Wem gehört der Böhmerwald? Tschechien diskutiert neue Naturschutzgesetze
Tschechien ist reich an Naturdenkmälern. Es gibt vier Nationalparks, der bekannteste und größte ist der Böhmerwald / Šumava im Westen des Landes. Seit Jahren wird debattiert, ob der Naturschutz dort ausreichend geregelt und vor allem auch eingehalten wird. Gesetzesinitiativen kamen und gingen. Derzeit gibt es gleich zwei konkurrierende Vorschläge, einmal für eine spezielle Lex Böhmerwald, einmal für ein erneuertes landesweites Naturschutzgesetz.
Dass der Senatsvorschlag nun fürs Erste auf Eis liegt, ist aber nicht auf Zemans Verlautbarungen zurückzuführen. Hauptgrund sind die anstehenden Kommunalwahlen. Weil das Böhmerwaldgesetz vor allem die dortigen Gemeinden betrifft, soll abgewartet werden, wer ab Oktober im Amt ist. Zudem haben fast 43.000 Menschen die Petition „Für ein gutes Böhmerwald-Gesetz“ unterzeichnet. Diese und eine weitere Petition wollen die Parlamentarier zunächst prüfen. Die tschechische Regierung hatte das Sondergesetz bereits im Juli abgelehnt und auch Umweltminister Richard Brabec (Ano) ist gegen eine eigene „Lex Böhmerwald“. Stattdessen will er eine Novellierung des Natur- und Umweltschutzgesetzes von 1992, die dann für sämtliche Nationalparks und Naturschutzgebiete in Tschechien gelten soll. Vergangenen Mittwoch präsentierte Brabec Einzelheiten. Die Neuregelung sieht unter anderem eine Unterteilung der Schutzgebiete in vier statt bisher drei Kategorien vor. Die bestehenden Zonen der ersten Kategorie würden demnach abgeschafft, wie der Minister im Tschechischen Rundfunks erläuterte:
„Damit werden die bisher streng überwachten Zonen für die Besucher geöffnet. Es handelt sich um die sogenannten Zonen der ersten Kategorie, die bislang nur auf befestigten Pfaden oder Wegen zugänglich waren. Gemäß der Gesetzesnovelle sollen diese durch sogenannte beruhigte Zonen ersetzt werden. Im Falle der Nationalparks wären die Ausmaße dieser Zonen wesentlich kleiner als die Zonen der ersten Kategorie, die wir momentan haben.“Weniger als 20 Prozent von der Gesamtgröße der Nationalparks soll die „beruhigte Zone“ umfassen. Laut Minister Brabec dient die Einführung der neuen Zone vor allem dem Fremdenverkehr:
„Nachdem wir diese beruhigten Zonen eingerichtet haben, was vermutlich ein Jahr dauern wird, können Touristen in diesen Bereich des Nationalparks. Nicht das ganze Jahr über, aber zu bestimmten Zeiten wäre der Zugang zu diesen Zonen der ersten Kategorie erlaubt, und das auch auf nicht gekennzeichneten Wegen. So wie es zum Beispiel auch in deutschen Nationalparks geregelt ist, könnte der Zugang nur für einige Monate verboten sein, etwa wenn dort vom Aussterben bedrohte Vögel brüten. Das bedeutet eine Lockerung der bisherigen Regelung, und darum ist diese Regelung für Touristen revolutionär.“
Die Reaktion der Umweltschützer kam umgehend. Hnutí Duha unterstützt es grundsätzlich, dass nun das allgemeine Naturschutzgesetz den Rahmen für den Böhmerwald schaffen soll. Doch an den Einzelheiten gab es Kritik. Jaromír Bláha ist Leiter der Programmabteilung für den Schutz der Wälder. Er äußerte sich im Tschechischen Rundfunk zu den neuen Plänen der Mitte-Links-Regierung:„Wenn täglich 2.000 Menschen durch die Moorgebiete laufen, dann zerstören sie sie. Und genauso, wenn sie in die Kernzonen gehen, wo der vom Aussterben bedrohte Auerhahn brütet. Dann werden die letzten Reste dieser Population in Tschechien verschwinden. Wir befürworten daher, dass es in den Nationalparks bestimmte Gebiete gibt, die nur der Natur vorbehalten sind. An allen anderen Stellen soll die Natur für die Menschen zugänglich sein.“
