Wahlen: In Nordmähren setzt man anstatt auf Politik auf die Unternehmer
Letzten Umfragen zufolge waren sich noch vorige Woche erst 51 Prozent der Wahlberechtigten vor den an diesem Freitag und Samstag stattfindenden Wahlen zum tschechischen Abgeordnetenhaus klar darüber, welcher Partei bzw. welchem Wahlbündnis sie ihre Stimme geben werden. Ein sichtbares Zeichen dafür, dass in Tschechien bei weitem noch keine solch ausgeprägte Stammwählerschaft anzutreffen ist, wie in den westlichen Demokratien. Deshalb hat sich Radio Prag einmal in einer Region umgeschaut und umgehört, die dennoch und trotz aller Probleme als sozialdemokratische Hochburg angesehen wird. Es ist die Region Nordmähren, in der eine überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit herrscht. Lothar Martin war für uns vor Ort.
Die Region Nordmähren liegt im äußersten Nordosten der Tschechischen Republik und hat eine lange gemeinsame Grenze mit Polen und der Slowakei. Also nicht gerade Nachbarländern, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation als Investoren großen Stils in Frage kommen. Das heißt, dass man in Nordmähren weitestgehend auf sich allein gestellt ist. Es sei denn, man erhält eine großzügige Unterstützung seitens der Landesregierung, zum Beispiel bei der Verbesserung der Infrastruktur. Doch der Ausbau beispielsweise des Straßennetzes lässt nach wie vor zu wünsch übrig, der Baubeginn der Autobahn A 47 von Vyskov bis nach Ostrava/Ostrau und weiter bis zur polnischen Grenze ist immer noch offen.
Ein Grund also für die hiesigen Unternehmer, mit dem Zeigefinger auf die Politiker zu zeigen. Mitnichten! Wie uns der Direktor der renommierten Hutfabrik TONAK in Nový Jicín, Ing. Michal Simek, versicherte, zeichnet sich der gute Unternehmer dadurch aus, seine Geschäfte auch ohne politische Unterstützung auf Trab zu halten:
"Ich habe selbstverständlich in meinem Leben ausreichend Erfahrungen sowohl mit dem vergangenen als auch mit dem heutigen System gemacht, ebenso mit einer rechts- als auch linksorientierten Regierung. Im wesentlichen versuche ich, das Unternehmen so aufzubauen, dass es unabhängig ist von jedweden politischen Einflüssen."
Daher will sich Simek auch nicht darüber äußern, inwieweit er mit der in Tschechien betriebenen Politik zufrieden sei und welcher Partei er ggf. am meisten zutraue. "Hauptsache die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen stimmen, alles andere wird auf dem Markt entschieden," erklärt Simek und moniert lediglich, dass die Straßenverbindung zwischen Hranice und Lipník nad Becvou ihm stets viel Zeit und Nerven kostet.
Von Ing. Simek erfahren wir aber auch, dass er seinen rund 1000 Arbeitnehmern in der Hutfabrik den durchschnittlichen Monatslohn von lediglich 10.000 Kronen zahlt. Ein Betrag, für den man sich hierzulande fast nichts kaufen kann. Eine der älteren Arbeitnehmerinnen von TONAK fragte ich denn auch, ob dieser Verdienst für ein zufriedenes Leben reicht:
"Also ich finde, nein. Wir würden bestimmt gern mehr Geld für unsere Arbeit erhalten, denn wir müssen nicht wenig davon für Miete, Strom und Gas aufwenden. Aber es gibt Leute, die es noch wesentlich härter trifft als uns."
Ob die Politik daran nicht etwas ändern könne, darüber wollte sie aber lieber nicht mit mir sprechen. Die Regierung hätte sicher mehr tun können für die Menschen hier in der Region, aber die Hauptsache ist, man hat Arbeit, und das ist das Wichtigste. In ihrem Alter finde man eh keine andere Arbeit, die man noch erlernen könne.
Fragen wir also noch einmal nach in einem die Region über Jahrzehnte hinweg prägenden Unternehmen, die Tatra-Werke in Koprivnice. Der weltbekannte LKW-Hersteller hat einen seit der Wende sehr steinigen Weg der Umstrukturierung hinter sich. Er musste seine Belegschaft von 16.000 Arbeitnehmern im Jahr 1990 auf heutige 5.500 Beschäftigte reduzieren. Dabei habe man auch lange ohne die Hilfe der Politik auskommen müssen, erklärt uns Finanz- und Personaldirektor, Ing. Jan Ludva:
"Im Jahr 1997, denke ich, war uns bei der Lösung unseres Problems große Unterstützung von Seiten der ODS zugesichert worden, aber es herrschte kein günstiges Klima. Ich denke, die konsistente sozialdemokratische Regierung danach hatte den Vorteil, dass sie sich auf ein Restrukturierungsprogramm verständigen konnte, von dem auch wir profitiert haben."
Also doch die Sozialdemokraten, die in der Region angesehen sind. Nein, das wäre zu einfach. Den Reaktionen der von mir befragten Menschen in Nordmähren zu urteilen, ist die Politik für sie nur zweitrangig. Die Hauptsache ist, man hat Arbeit und etwas Geld im Portemonnaie. Und um das zu haben, setzt man eindeutig mehr auf die Unternehmer als auf die Politiker, die austauschbar sind.