Vor 90 Jahren wurde die Tschechoslowakische Hussitische Kirche gegründet

Hussitenkelch

Die heutige Ausgabe der Kapitel aus der Tschechischen Geschichte ist dem runden Geburtstag der Tschechoslowakischen Hussitischen Kirche gewidmet, die vor 90 Jahren ins Leben gerufen wurde. Mehr dazu erfahren Sie nun von Robert Schuster.

Die Tschechoslowakische Hussitische Kirche wurde am 8. Januar 1920 offiziell gegründet. Gemäß der letzten Volkszählung von 2001 hat die Kirche knapp 100 000 Mitglieder, was etwa einem Prozent der Bevölkerung entspricht. Unter den in Tschechien wirkenden Kirchen nimmt die Hussitische Kirche damit den dritten Platz ein – hinter der römisch-katholischen und der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder.

Die Hussitische Kirche bezeichnet als Quelle ihrer Lehre wörtlich die Rückkehr zum wahren Kern des Christentums und zur Ur-Kirche. Sie sieht sich in der Tradition des 1415 in Konstanz verbrannten tschechischen Kirchenreformators Jan Hus. Gleichzeitig waren an ihrer Entstehung radikale Vertreter der katholischen Moderne beteiligt, angeführt von Karel Farský – ihrem späteren ersten gewählten Oberhaupt.

Jan Blahoslav Lášek  (Foto: Jana Šustová)
Was waren damals vor neunzig Jahren die Motive für die Entstehung der Hussiten-Kirche? Etwas vereinfacht ausgedrückt war deren Gründung ein Konflikt mit der katholischen Kirche vorausgegangen, die in einer Abspaltung gipfelte. Darüber unterhielten wir uns mit dem Historiker und Dekan der Hussitischen Fakultät der Prager Karlsuniversität, Professor Jan Blahoslav Lášek:

"Ich muss sagen, dass es damals nicht nur um die Abspaltung ging. Die Frage war die Reformierung der allgemeinen Kirche. Solche Bestrebungen finden wir während des gesamten 19. Jahrhunderts in Böhmen, und zwar sowohl auf der tschechischen, wie auch auf der deutschen Seite. Bei den Deutschen aus Böhmen haben diese Bemühungen nach dem ersten Vatikanischen Konzil in der Gründung der Altkatholischen Kirche gegipfelt. Auf der tschechischen Seite war das etwas anders, obwohl die Reformbestrebungen, wie die Einführung der Muttersprache in der Liturgie, die Forderung nach der Demokratisierung der Kirche, die Verfreiwilligung des Zölibats, die finden wir während des ganzen 19. Jahrhunderts."

Karel Kardinal Kašpar
Eine wichtige Rolle bei der späteren Gründung der Hussitischen Kirche spielte die tschechische Priestervereinigung "Jednota" - auf Deutsch "Einheit". Sie wurde Ende des 19. Jahrhunderts von Reform-Anhängern innerhalb der katholischen Amtskirche ins Leben gerufen und hatte zeitweise bis zu 4 000 Mitglieder, die sich quer aus allen hierarchischen Ebenen rekrutierten. So gehörten zu deren Mitgliedern zum Beispiel auch der spätere katholische Prager Erzbischof, Karel Kardinal Kašpar.

Nachdem allerdings Papst Pius X. 1907 seinen Erlass gegen den Modernismus in der Kirche veröffentlichte, wurde die „Jednota“ aufgelöst. Mit der Gründung der Tschechoslowakischen Republik im Jahr 1918 wurde sie wieder erneuert. Ein Jahr später formulierte sie ein Programm mit dem Titel "Erneuerung der katholischen Kirche in der Tschechoslowakischen Republik". Die Autoren waren der Schriftsteller und katholische Geistliche Jindřich Šimon Baar und Pater Franz Teplý, der Archivar bei der Familie Czernin war. Im Sommer 1919 fuhr eine Delegation der reformorientierten tschechischen Geistlichen nach Rom und verlangte in einem Memorandum vom Heiligen Stuhl die Erfüllung ihrer Forderungen. Der Papst lehnte das Ansuchen ab, womit praktisch der Grundstein für die Entstehung der neuen Kirche im Januar 1920 gelegt wurde.

Nikolauskirche am Altstädter Ring in Prag dient der Hussitenkirchengemeinde
Auffällig ist, dass die Gründung der neuen Kirche fast zeitgleich mit der Gründung der Tschechoslowakischen Republik einherging. War das reiner Zufall? Gemäß einigen Quellen gab es Versuche aus der Tschechoslowakischen Kirche einer Art Staatskirche zu entwickeln. Professor Lášek widerspricht dem allerdings:

"Das entspricht nicht der Wahrheit. Im österreichischen Kaiserreich war es nicht möglich, eine neue Priestervereinigung zu gründen. Natürlich waren die Bedingungen in der neu geschaffenen Republik andere. Aber die neue Kirche war nicht mit dem Staat, dessen Außenpolitik verbunden. Diese ’Jednota’ war 1907 verboten worden, aber dann nach der Gründung des Staates wurde sie sofort erlaubt, obwohl klar war, dass es dieselbe modernistische Vereinigung war, wie die ursprüngliche ‚Jednota’. Aber der Vatikan hat eingesehen, dass man auf diesem Felde etwas unternehmen muss."

