Wiese der Erinnerungen: In Prag gibt es die erste nachhaltige Begräbnisstätte für Erdbestattungen

Der Friedhof im Prager Stadtteil Ďáblice ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Mit 29 Hektar handelt es sich nicht nur um die zweitgrößte Begräbnisstätte der Hauptstadt, sondern auch um den einzigen kubistischen Friedhof Tschechiens. 2017 wurde er zum Nationalen Kulturdenkmal ernannt. Parallel zu seiner reichen Geschichte ist Ďáblice aber auch ein Ort für moderneres Bestattungswesen. Seit gut sieben Jahren gibt es hier den Naturfriedhof „Les vzpomínek“ (Wald der Erinnerungen), und dieser wird nun um das Projekt „Louka vzpomínek“ (Wiese der Erinnerungen) ergänzt.

Martin Červený | Foto: Filip Jandourek,  Tschechischer Rundfunk

Der „Wald der Erinnerungen“ in Ďáblice ist ein Beweis dafür, dass der Klimawandel und die Möglichkeiten einer bewussteren Verhaltensweise wirklich alle Bereiche des menschlichen Lebens betreffen. Das Interesse an einer ökologisch verträglichen Beerdigungsform ist zumindest in Prag so hoch, dass die Plätze in dem Friedwald inzwischen knapp werden. Das Konzept dahinter fasst Martin Červený, Leiter der städtischen Verwaltung der Prager Friedhöfe (Správa pražských hřbitovů, SPH), wie folgt zusammen:

„Im ‚Wald der Erinnerungen‘ werden Urnen unter den Baumwurzeln beigesetzt. Die Gefäße sind ökologisch abbaubar, und die Baumstämme ersetzen die Grabsteine. Dies ist eine naturnahe Form der Beerdigung, denn in den Begräbnisort muss nur minimal eingegriffen werden.“

Da Feuerbestattungen aber viel Energie benötigten und auf fossilen Brennstoffen basierten, werde das Angebot nun um eine „Wiese der Erinnerungen“ für Särge ergänzt, fährt Červený fort.

Damit ist man in Ďáblice erneut ein Vorreiter in Sachen moderner Bestattungsmethoden. Schon der „Wald der Erinnerungen“ stellte 2016 eine Neuheit in Tschechien dar. Inzwischen gibt es eine ähnliche Begräbnisstätte auch in Olomouc / Olmütz. Im Prager Norden findet sich nun außerdem der landesweit erste Ort für ökologisch verträgliche Erdbestattungen. Martin Červený erläutert, was das Problem auf den herkömmlichen Friedhöfen sei:

„Meist werden Särge verwendet, die zwar aus Holz bestehen, aber mit einer dicken Schicht aus synthetischem Lack und Klebstoffen versehen sind. Zudem sind sie mit Plasteimitaten von Bronzeverzierungen versehen. Solche Särge zersetzen sich in der Erde nur sehr langsam und unvollständig.“

Naturbelassene Blumenwiese

Erinnerungswald auf dem Friedhof in Ďáblice | Foto: Ondřej Novák,  Tschechischer Rundfunk

Dies sei auf der „Wiese der Erinnerungen“ anders. Ähnlich wie der Friedwald bleibe der Ort naturbelassen:

„Auf der Wiese gibt es gewisse Regeln für die verwendeten Materialien. Die Särge dürfen nur aus Naturstoffen hergestellt sein, also aus unbearbeitetem Holz oder aus Gerten. Ähnlich werden die Leichentücher oder die Bekleidung des Verstorbenen sowie der Innenbezug des Sargs nicht aus Kunststoff sein. Des Weiteren sieht der Betrieb der Gräberanlage – ähnlich wie im Friedwald – vor, dass keine in Folie verpackten Sträuße abgelegt werden und die Blumen nicht aus Afrika eingeführt wurden, sondern einen lokalen Ursprung haben.“

Blumen wachsen auf der Wiese ansonsten auch ganz regulär. Ihr natürlicher Bestand wird nur durch einige gemähte Wege eingeschränkt. Und ein weiterer wichtiger Aspekt sei der Verzicht auf Grabsteine, fährt Červený fort:

„Diese sind eine ökologische Belastung, denn das Material wird oft über die halbe Erdkugel importiert, etwa aus Asien oder aus Afrika. Bei der Herstellung von Grabsteinen wird zudem eine große Menge an Energie verbraucht. Darum nutzen wir nur kleine Keramikschilder, auf denen der jeweilige Name steht.“

Erinnerungswald auf dem Friedhof in Ďáblice | Foto: Ondřej Novák,  Tschechischer Rundfunk

