Wahlen als politisches Erdbeben – Reaktionen von Politikern und Politologen

Foto: ČTK

Um 14 Uhr wurden in der Tschechischen Republik die Wahllokale geschlossen. Nach den Teilergebnissen führen - wie erwartet - die Sozialdemokraten (ČSSD) vor der Partei ANO. Dazu erste Reaktionen von Politikern und Politikwissenschaftlern.

Bohuslav Sobotka  (Foto: ČTK)
Als Wahlsieger in den vorgezogenen Neuwahlen zeichnen sich die Sozialdemokraten ab. Bisher haben sie rund 21 Prozent der Stimmen. Der Parteichef der Sozialdemokraten, Bohuslav Sobotka, lehnte es ab, sich konkret zu den künftigen Verhandlungen über eine mögliche Regierungskoalition zu äußern. Trotzdem sagte er:

„Überraschenderweise gibt es da viele Punkte, auf die sich einige der Parteien während des Wahlkampfs einigen konnten. Sollte es sich bestätigen, dass im Parlament wirklich sieben Parteien vertreten sind, wird es natürlich schwierig, sich über Gesetze abzusprechen. Wenn die ČSSD Wahlsieger ist, trägt sie die Verantwortung dafür, ein vernünftiges Projekt für die nächsten vier Jahre vorzubereiten. Es gilt auch weiterhin das, was wir vor den Wahlen gesagt haben: dass wir mit der Partei TOP 09 und mit den Bürgerdemokraten an der Regierung nicht zusammenarbeiten werden.“

Andrej Babiš  (Foto: ČTK)
Der Gründer und Chef der Partei ANO, Andrej Babiš, wollte vor 17 Uhr die Wahlresultate noch nicht kommentieren. Er erklärte, es sehe sehr hoffungsvoll aus. In den laufenden Auszählungen erhielt ANO über 18 Prozent. Babiš sagte aber, zuerst werde der Ausschuss seiner Partei zusammentreffen.

„Die Chefs der Kreisorganisationen kommen nun zusammen, wir werden über die Lage diskutieren. Falls wir wirklich etwa 18 Prozent der Wählerstimmen bekommen haben, sind wir froh. Es freut uns, dass es uns gelingt, die Sozialdemokraten daran zu hindern, mit Unterstützung der Kommunisten die Macht zu ergreifen. Das wäre glänzend.“

Tomáš Lebeda  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Babiš fügte hinzu, seine Partei wolle nicht an der Regierung teilnehmen, sondern es gehe ihr viel mehr darum, bestimmte Gesetze im Abgeordnetenhaus durchzusetzen.

Diese Wahlen haben sich schon durch die Wahlkampagne von den vergangenen Wahlen unterschieden. Tomáš Lebeda ist Politikwissenschaftler an der Palacký-Universität in Olomouc / Olmütz.

„Der Wahlkampf hatte kein zentrales Thema, weil es kein Duell zwischen Rechts und Links gab. Bisher waren wir es immer gewöhnt, dass es eine starke rechte und eine starke linke Partei gab und um sie herum noch weitere, politisch ähnlich geartete kleinere Gruppierungen. Es war der Kampf zweier Alternativen, entweder regierte dann die Linke oder die Rechte. Nun sind weitere Alternativen aufgetaucht, die aber weltanschaulich nicht mehr zuzuordnen sind. Sie stellen weder einen liberalen, noch einen konservativen oder sozialistischen Weg dar. Das ist meiner Meinung nach sehr intransparent, die Wähler scheint das aber nicht zu stören.“

Michal Klíma  (Foto: Archiv der Metropolitan University in Prag)
Die Politologen halten diese Wahlen für eine Art Protestwahl. Michal Klíma ist Politikwissenschaftler an der Metropolitan University in Prag. Er wertet den Urnengang als politisches Erdbeben:

„Die Hauptkonturen des Parteisystems, das es hierzulande 20 Jahre lang gab, sind erschüttert. Das System, in dem es eine starke Partei auf der rechten und eine starke Partei auf der linken Seite des politischen Spektrums gibt, war bereits nach den vergangenen Wahlen geschwächt. Die beiden bis dahin stärksten Parteien, die ČSSD und die ODS, hatten 40 Prozent zusammen, früher waren es noch 60 Prozent gewesen. Dies ist eine sehr ernste Krise der traditionellen Parteien. Es kam zur Infiltration von wenig transparenten Interessensgruppen in diese Parteien. Diese Gruppierungen haben teilweise Verbindungen zur organisierten Kriminalität und schaden vor allem den früheren Regierungsparteien.“