Waldbirkenmaus und hölzerne Dämme – Klima- und Artenschutz in tschechisch-deutschem Moorprojekt

An der tschechisch-deutschen Grenze bei Nové údolí

Besonders im Böhmerwald sind viele Jahrzehnte lang Moore durch Entwässerungsgräben trockengelegt worden. Aber auch auf bayerischer Seite müssen Feuchtflächen bewahrt werden. Dazu wurde 2018 ein sechsjähriges grenzüberschreitendes Projekt gestartet: „Life for Mires“ heißt es auf Englisch beziehungsweise „Leben für Moore“ auf Deutsch. Wie dabei Klima- und Artenschutz miteinander verbunden werden, wurde bei einer Begehung vor Ort beiderseits der Grenze gezeigt.

Feuchtwiese bei Dobrá - Biologin Ivana Bufková zeigt,  wie es vorher ausgesehen hat | Foto: Till Janzer,  Radio Prague International

Ivana Bufková kennt die Wege, auf denen man nicht knietief versinkt. Östlich der Gemeinde Dobrá / Guthausen im Böhmerwald führt sie bei einer öffentlichen Begehung durch die Feuchtwiese und die Moorbereiche. Diese wurden im Rahmen des grenzüberschreitenden Projektes „Leben für Moore“ renaturiert. Insgesamt sind es 43 Flächen im Böhmerwald, die auf diese Weise wiedervernässt werden. Bufková ist die Expertin für Moore in Tschechien und arbeitet für den Nationalpark Böhmerwald:

„Das häufigste Problem, das wir bei den Flächen im Rahmen des Projekts ‚Leben für Moore‘ bewältigen müssen, sind Entwässerungsgräben in den Hängen der Quellgebiete. Kleine Gebirgsbäche wurden begradigt und kanalisiert sowie die angeschlossenen Feuchtgebiete durch Oberflächenkanäle entwässert. Das hat enorme Folgen für den Wasserhaushalt, die sich durch den Klimawandel noch verstärken.“

Foto: Till Janzer,  Radio Prague International

Für die Revitalisierung werden die Entwässerungsgräben verschlossen und die Quellen wieder freigelegt – so beginnen die Gebirgsbäche zu mäandern wie früher. Für das Verschließen der Gräben seien Holzdämme angelegt worden, schildert Ivana Bufková:

„Dazu wurde mit dem Bagger ein Einschnitt gemacht. Die Holzlatten wurden dann in zwei Reihen eingelassen, um die Zwischenräume zwischen den nebeneinanderstehenden Latten zu verdichten. Die Dämme wurden mit stark verdichteter Erde zugeschüttet und die Räume zwischen den Dämmen mindestens zu zwei Dritteln mit weiterer Erde gefüllt. Im ersten Jahr des Projekts haben wir die Gräben einfach nur zugeschüttet. Als wir dachten, zufrieden sein zu können, zeigte sich, dass die Bäche unter der aufgeschütteten Erde hindurchflossen.“

Illustrationsfoto: Till Janzer,  Radio Prague International

Nun sind in der Ebene die Dämme bis zu 30 Meter voneinander entfernt. An Hängen müssen sie jedoch dichter stehen, mit sieben bis vier Metern Abstand. Weil der Grundwasserspiegel auf diese Weise angehoben wurde, schlängelt sich auch durch die Feuchtwiese bei Dobrá wieder ein Bach hinunter zur Warmen Moldau. Dass er mäandern darf, hat zudem positive Auswirkungen auf den Hochwasserschutz beispielsweise in Prag…

„Diese Bäche können eine Flutwelle abbremsen, weil sich das Wasser verteilen kann. Im unteren Bereich der Moldau schießt dann nicht so viel Wasser auf einmal in die Gemeinden und Städte – und auch nicht mit so enormem Druck“, erläutert die Expertin.

Foto: Till Janzer,  Radio Prague International

Denn Blitz-Hochwasser und Überschwemmungen seien neben der Trockenheit ein weiteres Phänomen des Klimawandels, betont Bufková. Das Projekt „Leben für Moore“ wurde 2018 gestartet und läuft noch bis 2024. Gegenüber Radio Prag International zog Bufková eine positive Zwischenbilanz:

„Mittlerweile haben wir die Arbeiten an ungefähr der Hälfte der Projektflächen beendet. Damit liegen wir ziemlich gut im Plan. Insgesamt wollen wir 2056 Hektar Feuchtflächen im Böhmerwald revitalisieren, mit rund 940 Hektar sind wir bereits fertig.“

Die Aufgabe ist dabei groß. Denn ein Drittel des Böhmerwaldes besteht eigentlich aus Feuchtflächen. 6000 Hektar sind davon Moore. Und von ihnen hat ein Drittel Probleme mit der Wasserzufuhr. Immerhin betont die Geobotanikerin:

