Welt für sich oder Brücke zur Integration? Vietnamesischer Großmarkt Sapa in Prag
Sapa heißt der größte Vietnamesenmarkt in Tschechien. Das Gelände in einem Prager Außenbezirk, dort wo die Stadt bereits ländlich wird, wird gerne auch als „Klein-Hanoi“ bezeichnet. Das kommt nicht von ungefähr. Denn hier befinden sich neben vielen Kleider- und Lebensmittelläden auch beispielsweise Frisöre, Reisebüros, Restaurants sowie eine Schule und ein Kindergarten – wie in einer Kleinstadt also. Doch der Ruf des Sapa ist schlecht: Noch im vergangenen Jahr hat der Sicherheitsausschuss im tschechischen Abgeordnetenhaus den Markt als Drogenumschlagplatz und Ort von Steuerbetrug angeprangert. Zudem gibt es immer wieder Beschwerden aus dem angrenzenden Stadtteil Libuš.
Rund 1000 Geschäfte und Verkaufsstände soll es im Sapa geben. Hier ist täglich Markttag, es wird gehandelt und gefeilscht. Doch ganz im Innern des Sapa geht es ruhig zu. Dort steht ein buddhistischer Tempel, der einzige in Prag und einer von nur zwei in ganz Tschechien.
Frau Vu Thi Thu leitet die buddhistische Gemeinde der Vietnamesen in Tschechien. Bereits seit 26 Jahren lebt sie im Land. Sie sagt, sie habe früher an der Botschaft gearbeitet, sei dann nach der Pensionierung zusammen mit ihrer Familie im Land geblieben und habe sich verstärkt um den Tempel gekümmert. Sie sei jeden Tag ab 11 Uhr zum Beten hier, sagt sie – allerdings auf Vietnamesisch:
„Ich habe versucht, Tschechisch zu lernen, aber als Erwachsene ist mir das sehr schwer gefallen“, entschuldigt sich Vu Thi Thu für ihre mangelnden Sprachkenntnisse.Außerdem sei sie zu viel mit sozialen Projekten beschäftigt gewesen, fügt sie mit einem sanften Lächeln an.
Vu Thi Thu lebt in einer vietnamesischen Welt mitten in Prag, mitten in der Tschechischen Republik. Zentrum ist das Sapa, der vietnamesische Markt auf dem Gelände einer ehemaligen Geflügelfarm und Metzgerei – es ist der wichtigste Treffpunkt vieler Migranten aus dem südostasiatischen Land. Doch im Rathaus des Stadtteils Libuš ist man darüber nicht so erfreut – zum Beispiel wegen des Verkehrs. Stadtteil-Bürgermeister Jiří Koubek:
„Derzeit ist das Areal 35 Hektar groß. Jeden Tag fahren bis zu 7000 Menschen an und wieder ab, Besucher wie Händler. Dabei gibt es nur zwei Zufahrten, alle von derselben Straße aus, der Libušská. Und jeden Tag, inklusive Samstag, ist die Straße komplett verstopft.“Ein weiteres Problem seien die 14 Spielhöllen auf dem Gelände, beklagt Koubek. Zusammen mit drei weiteren vor den Toren des Sapa bestünde damit in Libuš, gleich nach dem Stadtzentrum, die höchste Dichte an Spielautomaten in Prag. Und nicht zuletzt beschweren sich die Mieter einer Hochhaussiedlung immer wieder über Unordnung und gestörte Nachtruhe durch ihre vietnamesischen Nachbarn. Das ist dem Bürgermeister sichtlich unangenehm. Eva Pechová geht es nicht besser, aber aus einem anderen Grund:
„Wenn ich mit dem Bus durch Libuš fahre, spüre ich eine Art Gehässigkeit. Die Frage ist, ob die Menschen ihre Frustration auf jemand anderes übertragen oder ob da wirklich Probleme miteinander in der Nachbarschaft bestehen.“Eva Pechová ist Vietnam-Wissenschaftlerin und beim Klub Hanoi beschäftigt. Der Verein hat ein Jahr lang ein Projekt betreut, um Mythen über das Sapa zu widerlegen und Tschechen wie Vietnamesen aus Libuš beim Zusammenleben zu helfen. Doch die Beratungsdienste seien nicht in dem Umfang wahrgenommen worden, wie es der Zahl der Beschwerden nach eigentlich hätte sein müssen, beklagt Pechová. In einigen Fällen aber konnte bei nachbarschaftlichen Problemen vermittelt werden - teilweise durch banale Übersetzungshilfe:
„Zum einen glaube ich, dass wir Tschechen automatisch davon ausgehen, dass unsere Regeln auch für alle anderen verständlich sind. Bei den Vietnamesen bewirkt die Sprachbarriere aber erst einmal, dass sie die Regeln gar nicht kennen. Zum Beispiel kennen sie so etwas wie die Nachtruhe eigentlich nicht, die Vietnamesen sind also lauter. In Vietnam leben auch mehr Menschen, da muss man sich durchsetzen können. Wenn aber jemand hingeht und ihnen die Regeln erklärt, dann ändert ein Großteil von ihnen auch sein Verhalten. Aber natürlich sollten die Vietnamesen auch verstärkt an ihren Sprachkenntnissen arbeiten.“Dass es eine Sprachbarriere gibt, vor allem bei den älteren der mittlerweile über 60.000 Vietnamesen, die in Tschechien leben, das quält auch Le Duy Ky. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Verbandes der Vietnamesen in Prag und kam 1971 aus seiner Heimat in die damalige Tschechoslowakei.
