Weihnachten in der altböhmischen Küche
Heutzutage ist der Karpfen mit Kartoffelsalat vom Heiligen Abend in Böhmen nicht mehr wegzudenken. Das war aber nicht immer so. Oblaten mit Honig, Soße aus getrockneten Früchten oder ein breiartiges Pilz-Graupen-Gericht durften nicht auf der Weihnachtstafel fehlen. Was nach alles der altböhmischen Tradition zu Weihnachten auf den Tisch kam, erfahren Sie nun von Bara Prochazkova.
"Diese Teigfiguren gab man in den Ofen an den Rand, damit man feststellen konnte, ob der Ofen warm genug ist. Dieses Gebäck wurde `podplamenici` genannt, auf Deutsch in etwa `Unterflammer`, weil noch die Flammen darüber gezügelt haben. Das war so lecker und knusprig, dass man öfters noch extra Teig zubereiten musste, um für jedes Kind einen `Unterflammer` backen zu können."
Das Testen der Temperatur im Ofen war sehr wichtig, denn ein verbrannter Weihnachtstollen bedeutete ein schlechtes Jahr. Der Stollen wurde zu einem Zopf geflochten, damit die Familie auch im kommenden Jahr zusammenbleibt. Grundlage für die Weihnachtsstollen war meist süßer Germteig, die altböhmische Küche kannte jedoch auch regionale Besonderheiten. Örtlich hat man keine Stollen, sondern Kränze oder kleine Laibe gemacht. Diese wurden mit Rosinen gefüllt, die vorher in Rum eingelegt worden waren. In Süd- und Westböhmen gab es auch eine Spezialität aus Germteig - das figurale Gebäck. Auch im südmährischen Vizovice lagen Teigfiguren auf dem Tisch, allerdings erst nachdem sie in einer Kirche geweiht wurden. Nur aus Mehl und Wasser zubereitet waren sie zwar nicht zu essen, die Stücke hielten jedoch dafür eine lange Zeit. Wichtig waren die Formen: ein Hirsch sollte zum Beispiel den Männern Stärke und einen schönen Wuchs geben, ein Vogel erinnerte an die Sonnenwende und an den kommenden Frühling. In Südmähren oder in der Slowakei haben die Köchinnen Schlangen aus Teig gebacken. Mit dieser Schlange sind dann junge Menschen nach den Feiertagen von Haus zu Haus gegangen und haben Weihnachtslieder gesungen. Dazu der Kenner der böhmischen Traditionen Petr Herynek:"Man hatte eine Holzharmonika gebastelt und wenn man diese Harmonika zusammengezogen hat, dann ist die Schlange nach vorne herausgesprungen. Mit dieser Schlange sind junge Menschen vom St. Stefan bis zum Neujahr von Haus zu Haus gegangen. Dies sollte die alte Geschichte von Adam und Eva darstellen, als Eva den Apfel von der Schlange genommen hat, den sie dann zu zweit gegessen haben und deshalb aus dem Paradies hinausgetrieben worden sind."Und dazu gab es ein eigenes Lied mit folgendem Text: "Gott der Herr hat ihnen zwei Hacken gegeben, damit sie die Felder beackern gehen, um das Brot zu verdienen."
Gekocht und gebacken wurde an Weihnachten jede Menge, dabei gab es aber auch Haushaltshilfen, die der Hausfrau einige Arbeit erspart haben. Bei den heutigen Ausstechformen für Plätzchen muss man jedes Stück in die Hand nehmen, früher dagegen haben die Köchinnen ein ganzes Blech voller Formen benutzt. Es reichte also, das Blech einmal umzudrehen und die Plätzchen sind alle heraus gefallen. Die altböhmischen Rezepte waren etwas ganz besonderes, sagt Petr Herynek:
"Das interessante an den Rezepten ist es, dass sie sehr leicht verdaulich waren. Man hat Gewürze dazu gegeben, die den Appetit und die Verdauung unterstützt haben. Sie haben auch Magenprobleme gemildert. Es war also eine ausgesprochen leichte Ernährung."Eine Verbindung zu den westlichen Nachbarn gab es auch: Die altböhmische Weihnachtsküche hat auch von der deutschen etwas abgeschaut, verrät Petr Herynek, der in Prag eine Ausstellung über die altböhmische Küche zusammengestellt hat:
"Die Lebkuchen sind aus dem deutschen Nürnberg nach Böhmen gekommen. Die erste schriftliche Erwähnung datiert aus dem Jahr 1335. Zuerst wurden sie im nordböhmischen Turnov hergestellt, später etablierten sich auch weitere Lebkuchen-Regionen wie Prag, Melnik, Mlada Boleslav und Pardubice. In jeder Region gab es dann eigene Formen und eigene Verzierung."