Hussitenkirche in Olomouc
Wurden aber nicht in den ersten Jahren des Bestehens der Kirche die Kinder "Im Namen der Republik" getauft, worin sich die starke Verbundenheit zwischen Kirche und der Republik zeigte?

"Das stimmt nicht. Alle Geistlichen der Hussitischen Kirche waren ja ursprünglich katholische Priester und haben eine Trinitätstaufe durchgeführt. Natürlich gab es Exzesse, so wie es auch in der altkatholischen Bewegung der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts verschiedene nationalistische Neigungen gab. Aber diese Exzesse wurden ja von der Leitung der Kirche auch verfolgt. Im Namen der Republik zu taufen wäre ja ein Unsinn."



Hl. Gorazd  (Matěj Pavlík)
Die Position der Tschechoslowakischen Kirche im Vergleich zu anderen Konfessionen wurde in den Anfangsjahren dadurch erschwert, dass kein Bischof in die neue Kirche gewechselt ist. Somit fehlte ihr die so genannte Apostolische Nachfolge, wonach bei den geweihten Bischöfen eine Entwicklungslinie bis hin zu den ersten Aposteln zurückverfolgt werden kann. Die Tschechoslowakische Kirche bemühte sich jedoch sie zu erlangen. Ein Versuch diese von der Altkatholischen Kirche zu erhalten scheiterte an der nationalen Frage: Bei vielen Anhängern der neuen Kirche gab es große Sympathien gegenüber den slawischen orthodoxen Kirchen, zum Beispiel der serbischen und daher wurden auch mit der serbisch-orthodoxen Kirche entsprechende Verhandlungen geführt. Schließlich wurde der mährische Priester Matěj Pavlík im Jahr 1921 im damaligen Jugoslawien zum Bischof geweiht. Es war jedoch klar, dass die neue reformistische Bewegung nicht die Orthodoxie annehmen kann. Pavlík, der als Bischof den Namen Gorazd annahm, hat allerdings 1924 die Tschechoslowakische Kirche verlassen und eine eigenen Kirche unter der Jurisdiktion der serbisch-orthodoxen Kirche gegründet.

Wie entwickelte sich das Verhältnis der Tschechoslowakischen Hussitischen Kirche zur deutschen Reformation und den dortigen protestantischen Kirchen? Dazu sagt Professor Jan Blahoslav Lášek:

Jan Hus
"Ja, sehr gut. Die Tschechoslowakische Kirche hat schon in den zwanziger Jahren zahlreiche Kontakte gepflegt. Schon in den zwanziger Jahren studierte der spätere Patriarch Miroslav Novák in Marburg und auch weitere Vertreter der hussitischen Kirche studierten an deutschen Universitäten, in Marburg, Leipzig, Heidelberg und anderen. Es gab natürlich auch Kontakte nach England oder Frankreich, aber zum deutschen Luthertum gab es schon von Anfang an Beziehungen - ungefähr seit 1927- und sie bestehen bis heute. "

Diese engen Beziehungen zum Ausland entsprachen auch einer weiteren wichtigen Aufgabe, welche sich die Tschechoslowakische Kirche ebenfalls als eines ihrer Ziele setzte, wie Professor Lášek hinzufügt:

"Sie sollte eine Brücke sein zwischen Reformkatholizismus und der Reformation."

Jan Hus auf dem Scheiterhaufen
Aber auch in die andere Richtung, sprich zur katholischen Kirche, hat sich das Verhältnis stark verändert. Dafür ausschlaggebend das Zweite Vatikanische Konzil, auf dem zahlreiche frühere Forderungen der Modernisten und der späteren Tschechoslowakischen Kirche, wie die Feier der Liturgie in der Muttersprache und eine Annäherung zwischen Priestern und Gläubigen, offiziell angenommen wurden. Und auch in der für die tschechischen Hussiten wichtigsten Frage, nämlich der Haltung des Heiligen Stuhls zur Person des Kirchenreformators Jan Hus, ist Bewegung gekommen. So fand 1999 in Rom ein großes Hus-Symposium statt, bei dem Vertreter der Tschechoslowakischen Kirche anwesend waren und vom damaligen Papst Johannes Paul II. empfangen wurden. Das Oberhaupt der katholischen Kirche hat aus diesem Anlass wörtlich sein tiefes Bedauern über den grausamen Tod Hus´ geäußert. So etwas wäre in den Zwanziger- und Dreißigerjahren oder in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg nicht denkbar gewesen. Sind also die Hussiten heute aus der Sicht des Vatikans keine Ketzer mehr? Hören Sie dazu abschließend noch einmal den Dekan der Hussitischen Fakultät der Prager Karlsuniversität, Jan Blahoslav Lášek:

"Wir haben kein Gefühl, dass wir Ketzer sind. Man ist mit uns wie mit geteilten Brüdern verfahren, wie mit den Vertretern anderer Konfessionen."