„Warnung an die Parteien“ – Politologe Jan Bureš zu den Wahlergebnissen
Bei den Kommunalwahlen hat die Protestpartei Ano von Finanzminister Andrej Babiš in den großen Städten gesiegt, in kleinen Gemeinden dominierten schon traditionell die unabhängigen Gruppierungen und Kandidaten. Gleichzeitig zu den Kommunalwahlen fanden auch die Wahlen zu einem Drittel des Senats statt. Dort schicken die Sozialdemokraten die meisten Kandidaten in die Stichwahl, gefolgt von ihren Koalitionspartnern, der Partei Ano und den Christdemokraten. Wie lassen sich die Ergebnisse aber interpretieren? Dazu ein Interview mit dem Politologen Jan Bureš von der Metropolitan University in Prag.
„Ich sehe schon einige Differenzierungen. Bei den Kommunalwahlen hat vor allem in den großen Städten deutlich die Partei Ano von Finanzminister Andrej Babiš dominiert. Und dies kann man nicht als Erfolg der ganzen Regierungskoalition interpretieren. Denn die Ano grenzt sich auch von den Sozialdemokraten, den Bürgerdemokraten und weiteren großen Parteien ab, in geringerem Maße jedoch von den Christdemokraten als weiterem Koalitionspartner. Gerade diese Abgrenzung von den großen Parteien ist nichts, worauf diese stolz sein sollten. Für mich ist der große Erfolg von Ano in den großen Städten ein warnender Zeigefinger der Wähler gerade in Richtung der klassischen Parteien. Man muss sich klar machen, dass sowohl Top 09 und Bürgerdemokraten als auch die Sozialdemokraten mit großer Wahrscheinlichkeit die Posten des Oberbürgermeisters in den tschechischen Großstädten verlieren werden. Das ist für sie eine herbe Niederlage.“
Das gilt aber nicht auch für die Teilwahlen zum Senat…„Genau, die Teilwahlen zum Senat deuten hingegen auf einen Erfolg der Sozialdemokraten hin. Ihre 19 Kandidaten, die in die Stichwahl am kommenden Wochenende einziehen, sind wohl mehr, als sich die Partei selbst erhofft hatte. Zusammengerechnet mit den Kandidaten für die Partei Ano und für die Christdemokraten lässt sich dies schon eher als ein Erfolg der Regierungskoalition deuten, da die Wähler hier ja mit dem Bewusstsein ihr Kreuzchen gemacht haben, dass der Senat eine gesamtstaatliches Vertretung ist.“
Sie haben es bereits gesagt, bei den Kommunalwahlen ist die Partei Ano von Multimilliardär und Finanzminister Andrej Babiš in den großen Städten stärkste Kraft geworden. In Prag hat sie die konservative Top 09 abgelöst, in Brno / Brünn und Ostrava / Ostrau aber ihren Koalitionär, die Sozialdemokraten. Top-09-Chef Karel Schwarzenberg hat sich danach in Bezug auf Prag beschwert, dass das Geld die Wahl gewonnen hätte. Sie haben es angedeutet: Dies dürfte wohl nicht der Hauptgrund gewesen sein…„Ganz allgemein wird es das wohl zukünftig immer häufiger geben, dass die Investitionen in die Wahlkampagnen das Wählerverhalten beziehungsweise den Wahlausgang beeinflussen. Ich denke aber andererseits, dass das nicht immer so selbstverständlich ist. Wahr ist durchaus, dass die Partei Ano ganz Prag mit großflächigen Anzeigen auf Billboards geradezu überschwemmt hat. Das heißt, die Geldausgaben für die Kampagne müssen hoch gewesen sein. Aber auch der Wahlkampf von Bürgerdemokraten, Top 09 oder Sozialdemokraten stand dem nur wenig nach. Nur im Geld kann der Grund also nicht gelegen haben. So muss man sagen, dass die Top 09 zwar nicht Sieger geworden ist, aber nur sehr knapp unterlegen ist. Sie hat in der Prager Stadtvertretung nur ein Mandat weniger als die Partei Ano. Auch diese Unterstützung für eine der etablierten