltung zu dem Gegenüber. Und das ist die Herausforderung für Europa. Es sind 27 Nationen. Vor den meisten haben wir Angst. Und wenn man sich in die Augen schaut, verliert man vielleicht ein wenig die Angst.“
Kommunizieren ist also wichtig - im Theater aber auch in Europa. Und noch etwas ist bei beidem wichtig: Einfühlung. Die Fähigkeit in eine andere Position, in eine Rolle zu schlüpfen, die einem zunächst fremd erscheint, ist wohl eine unabdingbare Vorraussetzung für einen guten Schauspieler. Und auch dieser Aspekt hat seinen Platz in Shakespeares Theater, wie Studentin Dana amüsiert betont.
„Die Jungs haben Frauen gespielt und wir haben Männer gespielt. Das war sehr interessant. Einfach mal einen anderen Blick auf die Dinge zu bekommen.“Mitte Mai kann man sich die Ergebnisse des Workshops im Rahmen des EuroGlobe-Festivals in Prag anschauen. In der tschechischen Hauptstadt wird das Festival aber zum vorerst letzten Mal stattfinden. Die Europäische Kommission, die das Projekt fördert, hat entschieden, dass EuroGlobe keinen Theaterschwerpunkt mehr haben soll. Stattdessen wird ein Nachfolgeprojekt in Spanien organisiert, mit dem Fokus auf Musik und Kurzfilmen.
Nicht nur Projektkoordinatorin Andrea Hützelt hofft aber, dass man auch mit der Theaterarbeit in Zukunft fortfahren kann:
„Ein mobiles Globe-Theater zu bauen, mit dem man wirklich reisen könnte, das bewegt uns weiterhin. Und wenn es dafür Investoren geben würde, dann würden wir das sehr gerne umsetzen, weil das die ursprünglichste Idee des ganzen Projekts war.“
Vom 11. bis 20. Mai gastiert EuroGlobe aber zunächst noch einmal in Prag. Mehr Informationen findet man im Internet. Die Adresse www.euroglobe.info.