Lauwarme Haltung zu Europa: Tschechien 20 Jahre nach dem Referendum zum EU-Beitritt
Es war ein Freitag, der 13. Vor genau 20 Jahren waren die Menschen in Tschechien dazu aufgerufen, über den Beitritt ihres Landes zur Europäischen Union abzustimmen. In einem Interview für Radio Prag International hat sich der derzeitige Minister für EU-Angelegenheiten, Martin Dvořák, an das Ereignis erinnert und eine Zwischenbilanz gezogen.
In dem ersten und bisher einzigen Volksentscheid der Tschechischen Republik am 13. Juni 2003 sprachen sich 77 Prozent der Teilnehmenden für den Beitritt zur EU aus. Der heutige Minister für EU-Angelegenheiten, Martin Dvořák (Stan), erinnert sich an den Tag:
„Es war einer der schönsten Momente – nicht etwa in meinem ganzen Leben, aber in meiner politischen Karriere. Ich war ehrlich gesagt nicht sonderlich überrascht, denn ich hatte dieses Ergebnis erwartet. Vielleicht nicht unbedingt 77 Prozent. Aber ich war mir sicher, dass es eine große Mehrheit für den Beitritt geben wird.“
Mittlerweile ist die Haltung der Menschen in Tschechien gegenüber der EU eher lauwarm. Dvořák meint, man könne durchaus zufrieden sein, dass die Zustimmung immer noch bei etwas mehr als 50 Prozent liege. Aber es sei nach dem Beitritt verpasst worden, der Bevölkerung zu vermitteln, in welch guter Gesellschaft man sich nun befinde und dass man gemeinsame Werte teile:
„Die Menschen sind viel leichter davon zu überzeugen, dass es richtig ist, sich nur um sich selbst zu kümmern. Aber das stimmt einfach nicht. Mit diesem Argument wurden in Tschechien allerdings immer wieder Wahlen gewonnen. Und leider hat eine Mehrheit der Menschen diese Botschaft verinnerlicht. Darum haben wir uns fast 20 Jahre lang auch dementsprechend verhalten. Ich persönlich habe nun noch zweieinhalb Jahre Zeit, dies ein wenig zu ändern.“
Es gehe bei der EU nämlich nicht darum, nur Gelder einzufordern und keine Rechenschaft abzulegen, wofür sie eingesetzt werden, fährt Dvořák fort. Vor allem junge Menschen aus Tschechien würden Europa nämlich bereits ganz anders erleben, etwa durch Auslandsaufenthalte:
„Ich bin fast 70, und meine Generation hatte nicht die Möglichkeiten, die Welt zu sehen und Vergleiche zu ziehen. Darum glaube ich wirklich, dass die jüngeren Generationen viel prodemokratischer sein werden. Dabei spreche ich nicht nur von einer proeuropäischen Haltung, denn darum geht es nicht allein. Europa basiert schließlich auf speziellen Werten wie Freiheit, Demokratie oder Menschenrechte.“
Davon abgesehen sei es in 20 Jahren EU-Mitgliedschaft gelungen, den Wohlstand in Tschechien deutlich anzuheben, betont der Minister:
„Es gibt neue Brücken, Straßen, Schulen, kulturelle Veranstaltungen und Parks. Die Städte blühen auf, anders als noch vor zwanzig Jahren. Wir bekommen also Geld aus den EU-Fonds für genau diese Entwicklungsprojekte. Das ist aber noch nicht alles. Wir müssen auch daran denken, dass Europa sich in einer absolut beispiellosen Phase befindet, in der schon fast 80 Jahre Freiheit ohne Krieg herrscht.“
Dies gelte leider nur für EU-Staaten, räumt Dvořák ein. Ihm sei bewusst, dass auch der Balkan und die Ukraine zu Europa gehörten. Interessanterweise habe der Angriff Russlands auf die Ukraine zeitweise zu einer EU-freundlicheren Haltung der Tschechen geführt:
„Wenn man sich in einer Gefahrensituation wiederfindet, sucht man nach Autorität und einer Macht, die einen schützen kann. Dies waren die Empfindungen der Tschechen, als der Krieg begann, also nahm der Zuspruch zur EU-Mitgliedschaft zu. Je länger der Krieg nun aber anhält, desto weniger haben die Tschechen leider ein Verständnis dafür, und sie werden wieder EU-kritischer.“
Trotzdem sei er positiv überrascht, so Dvořák, wie lange der Zusammenhalt in der EU angesichts des Krieges schon anhalte. Bisher gelänge es, die gemeinsamen Werten vor die wirtschaftlichen Interessen zu stellen. Die Führungskräfte in Europa hätten erkannt, dass die stärkste Waffe eben die Einigkeit sei, meint der Minister:
„So lange wir also zur Ukraine halten, wächst die Chance auf einen Sieg. Denn inzwischen hat fast jeder verstanden, dass es nicht nur um die Kampfhandlungen zwischen Russland und der Ukraine geht. Es ist ein Krieg zwischen Russland und der Demokratie.“