„Welt im Kleinen“ – Egerlandmuseum zeigt Krippen im historischen Kontext
Weihnachtszeit ist Krippenzeit, sogar im protestantischen Oberfranken. In Marktredwitz sind Historiker auf die Suche nach Krippen aus der historischen Region des Egerlandes gegangen. In Zusammenarbeit mit vielen tschechischen Museen in Westböhmen haben sie unterschiedlichste Kunstobjekte gefunden. Die Krippen, die nun in der Ausstellung „Eine Welt im Kleinen“ versammelt sind, erzählen nicht nur die Weihnachtsgeschichte, sondern transportieren auch Wissen über die Menschen, die sie geschaffen haben. Einen Überblick über die Ausstellung gibt der Leiter des Egerlandmuseums Marktredwitz, Volker Dittmar, im Gespräch mit Radio Prag.
„Das Egerland ist bekannt als die reichhaltigste Krippenlandschaft Böhmens. Das hat seinen Grund darin, dass viele Menschen im 19. Jahrhundert ihre Hauskrippen aus verschiedenen Materialien hergestellt haben. Das Egerland nimmt dabei eine besonders bedeutende Rolle ein, insbesondere die Königsberger Kastenkrippen sind schon fast weltberühmt, denn sie zeigen eine ganz außerordentliche Schnitzkunst. Da werden minutiös kleinste Figuren in einen Krippenberg in Grotten hineingestellt. Das sind sehr schöne, wunderbare Kastenkrippen, die heute allerdings Relikte sind – Erinnerungen an eine Zeit, die es nicht mehr gibt. Die Schnitzer sind mit den Egerländern und deren Vertreibung ausgestorben. Nach unserem Wissen gibt es heute nur noch einen einzigen Menschen, der es kann, gewissermaßen der letzte seines Standes. Es ist Marek Minař. Er lebt in Prag und Bad Königswart. Er hat sich diese Schnitzkunst selbst beigebracht und hat wohl auch einige Aufträge.“
Aus welcher Zeit stammen die Krippen, die sie zusammengetragen haben?„Der historische Hintergrund ist folgender: Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis etwa 1804 galt in der Habsburgermonarchie das josephinische Kirchenkrippenverbot. Man wollte in dieser absolutistischen Zeit nicht mehr die pralle Volksfrömmigkeit in den Kirchen haben, sondern hat sie entseelt. Darunter fielen auch die Krippen. Das Volk hat sich das aber nicht so ganz gefallen lassen. Die Bürger haben versucht, sich Krippen im kleineren Format für ihr Wohnzimmer zu beschaffen. Da haben viele Handwerker, Industriearbeiter und Schnitzer zusammengewirkt, und haben den Bürgern Krippenfiguren geliefert. Das macht die Artenvielfalt im Egerland aus. Die Porzellinerkrippen aus der Gegend um Elbogen und Schlackenwert sind zum Beispiel sehr bekannt, sie stammen aus der Zeit beginnend um 1820. Dann gibt es aber auch noch Papierkrippen, Krippen aus Tragant, aus allen möglichen Materialien. Das ist die große Zeit der bürgerlichen Krippen, das 19. Jahrhundert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, die damals eine große Bedeutung hatten – eben eine Welt im Kleinen.“
Können Sie sich denn bei dieser ganzen Vielfalt auf eine Krippe festlegen, die aus ihrer Ausstellung besonders hervorsticht?„Ganz klare Antwort: Ja. Die wertvollste Krippe ist, und das ist meine subjektive Meinung, eine Papierkrippe, die aus dem Frauengefangenenlager Zwodau stammt. Das ist heute ein Ortsteil von Sokolov. Im zweiten Weltkrieg waren dort unter den Nationalsozialisten Frauen inhaftiert, die für die Rüstungsindustrie arbeiten sollten. Unter ihnen war die Slowenin Nadja Blaganje. Sie hat sich Weihnachten 1944 selbst aus Abfallpapieren eine Faltkrippe gebaut – sozusagen als Hoffnungsträger, dass sie bald in Freiheit kommt und Frieden herrscht. Das hat sich sogar erfüllt. Nadja Blaganje wurde tatsächlich von den Amerikanern befreit und konnte in ihre Heimat zurückkehren. In den 1970ern kam sie nochmals nach Sokolov zurück, um dieses Lager nochmals zu sehen. Damals hat sie ihre Krippe dem Museum Sokolov zur Verfügung gestellt. Aus der dortigen Dauerausstellung haben wir sie entliehen, um auch diese schwere Zeit in unserer Ausstellung dokumentieren zu können.“
Die Krippenausstellung „Eine Welt im Kleinen – Krippen aus dem Egerland und Marktredwitz“ im Egerlandmuseum ist bis einschließlich 31. März 2015 geöffnet. Weitere Informationen gibt es auf der Homepage www.egerlandmuseum.de. Der gleichnamige Katalog zur Ausstellung ist über 600 Seiten stark, teilweise zweisprachig deutsch-tschechisch, und kann im Buchhandel erworben werden.