Feuchtwiese bei Dobrá - Blick in Richtung Warme Moldau | Foto: Till Janzer,  Radio Prague International

„Im Böhmerwald sind nur einige Hektar komplett verlorengegangen. Aber viele Feuchtflächen hier sind degradiert. Das bedeutet, der Laie erkennt gar nicht mehr, dass es sich eigentlich um solche Flächen handelt. Das Grundwasser ist nicht mehr zehn Zentimeter unter der Oberfläche, sondern befindet sich zum Beispiel in 80 Zentimeter Tiefe. Auch die Vegetation ist trockenliebend geworden, feuchtliebende Pflanzen nehmen nur noch rund zehn Prozent der Fläche ein. Die meisten Projektflächen, an denen wir arbeiten, sind in dieser Weise beschädigt.“

Niedermoor bei Haidmühle

Gemeinsam am Projekt beteiligt | Foto: Till Janzer,  Radio Prague International

Wechsel in den Bayerischen Wald. Denn „Leben für Moore“ läuft auch auf deutscher Seite. Eine der Projektflächen liegt in Langreut bei der Gemeinde Haidmühle. Hier soll ein sogenanntes Niedermoor wiedervernässt werden. Denn dieses drohte auszutrocknen, weil Fichten aufgeforstet wurden beziehungsweise freie Flächen verbuschen. Eine Besonderheit des Moores: Es ist basenreich. Und das käme in einem silikatischen Gebirge wie dem Bayerischen Wald eigentlich nicht vor, betont der Landschaftsplaner Ernst Obermeier:

„Verantwortlich dafür ist, dass hier Gneise das geologische Ausgangsmaterial sind und diese basenreich verwittern. Die Basen sind die Grundlage für das Vorkommen zum Beispiel des Breitblättrigen Wollgrases oder des Fettkrauts. Dieses Moor ist in vielfältiger Weise beeinträchtigt worden: Es wurde aufgeforstet und entwässert. Teile sind Gottseidank erhalten geblieben.“

Biologe Karel Kleijn  (links) und Landschaftsplaner Ernst Obermeier | Foto: Till Janzer,  Radio Prague International

Allerdings, und das ist für die Renaturierungsarbeiten ein Problem, wurde in dem Moor die Waldbirkenmaus entdeckt. Der winzige Nager ist streng geschützt, denn er ist vom Aussterben bedroht. Leider hat die Maus mit dem charakteristischen Aalstrich auch hohe Ansprüche: Neben Feuchtflächen müssen trockene Rückzugsgebiete für den Winter vorhanden sein. Ein solches entsteht gerade in Langreut – und zwar nur für die Zeit der Renaturierungsarbeiten. Damit werde ebenso weiteren Tierarten geholfen, erläutert der Biologe Karel Kleijn vom BUND:

„Gut ist bei dem Biotopverbund, den wir für die Maus brauchen, dass er ebenso einer ganzen Reihe von Schmetterlingsarten hilft sowie der Kreuzotter. Zahlreiche Arten stellen nämlich ähnliche Ansprüche: trockene Überwinterungsflächen kombiniert mit strukturreichen Feuchtgebieten im Sommer.“

Deswegen wird nun ein Regenrückhaltebecken saniert und der bisherige tiefe Vorflutgraben aufgefüllt.


Info-Schild | Foto: Till Janzer,  Radio Prague International

Melanie Kreutz betreut beim BUND im Fachbereich Grünes Band das grenzüberschreitende Projekt. Vor Ort entstand folgendes Interview für Radio Prag International:

Frau Kreutz, wir haben uns auf der deutschen Seite eine Feuchtwiese beziehungsweise eine Niedermoorfläche angeschaut. Die meisten Projektflächen, die renaturiert werden, liegen jedoch im Böhmerwald, also auf der tschechischen Seite. Welche Bedeutung haben die Arbeiten auf deutscher Seite?

„Für die deutsche Seite ist es ganz wichtig, dass wir mit den Moorschutzmaßnahmen sozusagen Trittsteine für Arten schaffen, die hauptsächlich auf der tschechischen Seite vorkommen. Wir haben diese Arten nur noch deswegen im Bayerischen Wald, weil die naturnahen Flächen im Böhmerwald so groß sind. Tiere wie die Waldbirkenmaus, der Blauschillernde Feuerfalter oder auch der Randring-Perlmuttfalter sind auf der deutschen Seite sehr gefährdet. Da die Quell-Habitate in Tschechien liegen, versuchen wir durch unsere Maßnahmen – auch wenn sie klein sind –, Verbindungsachsen von dort hierher zu bilden. Dies hilft den Arten, sich auszubreiten. So bemühen wir uns, das eigentlich typische Arteninventar für die bayerische Seite zu erhalten.“

Können Sie die Maßnahmen ein bisschen genauer beschreiben?