Die Herstellung von Lebkuchen war früher alles andere als einfach. Der Teig wurde vermischt und verarbeitet, danach wurde er ein halbes Jahr liegen gelassen bis er ganz hart geworden war. Diese Basis musste man dann stundenlang bearbeiten, es wurden Mehl, Honig, Zucker und weitere Zutaten dazugemischt. Ein einziger Blick auf einen Lebkuchen reicht, und schon weiß man, in welcher böhmischen oder mährischen Region er hergestellt wurde. Die Farbe und die Art der Verzierung verrät es uns. In Mähren zum Beispiel erinnert die reichhaltige Verzierung an Spitze, anderswo wurden einfachere Formen bevorzugt. Auch Mandeln, Nüsse oder im 19. Jahrhundert farbige Papieraufkleber mit Kinderköpfen, Husaren oder Soldaten weisen auf die Ursprungsregion hin. In der Walachei zum Beispiel hielt man jedoch nichts vom Weihnachtsstollen und Lebkuchen, man hatte eine eigene Spezialität, sagt Petr Herynek:"In der Walachei hat man zum Beispiel statt Weihnachtsplätzchen die örtlichen großen runden Kuchen auf die Weihnachtstafel gelegt. Das spezielle daran war, dass sie aus getrockneten Früchten gemacht worden sind. Vor allem aus getrockneten Pflaumen und Birnen. Die Birnen wurden als ganzes im Stück getrocknet. Wenn der Fladen aus Teig fertig war, wurden die getrockneten Birnen gekocht und zerquetscht. Die Masse wurde dann auf den Teig gestrichen, und dann kam das ganze zum Backen in den Ofen."Lenka Rysicova aus dem Walachei-Museum erklärt, dass diese Kuchen auch einen anderen Zweck erfüllt haben:
"Aus diesem Kuchen konnte man die Zukunft vorhersagen. Vor dem Backen hat jeder aus der Familie eine Feder in den Kuchen gesteckt und erst danach hat ihn die Hausfrau in den Ofen geschoben. Und je nachdem, wie die Feder das Backen überlebt hat, hat man davon die Zukunft abgeleitet. Manche Federn sind weiß geblieben, das bedeutete Gesundheit und Glück. Wessen Feder aber verbrannt war, den sollte im Glauben der Leute eine Krankheit erwarten. Wenn aber die Feder unten doch noch ein bisschen weiß war, konnte man daraus schließen, dass man danach wieder gesund wird."
Das Weihnachtsfest ist der Höhepunkt der christlichen Tradition, und ein gastronomischer ebenfalls - und zwar schon von alters her. Mit dem Festmahl am Heiligen Abend wird die adventliche Fastenzeit abgeschlossen. Am 24. Dezember durfte man während des ganzen Tages nichts zu sich nehmen. Erst mit dem Aufleuchten des ersten Sterns traf sich die ganze Familie an einem reich gedeckten Tisch. Nach einem gemeinsamen Gebet begann dann die sieben- oder gar neungängige Mahlzeit. Alles musste bereits auf dem Tisch stehen, denn Aufstehen von der Festtafel brachte Unglück, wie man in tschechischen Familien übrigens bis heute glaubt. Auf dem Tisch wurde für eine Person mehr gedeckt, falls ein unerwarteter Gast kommen sollte.Als erstes hat der Wirt Oblaten mit Knoblauch oder Honig bestrichen. Das sollte der Familie für das ganze kommende Jahr Gesundheit bringen. Auf den Oblaten waren meist weihnachtliche Motive, Jesus Christus, oder Adam und Eva und die Schlange. Danach wurde eine Suppe serviert, eine Pilzsuppe oder die so genannte "Stedracka", in der alles vorkommen musste, was im ganzen Jahr im Garten geerntet wurde. Hinein kamen Bohnen, Erbsen, Graupen, Buchweizen oder auch unterschiedliches Wurzelgemüse und Trockenobst. Es folgte meist ein Grießbrei mit Honig, Butter oder geriebenem Lebkuchen, Christkindbrei genannt.