Sei es aus praktischen oder aus finanziellen Gründen – Erdbestattungen liegen in Prag kaum im Kurs. Vielmehr werden bei 96 Prozent aller Begräbnisse in der Stadt Urnen genutzt. Červený erwartet nicht, dass die „Wiese der Erinnerungen“ in Ďáblice diesen Trend wesentlich ändern wird. Deren Kapazität ist zudem auf etwa 350 Plätze begrenzt. Eine echte Alternative würde sie, in Verbindung mit dem Friedwald, aber in Bezug auf das eigentliche Bestattungsritual darstellen, betont der Verwaltungsleiter:

„Mit dem Konzept sollen die Angehörigen ermuntert werden, die Zeremonie nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten. Dies ist nämlich nicht immer und überall möglich. Vor allem, wenn die Menschen unerwartet mit einem Todesfall konfrontiert sind, können sie in den Bestattungsinstituten oft nur aus sehr genau definierten Möglichkeiten, streng nach Katalog und Preisliste auswählen. Wenn jemand das Ritual selbst gestalten will, stößt er oft auf Probleme. In unserem Friedwald oder auf der Gedenkwiese geben wir den Hinterbliebenen hingegen völlige Freiheit.“

Bestattungszeremonien nach eigenen Vorstellungen

Auf der gerade angelegten Wiese gibt es etwa auch einen Pavillon, in dem Begräbnisfeiern stattfinden können. Und weiter berichtet Červený:

„Gerade haben wir ein sogenanntes Begräbnisatelier eröffnet, das zum Konzept dazugehört. Dort sind Produkte ausgestellt, die die üblichen Bestattungsinstitute nicht anbieten, und die Besucher können sich über verschiedene Zeremonien informieren. Natürlich können sie auch ein ganz konventionelles Ritual auswählen, etwa in der Trauerhalle oder im Krematorium. Im Atelier erfahren sie aber zusätzlich, dass die Zeremonie ebenso in der Kirche oder draußen in der Natur stattfinden kann.“

Das entsprechend ausgebildete Personal stünde den Hinterbliebenen bei der Planung jeglicher Art von Begräbnissen zur Seite, ergänzt Červený. Er vergleiche dies gern mit einer Traumhochzeit, von der die Eheleute ganz genaue Vorstellungen hätten und die sie in einem Hochzeitsstudio organisieren lassen könnten:

„Bei Beerdigungen gibt es diesen Service oft leider nicht. Die Menschen, die in einer bedrückenden Lage sind, haben aber zumeist weder die Energie noch die nötige Zeit. Also brauchen sie jemanden, der ihnen mit Empathie die Möglichkeiten darlegt und ihnen bei der Abwicklung hilft. Auf der ‚Wiese der Erinnerungen‘ ist einerseits eine ganz einfache Zeremonie möglich. Wer andererseits aber seine eigenen Vorstellungen einbringen oder die Wünsche des Verstorbenen umsetzen möchte, der findet dort den idealen Ort.“

Martin Červený | Foto: Prag 3

Dass dies in Tschechien bisher nicht üblich ist, sei ein Zeichen dafür, wie verknöchert das Bestattungswesen hierzulande sei, kritisiert Červený:

„Manchmal tauchen Neuigkeiten eher bizarren Charakters auf. Dies sind meist Ideen, die nicht für jeden geeignet sind – wie etwa Schmuckstücke, die die Asche des Verstorbenen enthalten, oder Andenken aus Glas, in dem die Asche verschmolzen wird. In den meisten anderen Branchen wird eine aufkommende Nachfrage in der Bevölkerung verhältnismäßig schnell umgesetzt. Dies gilt auch für neue Themen, wie derzeit etwa Klima und Nachhaltigkeit. In der Bestattungsindustrie dauert das aber immer sehr lange.“

Zumindest die Prager Friedhofsverwaltung scheint dem Puls der Zeit zu folgen und hat keine Scheu vor Innovationen – auch und gerade nicht in dieser eher konservativen Branche. Die Nachfrage, der sich der „Wald der Erinnerungen“ erfreut, gibt ihr offenbar Recht. Darum wurde in der Nähe des Krematoriums Motol auch schon ein weiteres Grundstück ausgemacht, das für ökologische Urnenbeisetzungen hergerichtet werden soll. Und falls die „Wiese der Erinnerungen“ ein ähnliches Interesse hervorrufe, dann gäbe es in Motol bereits ein weiteres Areal, das sich für nachhaltige Erdbestattungen anbieten würde, so Červenýs Ausblick in die Zukunft.

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