Was will und was kann die neue Regierung?

Premierminister Jirí Paroubek(Foto: CTK)

Mitte Januar begann in Tschechien eine tiefe Regierungskrise, ausgelöst von einer Immobilienaffäre des damaligen Premierministers Stanislav Gross. Gross ist mittlerweile zurückgetreten, am Freitag sprach das Abgeordnetenhaus der neuen Regierung das Vertrauen aus. Was will und was kann das neue Kabinett in den verbleibenden 13 Monaten noch unternehmen? Hören Sie dazu den folgenden Schauplatz von Gerald Schubert:

Premierminister Jirí Paroubek (Foto: CTK)
Vier neue Minister hat das Land, und einen neuen Premierminister. Letzterer heißt Jirí Paroubek, ist ebenso wie sein Vorgänger Stanislav Gross Sozialdemokrat und kein Neuling in der Regierung: Im vorigen Kabinett, das genauso wie das jetzige aus einer Koalition von Sozialdemokraten, Christdemokraten und Liberalen hervorging, war er Minister für Regionalentwicklung. In der politischen Landschaft Tschechiens hat sich also eigentlich nicht wirklich viel geändert. Das wurde Anfang dieser Woche auch bei der Präsentation des Regierungsprogramms klar: Das 34 Seiten starke Heftchen im Format A5 bringt kaum etwas Neues.

Angesichts dessen, dass bis zu den nächsten regulären Wahlen nur noch knapp 13 Monate bleiben, war es auch gar nicht der Anspruch der Regierung, einen Salto Mortale zu schlagen, wie Premier Paroubek sich ausdrückte. Das Kabinett will lediglich bestimmte Akzente verschieben, im Wesentlichen aber die bereits begonnene Arbeit bis zum Ende der Legislaturperiode fortsetzen.

Die Atmosphäre zwischen der sozialliberalen Regierung einerseits und der Opposition aus konservativen Bürgerdemokraten und Kommunisten andererseits ist jedoch gereizt. In den wichtigsten Punkten, von der Steuerpolitik bis zur EU-Verfassung, stehen beide Lager einander weitgehend unversöhnlich gegenüber. Beispiel Steuerreform: Hier behandelt die Regierung gerade einen Gesetzesentwurf, über den Premierminister Paroubek bei der Präsentation des Regierungsprogramms sagte:

"Mit diesem Gesetz werden die Steuern für die unteren und mittleren Einkommensbereiche bedeutend gesenkt. Für 80 Prozent der Bevölkerung wird das mehr Vorteile bringen als die so genannte 'Blaue Chance'."

Und damit sind wir von der Regierungskrise zurück, mitten im Match namens Tagespolitik. Die "Blaue Chance", das ist nämlich wiederum das Programm der oppositionellen Demokratischen Bürgerpartei (ODS), das im Bereich Steuerpolitik die Einführung einer so genannten Flat Tax vorsieht, also einen einheitlichen Steuersatz für alle. In dieser Auseinandersetzung sieht Vladimíra Dvoráková, Politikwissenschaftlerin an der Wirtschaftshochschule in Prag, ein zentrales Thema der nächsten Monate:

Foto: Štěpánka Budková,  Radio Prague International
"Die ODS wird mit der Idee der Flat Tax in den nächsten Wahlkampf gehen. Die Sozialdemokraten wiederum werden aufzeigen, dass diese Flat Tax, wie sie die ODS plant, in der Praxis nur eine Steuersenkung für höhere Einkommensschichten bedeuten würde. Und dass sich umgekehrt die Situation für Menschen mit niedrigeren Einkommen wegen der gestiegenen Mehrwertsteuer verschlechtern würde."

Ein anderer Bereich der wirtschaftspolitischen Situation, und zwar ein besonders sensibler, entwickelt sich aus Sicht der Regierung derzeit relativ gut: Der Arbeitsmarkt. 8,9 Prozent betrug die Arbeitslosenquote im April, und sie liegt damit etwa im EU-Schnitt. Tendenz sinkend. Premierminister Jirí Paroubek in Anspielung auf die überwiegend wirtschaftsliberal ausgerichtete tschechische Tagespresse:

"Was die Arbeitslosigkeit betrifft, so wird wohl auch den auflagenstärksten Zeitungen nicht entgangen sein, dass diese zuletzt innerhalb eines Monats um einen halben Prozentpunkt gesunken ist. Ich glaube, die Interpretation einiger Möchtegern-Ökonomen, die in etwa sagen, je dümmer der Bauer, desto größer die Kartoffeln, sind hier fehl am Platz. Die Regierungen der letzten Jahre haben eine Politik gemacht, die neue Arbeitsplätze schaffen wollte. Und es lässt sich beweisen, dass diese Arbeitsplätze auch tatsächlich geschaffen wurden."

Für die Zukunft hat Paroubek einen ehrgeizigen Plan:

"Für mich und die Sozialdemokratie ist es ein langfristiges Ziel, dass Tschechien um das Jahr 2010 eine Arbeitslosigkeit auf dem Niveau von Österreich hat. Also etwa um fünf Prozent."

