Was würde der Czexit kosten?

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Seit den Wahlen wird in der tschechischen Politik über die Einführung allgemeiner Volksabstimmungen debattiert. Es scheint sich dafür eine Mehrheit anzubahnen. Doch mit der Diskussion ist die Frage aufgekommen, ob die Bürger etwa auch über die EU-Mitgliedschaft entscheiden dürften. Es ist ein gefährliches Thema, wenn man in der tschechischen Wirtschaft nachfragt.

Jiří Kobza  (Foto: Luboš Vedral,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Die Partei „Freiheit und direkte Demokratie“ (SPD) gehört zu den Gewinnern der Wahlen vom vergangenen Oktober. Diese politische Gruppierung des tschechisch-japanischen Unternehmers Tomio Okamura vertritt islam- und migrationsfeindliche Positionen. Aber nicht nur das: Sie findet, dass die tschechischen Bürger auch das Recht haben müssten, über einen möglichen Austritt aus der Europäischen Union abzustimmen. Immerhin seien ja auch vor dem EU-Beitritt die Menschen hierzulande befragt worden, sagte vor einem Monat zum Beispiel der stellvertretende SPD-Vorsitzende Jiří Kobza in einem Interview für die Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks. Als möglichen Knackpunkt nannte er die Flüchtlingspolitik. Sollte Tschechien über Dublin IV zur Aufnahme von Migranten gezwungen werden, dann könnte der Czexit drohen:

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„Wir gehen davon aus, dass dieses Vorgehen quer durch die Fraktionen und in der tschechischen Bevölkerung großen Widerstand hervorrufen würde. Dann könnte es sein, dass die Bürger selbst die Initiative ergreifen und solch ein Referendum initiieren.“

Eine ähnliche Warnung hatte sogar der geschäftsführende Premier Andrej Babiš vor zwei Wochen im tschechischen Senat ausgesprochen. Sollte Tschechien erneut in der EU bei der Frage von Flüchtlingsquoten überstimmt werden, dann würde das „nur die Stimmen stark machen, die einen Czexit fordern“, sagte er.

Babišs Partei Ano sondiert immer noch zur Unterstützung ihrer Minderheitsregierung oder der Bildung einer neuen Regierungskoalition. Und mit der SPD sowie den Kommunisten hat man sich im Groben schon auf die Einführung einer Volksabstimmung verständigt. Bisher sagt die Ano-Partei aber, dass EU- und Nato-Mitgliedschaft sowie allgemein außenpolitische Themen nicht Gegenstand eines solchen Referendums werden dürften.

Investoren und Arbeitgeber sind nervös

Radek Špicar  (Foto: Jana Přinosilová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Nichtsdestotrotz hat das Thema bereits die Wirtschaftsbosse aufgescheucht. Radek Špicar ist Vizepräsident des tschechischen Verbandes „Industrie und Verkehr“:

„Ich habe in den vergangenen Wochen mit vielen ausländischen Investoren und tschechischen Firmen gesprochen. Sie sind beunruhigt von dem, was in Bezug auf allgemeine Volksabstimmungen gesagt wird. Es geht um die Behauptungen, dass die Europäische Union uns keine Vorteile bringe, ja sogar schadet. Das wirft die Frage auf, wer das sagt und warum, und wie wichtig seine Rolle in der Politik ist. Solche Aussagen lassen Investoren und Arbeitgeber nervös werden.“

Denn die tschechische Wirtschaft ist so offen wie keine andere in der EU und kaum eine andere weltweit. Dabei ist gerade die Europäische Union für sie der Schlüsselmarkt. Jana Klímová ist Wirtschaftswissenschaftlerin und Kommentatorin des Tschechischen Rundfunks:

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„Die Exporte in die EU-Länder machen bei uns über 80 Prozent der Gesamtausfuhren aus. Bei den Einfuhren sind es mehr als 60 Prozent. Interessant ist auch, dass allein unsere Nachbarländer Deutschland, Polen, die Slowakei und Österreich zur Hälfte Anteil an unserem Außenhandel haben. Aber es geht nicht nur um den Handel. Tschechien ist auch bei den Auslandsinvestitionen mit der EU verbunden, und die sind unglaublich wichtig für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung. Die größten Investorenländer sind die Niederlande, Österreich und Deutschland – also auch alles EU-Staaten.“

Aber ebenso die viel beschworenen Investoren aus China wie auch aus anderen asiatischen Ländern sind ohne EU kaum zu denken. Nicht wenige sehen Tschechien als Tor nach Europa – und wenn es das nicht mehr wäre, dürften Polen, Ungarn und die Slowakei für sie attraktiver werden.

Vater der ganzen jetzigen Czexit-Diskussion ist übrigens Ex-Präsident Václav Klaus, der seit einiger Zeit die Nähe zur AfD in Deutschland sucht. Damals als Staatschef verweigerte er dem Lissabon-Vertrag seine Unterschrift. Seit seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik wirbt er offen für einen Austritt. So beispielsweise im vergangenen Sommer in einer Videobotschaft. Damit reagierte er auf das Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission unter anderem gegen Prag wegen der Nichterfüllung der Flüchtlingsquoten.

