Werden die Referenden in Frankreich und den Niederlanden die tschechische Debatte zur EU-Verfassung beeinflussen?

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In unserer Sendereihe Schauplatz befassen sich Bara Procházková und Robert Schuster diesmal mit den Auswirkungen der gescheiterten Referenden zum Europäischen Verfassungsvertrag in den Niederlanden und in Frankreich auf Tschechien.

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Europa war in der abgelaufenen Woche im wahrsten Sinn des Wortes in aller Munde. In zwei von insgesamt 25 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union fanden Volksabstimmungen über die europäische Verfassung statt, und in beiden Fällen endeten die Referenden mit einer deutlichen Ablehnung durch die Wähler. Befindet sich also damit die Europäische Union genau ein Jahr nach ihrer historischen Erweiterung in einer Krise - gerade wenn man bedenkt, dass mit Frankreich und den Niederlanden zwei Gründungsmitglieder der ursprünglichen Sechser-Gemeinschaft die Verfassung ablehnten? Wird der europäische Einigungsgedanke, so wie schon Anfang der 90er Jahre, wieder von einer Art "Euro-Sklerose" befallen?

Dass sich die Bürger zweier Mitgliedsstaaten der EU gegen einen wichtigen Vertragstext wandten, der die Gemeinschaft weiter entwickeln sollte, ist jedenfalls nicht neu. Schon zweimal brachten die Referenden in zwei Staaten das europäische Projekt zeitweilig ins Wanken. Sowohl die Dänen, die sich im Juni 1992 gegen den Maastrichter Vertrag stellten, wie auch die Iren beim ihrem Nein zum Vertrag von Nizza im Jahr 2001, konnten den übrigen Mitgliedsländern gewisse Zugeständnisse in heiklen Bereichen, wie etwa bei der Einführung des Euro oder in der Verteidigungspolitik, entlocken. Einige Monate später hatten dann die Wähler in beiden Ländern die Verträge auch tatsächlich verabschiedet.

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Ist ein ähnliches Szenario auch nach dem Nein der Franzosen und Niederländer zum Europäischen Verfassungsvertrag denkbar? Schließlich dauerte es ganze zwei Jahre, bis der Verfassungstext ausformuliert wurde. Das fragten wir die Europaexpertin Vera Rihackova vom Prager Institut für europäische Politik Europeum:

"Was den Verfassungsvertrag angeht, so ist der Spielraum für irgendwelche Ausnahmen für jene Staaten, die den Vertrag noch nicht verabschiedet haben, sehr gering, weil dieser in erster Linie die Reform der Institutionen betrifft, z.B. die Frage der qualifizierten Mehrheit. Da kann man nichts ohne die anderen Mitgliedsländer verändern. Man muss aber auch sehen, dass sowohl in Frankreich wie auch in den Niederlanden eigentlich nicht der Vertrag als solcher, sondern andere Gründe für das negative Votum ausschlaggebend waren. Mit anderen Worten: Erst, wenn der ganze Ratifizierungsprozess abgeschlossen sein wird, wird es einen Sinn machen zu überlegen, was am Vertrag verändert werden sollte, denn dann wird man erst wissen, welche Argumente im jeweiligen Land vorgebracht wurden und was man mit dem Vertrag anfangen soll."

Logo der tschechischen EU-Kampagne  (Foto: CTK)
Den Tschechen geht schon seit längerem der Ruf voraus, sie würden die größten Skeptiker innerhalb der Union und auch am wenigsten von der EU-Mitgliedschaft des eigenen des Landes überzeugt sein. Wie lässt sich aber erklären, dass alle Umfragen, die bislang zum Verfassungsvertrag präsentiert wurden, gerade in Tschechien von einer mehrheitlichen Unterstützung ausgehen?

"Das Paradox würde ich darin sehen, dass die Tschechen den Vertrag zwar unterstützen, ohne aber zu wissen, was drinnen steht. Der Grund ist, dass die Bevölkerung gegenüber dem Einigungsprozess mehrheitlich positiv eingestellt ist und vielleicht nicht so auf die Details achtet. Man darf auch nicht vergessen, dass das erste Jahr der EU-Mitgliedschaft überaus erfolgreich war, vor allem für die heimische Wirtschaft. Wenn das Land profitiert, profitieren auch dessen Bürger davon. Und einer der Hauptgründe, warum das so ist, liegt eben in der Mitgliedschaft Tschechiens in der Europäischen Union."