Die Wirtschaftspolitik dürfte in allernächster Zukunft also tatsächlich einen Schwerpunkt der Regierungspolitik darstellen. So sieht das auch Professor Vladimíra Dvoráková von der Wirtschaftshochschule Prag:

"In dieser Regierungserklärung wird großer Wert auf ökonomische Faktoren gelegt. Zum Teil rührt das wohl daher, dass Premierminister Paroubek eine ökonomische Ausbildung genossen hat und sich der Bedeutung der Wirtschaft bewusst ist. Und die Regierung ist dabei in gar keiner schlechten Position. Alle Indikatoren der wirtschaftlichen Entwicklung sind derzeit sehr positiv, einschließlich der Außenhandelsbilanz. Und genau diese Entwicklung stellt auch einen Schwerpunkt des Regierungsprogramms dar."


Unterstützung von Familien mit Kindern, Reformen im Gesundheitswesen, und nicht zuletzt die Öffnung des Wohnungsmarktes sind einige weitere Prioritäten des neuen Kabinetts. Laut Premierminister Jirí Paroubek gibt es aber auch eine "Super-Priorität": Die Ratifizierung der EU-Verfassung. Paroubek will zu dieser Frage ein Referendum. Und zwar eines, das gleichzeitig mit den Parlamentswahlen im Juni 2006 stattfindet. Hintergrund: Die EU-kritische ODS soll gezwungen werden, sich stärker mit ihrer überwiegend pro-europäischen Wählerschaft auseinanderzusetzen:

"Schließlich sollen die Wähler der ODS im Zuge des Wahlkampfes erfahren, wie die Haltung ihrer Partei gegenüber der Europäischen Union tatsächlich aussieht. 80 Prozent dieser Wähler befürworten nämlich laut Meinungsumfragen die Europäische Verfassung. Die Führung dieser Partei hingegen macht eine etwas andere Politik. Und dann wiederum kenne ich einige ODS-Politiker auf Landkreis- oder Gemeindeebene, wo dies wieder umgekehrt ist. Das sind Widersprüche in der Politik der ODS, und auf diese mangelnde Glaubwürdigkeit wollen wir natürlich hinweisen. Das ist das legitime Recht jeder Regierung. Die ODS soll Farbe bekennen!"

Auch für Politologin Dvoráková ist die ODS in einer paradoxen Situation. Ein Verfassungsreferendum gleichzeitig mit den Parlamentswahlen würde die Partei vor ein Dilemma stellen:

"Die ODS müsste dann einen anti-europäischen Wahlkampf führen, was sie einen Teil der Wähler kosten könnte. Und die Wähler, die sie im Gegenzug gewinnen würde, die würden diesen Verlust nicht unbedingt ausgleichen. Außerdem wird sich ein Teil der ODS-Abgeordneten langsam der Tatsache bewusst, dass wir am Rande des europäischen Integrationsprozesses landen könnten, wenn Tschechien die Verfassung nicht ratifiziert. Und das wäre nicht besonders positiv."


An der Schnittstelle zwischen EU-Politik und Wirtschaftspolitik stehen unter anderem die Strukturfonds, die Finanztöpfe der Europäischen Union. Dabei gilt es nicht nur, diese Mittel effektiv auszuschöpfen, sondern sich auch, die angepeilte Verwendung der Gelder von Brüssel absegnen zu lassen. Für Vladimíra Dvoraková ist dieser Bereich aus zwei Gründen besonders wichtig:

"Die bestmögliche Nutzung von Geldern aus den EU-Fonds wirkt sich nicht nur positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung aus, sondern auch darauf, welche Sichtweise die Menschen auf die EU haben. Und das könnte letztlich auch die Stimmung bezüglich der Europäischen Verfassung positiv beeinflussen. Paroubek war jedenfalls Minister für Regionalentwicklung, und im Bereich der Strukturfonds kennt er sich ziemlich gut aus."

Insgesamt gibt die Politologin der sozialliberalen Regierungskoalition, deren Stern seit ungefähr zwei Jahren in fast allen Wahlen und Umfragen kontinuierlich sinkt, wenigstens die Chance auf einen kleinen Neubeginn:

"Wir werden sehen. Herr Paroubek ist keine besonders charismatische Führungspersönlichkeit. Ich glaube nicht, dass die Wähler ihn bewundern und gleich Fanclubs gründen werden. Andererseits aber wirkt er bis jetzt sehr pragmatisch, er vermittelt den Eindruck von jemandem, der rational und ohne größere Emotionen handelt. Und das könnte den Sozialdemokraten helfen, wenigstens einen Teil der Wähler zurückzugewinnen, die sie zuletzt verloren haben."

Genau das hätten die Sozialdemokraten auch bitter nötig: Denn mit ihren in schöner Regelmäßigkeit öffentlich ausgetragenen Flügelkämpfen sind sie in den Umfragen jüngst unter die 10-Prozent-Marke gefallen und liegen weit abgeschlagen hinter den Kommunisten auf Platz drei. Die mitregierenden Christdemokraten schwanken ebenfalls um die zehn Prozent, die kleinste Regierungspartei, die Liberalen, bewegen sich in den Umfragen am Rande der Wahrnehmungsgrenze. Die oppositionelle ODS führt haushoch. In den verbleibenden Monaten wird also die Regierung alle Hände voll zu tun haben, wenn sie das Blatt noch wenden will. Trotz guter Wirtschaftsdaten, und trotz der endlich gelungenen Bewältigung der Regierungskrise.