Wie flexibel sind die Tschechen?

Foto: Europäische Kommission

Vor dem EU-Beitritt Tschechiens schwirrte in den Köpfen einiger ängstlicher Deutscher vor allem ein Horrorszenario: die Tschechen werden scharenweise über die Grenze kommen, um den ohnehin schon Arbeitslosen die möglichen Arbeitsstellen wegzustehlen. Wieviel Angst die Deutschen vor der "tschechischen Invasion" wirklich haben müssen, klärt Katrin Müller:

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Wenn die Deutschen gen Osten über die Grenze blicken, sehen sie oftmals leider nur den wirtschaftlich schlecht gestellten Nachbarn, der sowieso nur ihr Geld will. Aber neben Gemütlichkeit und viel Humor besitzen die Tschechen durchaus noch die Eigenart, sich so wenig wie möglich vom Heimatort zu entfernen. Der Kommunikationswissenschaftler Dominik Lukes bringt Licht ins Dunkel. Und auch ein tschechisches Sprichwort besagt:

"Es ist besser, wenn das Haus zweimal abbrennt, als einmal umzusiedeln. Tschechen mögen es ganz und gar nicht, umzuziehen. Natürlich gibt es auch viele Ausnahmen, aber im allgemeinen ist dies eines der großen Probleme in der Tschechischen Republik - der Mangel an Mobilität. Das betrifft vor allem permanente Arbeitsstellen. Geht es hingegen um Saisonarbeit, ist die Mobilität kein Problem. Die Tschechen sind seit ihrer Schulzeit daran gewöhnt, im Ausland in der Landwirtschaft oder auf Baustellen für eine kurze Zeit im Sommer zu arbeiten. Es gibt aber kein bestimmtes Gebiet, in das es die Tschechen zieht. Allerdings ist die neue Generation, von Universitätsstudenten zum Beisspiel, bereit, für zwei Jahre ins Ausland zu gehen. Aber die Mittleschicht und die untere Mittelschicht aus der Generation zuvor, und insbesondere Leute, die in ihren 30-igern oder Anfang ihrer 40-iger sind, die ziehen nicht gern um."

Die Gründe für diese Unflexibilität hängen mit verschieden Faktoren zusammen.

"Es hat mit der Verbundenheit zur Familie zu tun. Es ist schwer für die Menschen, die umziehen. Sie reden über einen Umzug als eine sehr gewichtige Angelegenheit. Ein anderer Grund liegt in der Kultur. Die Tschechen haben oft einen stark ausgeprägten Freundeskreis. Wenn Menschen aus anderen Ländern als Tschechien zum Beispiel nach Großbritannien auswandern, schließen sie sich dort meist einem Club an oder treten ins Fitness-Studio ein, um so schnell wie möglich Kontakte zu knüpfen. Tschechen brauchen viel länger, um solche Netzwerke herzustellen. Für Tschechen bedeutet die Freundschaft eine sehr enge Beziehung. Sie brauchen längere Zeit, um so etwas aufzubauen. Also auch dieser Fakt hindert die Tschechen daran, ins Ausland oder eine andere Region innerhalb der Tschechischen Republik zu gehen. Sie befürchten die Verbundenheit zur Familie und zu den Freunden zu verlieren."

Sicherlich wird sich diese Einstellung der Tschechen in den nächsten Jahren ändern, da Flexibilität auch in der Wirtschaft immer wichtiger wird. Aber auch nach dem EU-Beitritt kann der besorgte Deutsche beruhigt auf seine eigenen Probleme schauen. Die Übergangsfristen für den freien Zugang zum Arbeitsmarkt dauern eventuell noch bis zum Jahr 2011. Bis dahin bleibt noch genug Zeit zum Nägelkauen.