„Der Hauptgrund, warum sich die vietnamesische Kommunität und die tschechische Gesellschaft nicht verstehen, liegt daran, dass die Vietnamesen nur schlecht Tschechisch sprechen. Sie können dann ihre Bedürfnisse nicht äußern und ihre Bräuche nicht erläutern. Das ist natürlich sehr schade, auch für uns, für die vietnamesische Minderheit hier“, findet Le Duy Ky.
Doch was hat das alles mit dem Sapa zu tun? Gerade das Marktgelände hat begonnen, sich in den vergangenen Jahren für den Besucherverkehr zu öffnen. Le Duy Ky:
„Das Sapa hat früher als vietnamesische Lagerhalle fungiert. Hier wurde vor allem Großhandel betrieben. Deswegen konnte ins Sapa nur, wer einen Gewerbeschein hatte. Das wurde streng kontrolliert. Seit zwei Jahren dürfen aber auch Besucher ohne Gewerbeschein hier hinein.“Und das nutzen immer mehr Tschechen, aber auch nichtvietnamesische Ausländer in Prag. Dadurch wird diese Stadt in der Stadt immer mehr zum integrativen Faktor. Jiří Kocourek ist Vorsitzender des Klubs Hanoi. Seiner Erfahrung nach hat das Sapa erstaunlicherweise schon immer zur Integration beigetragen:
„Das Sapa hat sich von Anfang an wirtschaftlich gut integriert. Das war nicht das Problem und davon zeugt auch der Mietvertrag, der über 99 Jahre geschlossen wurde. Diese Integrationsaufgabe erfüllt das Sapa bis heute, mindestens ein Drittel der Migranten hat Anschluss an das wirtschaftliche Leben in Tschechien gefunden. Denn hier gab es Leute, die übersetzen konnten und beim Umgang mit den Behörden geholfen haben. Diese Funktion des Sapa lässt sich nicht wegdiskutieren, eine andere Organisation gab es nicht, die diese Aufgaben übernehmen konnte. Eine hohe Prozentzahl an Vietnamesen, die in Tschechien leben, ist an das Sapa angebunden und fährt regelmäßig hierher. Die Realität zeigt, dass es erneut keine andere Organisation gibt, die eine solche Zahl bewältigen könnte.“
Geht es nach der Betreibergesellschaft, dann wird das Gelände noch weiter vergrößert und vor allem verändert. Ein richtiges Geschäftsviertel soll entstehen anstatt des früheren geschlossenen Großmarktes. Dafür haben die Betreiber versprochen, bis Ende kommenden Jahres alle 14 Spielkasinos zu schließen. Das ist eine der Forderungen aus dem Rathaus von Libuš. Doch ob der Umbau wirklich kommt, das ist noch längst nicht klar. Die Entscheidung wird letztlich nicht das Rathaus des Stadtteils, sondern der Prager Magistrat treffen.
„Die buddhistische Gemeinde der Vietnamesen in Tschechien will ein Kulturhaus bauen, in dem sich auch beten lässt. Dazu sind bereits 1200 Quadratmeter Grund gekauft worden“, erläutert Vu Thi Thu.
Die nötigen Genehmigungen sind indes noch nicht ausgestellt worden.