Václav Klaus  (Foto: Šárka Ševčíková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Bei den Bürgerdemokraten gibt es ebenfalls mindestens einen Czexit-Befürworter: Es ist Václav Klaus´ gleichnamiger Sohn, seines Zeichens Parlamentarier im tschechischen Abgeordnetenhaus. Und nicht zuletzt gehören dazu die Politiker der SPD. Sie behaupten, dass ein Austritt aus der Europäischen Union machbar wäre – ohne verheerende Folgen für die tschechische Wirtschaft. So sagte zum Beispiel SPD-Parteichef Tomio Okamura vor kurzem im Tschechischen Fernsehen:

„Wir haben errechnet, dass sich wirtschaftlich dann nichts grundsätzlich ändern würde. (…) Alles wird genauso weiterlaufen, nur ohne das Diktat aus Brüssel. Ich weiß nicht, wo es Probleme geben könnte.“

Vorteile der EU-Mitgliedschaft

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Die Wirtschaftsbosse im Land sind jedoch ganz anderer Ansicht. Deshalb wird Radek Špicar auf die Frage nach den Folgen eines eventuellen Czexits sehr deutlich.

„Vor allem hoffe ich, dass so etwas überhaupt nicht als Möglichkeit auf dem Tisch liegt und kein vernünftiger Politiker das ernstlich erwägt. Damit will ich nicht sagen, dass der Verband für Industrie und Verkehr alles nur positiv sieht. Wir sind in vielen Bereichen auch sehr kritisch gegenüber der EU. Aber uns ist zugleich klar, dass die Vorteile der EU-Mitgliedschaft ganz dramatisch überwiegen. Jede kleinste Hürde, selbst wenn sie nur bürokratischer Natur ist – und damit meine ich noch nicht einmal mögliche neue Zölle –, wären für den tschechischen Export und so auch für die tschechische Wirtschaft oder die öffentlichen Kassen ein riesiges Problem.“

Jana Klímová  (Foto: Irena Vodáková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Denn Wirtschaft sind nicht nur Zahlen, sondern auch das richtige Umfeld – das heißt Vertrauen und Sicherheit. Genau das leidet bereits durch die Diskussion über das Thema, umso mehr bei einem tatsächlichen Czexit. Zwar ginge es dann auch darum, welche Verträge die tschechische Regierung mit Brüssel aushandeln könnte, sagt Jana Klímová, aber sie ergänzt:

„Bevor es zu Abmachungen käme, würde wohl die Arbeitslosigkeit stark ansteigen und die Währung sehr geschwächt. Eine große Unsicherheit würde sich breitmachen. Gerade wegen der starken Abhängigkeit von der EU wäre der Austritt ein schwerer psychologischer Moment: Der Druck der Verhandlungen und die Tatsache, nicht mehr Teil dieser Zone freien Warenhandels und der Freizügigkeit zu sein, hätte meiner Meinung nach unglaublich negative Folgen.“

Solcherart warnen aber nicht nur Ökonomen und die Arbeitgeber hierzulande. Vergangene Woche hat auch Gewerkschaftsboss Josef Středula den Czexit als Horrorszenario gemalt – mit reihenweise Firmenschließungen und Massenarbeitslosigkeit. Selbst ein Befürworter wie Václav Klaus der Jüngere gibt unumwunden zu: Die Tschechen würden bei einem EU-Austritt um ein Drittel ärmer werden.

Das britische Beispiel

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Alle, die eine Loslösung von Brüssel wollen, nennen die Brexit-Bewegung als Vorbild.

„Ein Vergleich mit Großbritannien ist allerdings sehr schwierig, weil das Land viel weniger abhängig ist von der EU als Tschechien. Zudem ist es eine der stärksten Wirtschaftsnationen der Welt. Dort werden Endprodukte hergestellt, für die die Hersteller Ersatzabsatzmärkte praktisch auf der ganzen Welt finden. Die britische Wirtschaft exportiert auch schon jetzt auf viele Drittmärkte, was uns bisher leider nicht gelingt“, so Radek Špicar vom Verband für Industrie und Verkehr.

Tatsächlich gehen nur 48 Prozent der britischen Exporte auf den europäischen Binnenmarkt. Dennoch sei der Brexit derzeit ein unglaublich komplexer und schwieriger Prozess, sagt Špicar. Wenn dies schon für eine so starke Wirtschaft wie die britische gelte, dann wäre die tschechische um ein Vielfaches mehr betroffen, betont er:

„Ich hoffe, dass der unglückliche Brexit, der sowohl Großbritannien als auch die Europäische Union schwächt, für Eines gut ist: Dass allen klar wird, dass ein Verlassen der EU nichts anderes als große Unsicherheit und riesiges Chaos verursachen würde. Diese beiden Dinge ertragen Investoren nur sehr schwer. Und das kann man wahrlich nicht als Win-Win-Situation bezeichnen, sondern beide Seiten werden dann verlieren, wie auch immer das Ganze ausgeht.“