„Auf der bayerischen Seite entfernen wir viele Fichtenaufforstungen. Das ist kein naturnaher Wald, sondern es sind richtiger Fichtenäcker, die meist in den 1960er Jahren angelegt wurden. Hier in der Gegend würde man Steckerleswälder dazu sagen. Da steht dann Baum an Baum schön in einer Reihe. Ökologisch ist das nicht sehr wertvoll, und diese Wälder werden infolge des Klimawandels stark vom Borkenkäfer angegriffen, weil es Monokulturen sind. Dass die Moorflächen so sehr mit Fichten aufgeforstet wurden, rührt daher, dass man diese forstwirtschaftlich nutzen wollte. Wir versuchen jetzt, diese Entwicklung wieder zurückzudrehen.“

Das Ganze gehört auch noch zu einem größeren europäischen Projekt. Wie ist das eingebunden?

„Das Projekt ‚Leben für Moore‘ ist in die Initiative ‚Grünes Band Europa‘ eingebunden. Die Initiative gibt es seit 2002, und auch der BUND hat massiv zu ihrer Entwicklung beigetragen. Denn wir haben gemerkt, dass entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs ganz viele Naturflächen erhalten sind. Es bestehen zudem viele große Nationalparks am Band Grünes Europa. Heute ist dieser Lebensraumverbund die einzige verbindende Struktur durch den ganzen Kontinent. Sie reicht vom Eismeer an der norwegisch-russischen Grenze bis hinunter zur Adria und dem Schwarzen Meer. Und ‚Leben für Moore‘ ist ein wichtiges Projekt am Grünen Band Europa, weil wir dadurch die Artenvielfalt in den Nationalparks Šumava und Bayerischer Wald, aber auch hier in den Bischofsreuter Waldhufen fördern. Über das Grüne Band wollen wir erreichen, dass Arten weiterwandern können.“

Projektfläche Langreut im Bayerischen Wald | Foto: Till Janzer,  Radio Prague International

Das Projekt soll noch bis 2024 laufen. Wie weit sind Sie gekommen, müssen vielleicht noch Schwierigkeiten umschifft werden?

„Insgesamt ist das Projekt sehr weit gekommen. Und vor allem auch dank der tschechischen Kollegen sind schon mehr Flächen renaturiert, als geplant war – insgesamt über 900 Hektar Fläche. Auf bayerischer Seite befinden sich nur drei kleine Projektgebiete, sie liegen alle in Gemeindenähe. Wir hinken unserem Plan etwas hinterher, was auch daran liegt, dass auf der Fläche ‚Langreut‘ die Waldbirkenmaus gefunden wurde und wir unsere Maßnahmen komplett anpassen mussten. Ich bin trotzdem sehr zufrieden, weil wir die Maßnahmen zusammen mit den Gemeinden entwickeln und diese merken, welchen Vorteil sie davon haben. Da der Klimawandel selbst hier immer massiver zugreift und zunehmend Fichtenaufforstungen dem Borkenkäfer zum Opfer fallen, wächst das Verständnis, dass wir diese Feuchtflächen brauchen, um das Wasser im Boden zu halten. Das ist das Positive, obwohl wir mit unseren Maßnahmen vielleicht noch nicht so weit sind, wie wir es gerne hätten. Wir müssen also in den letzten beiden Jahren noch etwas zulegen, um das zu erreichen, was wir uns vorgenommen haben.“

Vielleicht kann da auch der Film helfen, von dem ich gehört habe, dass er über dieses Projekt gedreht wurde…

„Genau, der kann mit Sicherheit helfen. So werden wir nächstes Jahr bei der Landesgartenschau in Freyung einen Stand haben, an dem wir das Projekt bewerben und auch der Film laufen soll. Davon erhoffen wir uns Werbung über die Projektlaufzeit hinaus, um das Bewusstsein für die Renaturierungsmaßnahmen in die Bevölkerung zu tragen.“

Wurde der Film auch auf deutscher Seite gedreht?

„In diesem Fall hauptsächlich auf der tschechischen Seite. Aber wir drehen auch noch einen Film, der sich stärker mit den Menschen beschäftigt, die hier leben. Er ist tatsächlich grenzübergreifend. Es handelt sich um kleine Porträts dieser Leute, so etwa eines Bürgermeisters von der bayerischen Seite oder auch von meiner Kollegin Ivana Bufková. Sie erzählen, was sie in ihrer Arbeit machen und was das zu tun hat mit der besonderen Landschaft am ehemaligen Eisernen Vorhang.“

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Autor: Till Janzer
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