Könnten die negativen Ergebnisse der Volksabstimmungen in Frankreich und, vielleicht noch stärker, in den Niederlanden - denn das ist ein ähnlich großes Land wie Tschechien - die Stimmung auch hierzulande zu Ungunsten des Vertrags kippen? Wie resistent sind die Tschechen gegenüber solchen ausländischen Einflüssen? Dazu meint Vera Rihackova:

"Also ein Faktor, der sicherlich auch eine Rolle spielen wird, ist das Gefühl, dass man nicht alleine sein würde bei der Ablehnung der europäischen Verfassung. Wenn die Lage so wäre, dass Tschechien als letztes Mitgliedsland in einem Referendum zu entscheiden hätte und alle anderen zuvor dafür wären, dann würden wohl viele Wähler instinktiv dafür stimmen, denn schließlich will man ja nicht zu Sorgenkindern der Union gestempelt werden. Natürlich kann es angesichts der Ergebnisse in Frankreich und in den Niederlanden einen Schneeballeffekt geben, aber bis es in Tschechien ein Referendum geben würde, könnten die Nachwehen der Ergebnisse der Volksabstimmungen in den Niederlanden und in Frankreich bereits ein wenig schwächer sein."

Die tschechische Debatte über den Verfassungsvertrag konnte lange nicht in Fahrt kommen. Lange Zeit sah es sogar fast so aus, als ob ausschließlich die Verfassungsgegner, und hier in erster Linie Tschechiens Staatsoberhaupt Vaclav Klaus, ihre Argumente präsentieren würden. Erst in den letzten Wochen haben auch die Befürworter, vor allem aus den Reihen der Regierungsparteien, stärker in die Debatte eingegriffen. Nach den Referenden in den Niederlanden und in Frankreich droht nun aber diese wichtige innertschechische Debatte wieder zu erlahmen, nicht zuletzt auch deshalb, weil die die stärkste Oppositionspartei des Landes, die europakritische rechtsliberale Demokratische Bürgerpartei (ODS), den Verfassungstext für erledigt erklärte und damit zu erkennen gab, kein Interesse an einer weiteren Auseinandersetzung mit diesem Thema zu haben. Das Motiv der Bürgerdemokraten scheint legitim zu sein, denn schließlich hatte die Partei zunehmend Schwierigkeiten, ihre europakritischen Standpunkte ihrer mehrheitlich proeuropäisch eingestellten Basis gegenüber zu rechtfertigen.

Wäre es also nicht eher wünschenswert, dass der Europäische Verfassungsvertrag eine generelle Diskussion über die Rolle Tschechiens in der Gemeinschaft und die Vorstellungen über deren künftige Form auslöst? Dazu meint Europaexpertin Vera Rihackova:

"Man darf nicht vergessen, dass die Regierung, die das Feld der Befürworter des Verfassungsvertrags anführt, sich lange in einer Krise befand und keine Zeit hatte, den Tschechen dieses wichtige Dokument zu erklären. Das hat sich jetzt geändert, und die neue Regierung hat die erfolgreiche Verabschiedung zu ihrer wichtigsten Aufgabe erklärt. Wichtig ist dabei nicht, die Bürger als potentielle Wähler für ein Ja zu indoktrinieren, sondern eine gründliche Debatte über die weitere Richtung des europäischen Einigungsprozesses auszulösen. Gerade das war in Frankreich und in den Niederlanden entscheidend, wobei viele Bürger sich ganz einfach von der Erweiterung überfordert fühlten und das noch nicht verdaut wurde."

Die von der Regierung geplante Erklärungskampagne zum Verfassungsvertrag wird jedenfalls einem Spießrutenlauf gleichen, denn sie muss einerseits dem Anspruch auf eine objektive Darstellung des Sachverhalts entsprechen, andererseits aber auch eine klare Richtung, bzw. Präferenz der Regierung zu erkennen geben. Als es vor drei Jahren das Referendum über den Beitritt des Landes zur EU gab, bemängelten die Kritiker des Beitritts, dass ihre kritischen Stimmen und Argumente von der Regierung verschwiegen wurden und sie zum Beispiel für ihre Kampagne keine Mittel aus dem Staatshaushalt bekamen. Soll das nun im Zusammenhang mit dem Europäischen Verfassungsvertrag anders werden? Das war unsere abschließende Frage an Frau Vera Rihackova vom Prager Institut für europäische Politik Europeum:

"Die Strategie, die von der tschechischen Regierung gewählt wurde, ist im Grunde genommen richtig. Sie setzt sich aus zwei Phasen zusammen: Zum einen soll den Bürgern der Vertrag erklärt und auf die Neuerungen hingewiesen werden. Das zweite Anliegen ist dann, die Bürger davon zu überzeugen, dass die Verfassung notwendig und gut ist. Auch deshalb wird die Regierungskampagne eindeutig positiv ausgerichtet sein. Denn schließlich hat ja die Regierung den Text mit verhandelt und dann auch unterschrieben."