Parteien, als welche Top 09 mittlerweile gehandelt wird, muss man in gewisser Weise als eine bestimmte Richtung unter den Wählern interpretieren: Sie wollten nicht direkt die Politik von Ano unterstützen. Andererseits hat Prag gezeigt, dass auch jene Wähler, die als besonders gebildet, am reichsten sowie am erfolgreichsten gelten und in den großen Städten leben, mit der Politik der herkömmlichen Parteien unzufrieden sind. Gerade in Prag haben die Wähler mit der Abstimmung für Ano auch ihre Unzufriedenheit darüber geäußert, wie vor allem die Bürgerdemokraten im tschechischen Abgeordnetenhaus Oppositionspolitik betreiben und wie sie bisher mehrere Stadtbezirks-Rathäuser in Prag geleitet haben.“Insgesamt die meisten Stimmen bei den Kommunalwahlen haben unabhängige Gruppierungen und unabhängige Kandidaten erhalten. In vielen Berichten wird angesichts dieser Tatsache und wegen des Erfolgs der Partei Ano in den großen Städten von einer voranschreitenden Erosion der klassischen Parteien gesprochen. Sehen Sie das auch so – und wo liegen die Ursachen?„Ich denke, so ganz trifft das nicht zu. Eine Sache ist die Abkehr der Wähler von den großen traditionellen Parteien, die andere eine Erosion der Parteien und des Parteiensystems. Dass die meisten Mandate an unabhängige Kandidaten und Gruppierungen gegangen sind, zeugt noch nicht von einer Erosion des klassischen Parteiensystems. Denn die Unabhängigen haben zumeist in kleinen Gemeinden gesiegt, und in Tschechien liegt die Zahl dieser kleinen Gemeinden bei rund 6000 der insgesamt 6500 Kommunen. Es ist klar, dass auf dieser Ebene die Parteien entweder nicht direkt antreten oder nicht in der Lage sind, genügend Wählervertrauen aufzubauen. Auf dem Land und in Kleinstädten wählen die Bewohner meist unabhängige Kandidatenlisten, weil dort Menschen antreten, die sie kennen und die nicht durch eine bestimmte politische Ausrichtung erfolgreich sind, sondern durch ihr genaues Wissen um die Probleme der jeweiligen Gemeinde. Dem steht entgegen, dass die unabhängigen Gruppierungen in den größeren Städten bei diesen Wahlen nicht sonderlich erfolgreich gewesen sind.“
Aber auch in den größeren Städten sind diesmal erstaunlich viele unabhängige Gruppierungen angetreten…„Es stimmt, dass die Unabhängigen beginnen, auch auf die Kandidatenlisten in den großen Städten vorzudringen. Aber sie sind nur selten so erfolgreich wie zum Beispiel in Liberec oder Hradec Králové. In der überwiegenden Zahl der großen Städte hierzulande teilt sich das Wählervertrauen weiterhin unter den klassischen Parteien auf, eingeschlossen der Partei Ano. Hier stellt sich die Frage, wie sehr die Wähler Ano wirklich als unabhängige Bewegung wahrnehmen, wie sie sich selbst definiert. Die Ano nimmt schließlich immer stärker am tschechischen Politbetrieb auf höchster Ebene teil. Ich denke, dass die Wähler sie daher fast schon als normale Partei wahrnehmen. In Prag sind zum Beispiel viele unabhängige Kandidatenlisten angetreten, aber keine hat es in die Vertretung der Stadt geschafft, und nur in Ausnahmefällen in eine der Stadtteil-Bürgerschaften. Für die Zukunft könnte dies aber zu einem Problem werden, und es sollte eine Warnung an die großen Parteien sein. Denn wenn die Parteien nicht ihre Personalstruktur und auch ihre Programme reformieren, dann könnten die unabhängigen Gruppierungen auch in den großen Städten immer erfolgreicher werden. Ins Parlament hat es nämlich schon eine solche Bewegung geschafft, und zwar die Úsvit von Tomio Okamura.“