In der heutigen böhmischen Küche ist der Karpfen von der Weihnachtstafel nicht mehr wegzudenken, es handelt sich jedoch um eine relativ neue Tradition. Erst seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, mit der Erweiterung der Teichwirtschaft in Böhmen, gehört der Karpfen zu böhmischen Weihnachten, ganz real aber zunächst nur in den Gegenden, die eigene Teichwirtschaft hatten. Denn beim Transport mit Pferdekarren sind die Fische zumeist gestorben. Also hat man die Fische einfach aus Teig gebacken. Ein altböhmischer Brauch war es auch, zu Weihnachten ein Schwein zu schlachten, damit die Menschen etwas Deftiges zu Essen bekommen, erklärt Petr Herynek. "Die Weihnacht ist die Weihnacht und ein Braten ist ihre Schwester", hieß es früher in Böhmen. Und bis heute ist ein Schwein das Symbol der slawischen Weihnacht geblieben."Im Sommer hat den Leuten leichte Ernährung gereicht, damit sie satt wurden. Dann kamen aber eben Winter, Kälte, Frost und Schnee, und die Leute haben Kalorien gebraucht, um satt zu werden. Um viele Kalorien zu bekommen, musste man eben Deftiges essen. Heute können wir uns das nicht mehr vorstellen, weil wir Wärme und Licht haben. Wir können uns nicht vorstellen, was ein kurzer Tag ist und dass man sich nach der Jahreszeit richten muss."Kartoffeln, Rüben, Erbsen, Linsen, Getreide - auf der Festtafel mussten am Heiligen Abend alle Lebensmittel und Produkte auf dem Tisch sein, die in der Wirtschaft während des ganzen Jahres geerntet wurden. Und man glaubte, dass das, was auf dem Tisch ist, auch im kommenden Jahr in der Wirtschaft gut gedeihen wird. Es wurde außerdem "cerny kuba" serviert, der schwarze Jakob, ein Gericht aus Pilzen und Graupen. Aber auch Obst durfte nicht fehlen, es gab getrocknete Äpfel, Birnen, Pflaumen und Aprikosen, aus denen dann die Hausfrauen eine süße Soße namens "Muzika" zubereitet haben.
Die Tafel wurde am Heiligen Abend nicht nach dem Essen abgeräumt, man glaubte, dass in der Nacht verstorbene Familienmitglieder zu Besuch ins Haus kommen. Mit den Weihnachtsfeiertagen war aber in der Küche nicht alles vorbei, erzählt Petr Herynek:"Am 28. Dezember gedenken wir des betlehemitischen Kindermordes an über 4.000 Neugeborenen, den der König Herodes angeordnet hat, weil er Angst vor der Geburt von Jesus Christus hatte und davor dass dieser seine Macht und seinen Thron übernehmen könnte. In dieser Zeit wurden also aus Teig kleine Kinderfiguren in Ton- oder Blechformen gebacken, an diese Geschichte erinnern sollten."
Die altböhmische Küche hat auch an den letzten Tag im Jahr genauso wie an den ersten Januar gedacht. Die Köchinnen haben Speisen zubereitet, die die Zufuhr des Geldes in den Haushalt sichern sollten. Es wurden deshalb Gerichte aus Lebensmitteln gekocht, die viele Samen haben - Erbsen, Linsen oder Hirse. Bei der Auswahl des Neujahrsmenüs musste man besonders aufpassen, sagte Petr Herynek:
"Es wurde das gegessen, was Glück und Geld bringen sollte. Auf der anderen Seite durfte man nichts, was Flügel hatte. Denn sonst würde das Glück wegfliegen können. Also durfte man kein Geflügel essen."
Foto: Bára Procházková