Dennoch könnte sich Bláha mit der Einführung der beruhigten Zonen anfreunden. Für den Umweltschützer ist eine andere Frage entscheidend:
„Die Hauptfrage ist doch, wie die Zonierung aussieht. Wo wird die Grenze gezogen, bis zu der wir die Natur wirklich sich selbst überlassen, wo wir keine Waldwirtschaft betreiben, Bäume fällen oder Neubauten errichten? Bisher habe ich den Vorschlag nicht gesehen, daher weiß ich nicht, ob die Zonierung Teil davon ist. Nach allen Unterlagen, die uns zum jetzigen Zeitpunkt zur Verfügung stehen, sollte etwa die Hälfte des Böhmerwaldes Teil dieser ersten Zone sein, wo es verboten ist, Bäume zu fällen und Baumaßnahmen zu tätigen. Für Besucher, die dort die unberührte Natur genießen wollen, kann diese Zone natürlich zugänglich sein.“
Hnutí Duha sammelt schon seit langem Beweise, dass sich verschieden Akteure im Böhmerwald über jede Regelung hinwegsetzen. Die bisherigen Gesetzesvorschläge sehen sie als reine Lobbyarbeit der Bauinvestoren und der holzverarbeitenden Industrien. Für die Umweltschützer kollidieren Wirtschaftsinteressen mit den Interessen der Natur. Was für ein Politikum der Böhmerwald ist, zeigt auch der häufige personelle Wechsel an der Spitze des größten tschechischen Nationalparks. Die letzten beiden Chefs waren jeweils nur für zwei Jahre im Amt. Damit die Ortsansässigen langfristig planen können, und die Umstände nicht dem Einfluss der Nationalparkleitung und wechselnden Regierungen unterliegen, möchte Umweltminister Brabec das Gesetz langfristig verankern:„Nach der Annahme dieser Neuerung sowie der Schlüsseldokumente, an denen die Gemeinden ein direktes Interesse haben – die beruhigte Zone und Zonierung – werden wir ein Moratorium für etwa 15 Jahre erstellen. Darin wird festgelegt, dass die Regelung nicht angetastet werden darf. Das heißt, es wird genauso im Gesetz verankert, wie es sich die Gemeinden gewünscht haben.“Die Gemeinden des Böhmerwalds – sie hatten in den vergangen Jahren vehement nach einer gesetzlichen Regelung verlangt, die die Grenzen des Nationalparks genau festlegt. Für die meisten Bürgermeister aus dem Böhmerwald war entscheidend, dass die Dörfer und Städte nicht in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung und am Ausbau des Tourismus gehindert werden. Der Großteil der Bürgermeister befürwortet daher den wirtschaftsfreundlichen Senatsvorschlag, die eigene Lex Böhmerwald. Allen voran Antonín Schubert. Er ist Bürgermeister des 50-Seelen-Dorfes Modrava / Mader im Bezirk Klatovy / Klattau sowie Vorsitzender der Vereinigung der Gemeinden im Nationalpark Böhmerwald. Den Vorschlag vom Umweltministerium kritisierte Schubert im Tschechischen Rundfunk:
„Die Zonierung ist ein allgemeines Regelwerk, das in fast allen Nationalparks der Welt fixiert ist. Mit der Gesetzesnovelle, die der Minister heute vorgestellt hat, wird diese Richtschnur abgeschafft. Wir halten aber gerade die Zonierung für die grundlegende Norm, an der sich nicht nur unsere Besucher orientieren können, sondern die Besucher aller Nationalparks auf der ganzen Welt.“Eine Neuregelung, die alle bisherigen Regelungen überflüssig macht, will Schubert auf keinen Fall. Ohnehin könnte der Böhmerwald das Label „Nationalpark“ verlieren, sollte die neue Zoneneinteilung und Gesetzgebung den internationalen Kategorien nicht entsprechen. Der neue Vorschlag des Umweltministeriums durchläuft derzeit den legislativen Prozess im Parlament und könnte Ende Oktober von der Regierung abgesegnet werden. Gültig wäre er frühestens ab Juni 2016.