„Wir gedenken jedes Jahr“ - Franz Ferdinands Großenkel über das Attentat von Sarajevo

Nikolaus Hohenberg (Foto: Martina Schneibergová)

An diesem Samstag vergehen 100 Jahre seit dem Attentat in Sarajevo. Die Opfer des Attentats vom 28. Juni 1914 waren der Thronfolger Österreich-Ungarns, Erzherzog Franz Ferdinand, und seine Gattin Sophie Chotek, Herzogin von Hohenberg. Die Krise, die der Anschlag auf das Thronfolgerpaar auslöste, führte zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Nikolaus Hohenberg ist Großenkel des ermordeten Thronfolgerpaares.

Erzherzog Franz Ferdinand
Der Thronfolger Österreich-Ungarns, Erzherzog Franz Ferdinand, verbrachte mit seiner Familie viel Zeit in Böhmen. Seine Hauptresidenz war das Schloss Konopiště / Konopischt, das etwa 40 Kilometer südlich von Prag liegt. Das Schloss hatte Franz Ferdinand schon 1887 gekauft, er ließ es gründlich umbauen. Am 1. Juli 1900 heiratete er Gräfin Sophie Chotek. Das Schloss wurde damit zum Familiensitz. Drei Kinder hatte das Ehepaar: Sophie, Maximilian und Ernst. Nikolaus Hohenberg ist Großenkel des in Sarajevo ermordeten Thronfolgers. Sein Großvater war Franz Ferdinands ältester Sohn Maximilian (1902-1962). Vor kurzem besuchte Nikolaus Hohenberg Prag. Er nahm an der Vernissage einer Ausstellung über das Attentat von Sarajevo und einer Podiumsdiskussion über die Ereignisse von 1914 teil. Aus diesem Anlass entstand folgendes Gespräch mit Nikolaus Hohenberg:

Nikolaus Hohenberg  (Foto: Martina Schneibergová)
Herr Hohenberg, das Attentat von Sarajevo war ein großer Schock für die gesamte Familie. Das bedeutete für Ihre Vorfahren, für Ihren Großvater und seine Geschwister, dass sie als Waisenkinder aufwuchsen. Was haben Sie von Ihrem Vater beziehungsweise Ihrem Großvater darüber mitbekommen?

„Es wurde sicherlich immer als ein traumatisches Erlebnis, eine große Familientragödie empfunden. Es wird auch heute noch immer am 28. Juni in der Gruft von Artstetten eine Gedenkmesse gefeiert. Dieses Ereignis ist stets präsent. In der Familie hat man sich jedoch auch immer bemüht, sich nicht durch dieses Ereignis niederdrücken zu lassen. Es wurde zwar als Tragödie empfunden, jedoch hieß es auch immer, dass das Leben weitergehen müsse.“

Foto: Martina Schneibergová
Wie ist es damals Ihrem Großvater und den anderen Verwandten gelungen, dieses Erlebnis zu überwinden? Können Sie etwas aus seinen Erinnerungen erzählen?

„Ich denke, das Besondere war, dass sie ein sehr intaktes und gutes Familienleben führten. Die Eltern und ihre drei Kinder hatten – und das war eigentlich untypisch für diese Zeit - ein sehr gutes Verhältnis zueinander. Ich glaube, dieser Zusammenhalt hat ihnen sicherlich eine gewisse Kraft gegeben. Des Weiteren haben sich die drei Geschwister untereinander ebenfalls sehr gut verstanden und sich immer unterstützt. Ein weiterer wichtiger Faktor war mit Sicherheit die Religiosität, die ihnen in diesen schwierigen Momenten sehr viel Kraft gegeben und geholfen hat, diese Situationen zu überwinden.“

Foto: Free Domain
In diesen Tagen wird anlässlich des 100. Jahrestags an das „Attentat von Sarajevo“ gedacht. Erleben Sie dies als Nachkomme des Thronfolgerpaars als besonders schwierig, werden Sie von Medien viel befragt?

„Ich bin in der glücklichen Situation, dass ich in England lebe und deswegen nicht so stark von den Medien angesprochen werde. Aufgrund meines Berufs ist es mir ebenfalls nur schwer möglich, Termine wahrzunehmen. An dieser Veranstaltung nehme ich teil, weil es ein spezieller Anlass ist. Ebenso weil ich um das enge Verhältnis meines Großvaters und seiner Geschwister zu Böhmen weiß. Deshalb habe ich beschlossen, an der Vernissage und Podiumsdiskussion teilzunehmen. Ansonsten beschränkt sich meine Teilnahme noch auf eine Gedenkmesse am 28. Juni 2014 in Artstetten. Ich weiß allerdings, dass mein Vater und andere Verwandte immer wieder von den Medien angefragt werden. Das finde ich auch legitim. Für uns ist jedoch jedes Jahr am 28. Juni eigentlich ein Gedenktag, deshalb ist es für uns in diesem Jahr nicht solch ein wichtiges Ereignis wie möglicherweise für andere.“

Sophie Chotek
Anlässlich der 100 Jahre seit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges findet in Konopiště eine Ausstellung statt. In dieser Ausstellung wird viel über die Beziehung Ihres Urgroßvaters zu seiner Frau Sophie Chotek berichtet. War es wirklich eine fast märchenhafte Ehe?

„Es hört sich klischeehaft an, aber es war eine wirklich glückliche Ehe. Mein Urgroßvater hat immer gesagt, es sei die beste Entscheidung seines Lebens gewesen, diese Frau zu heiraten. Denn sie war für ihn immer eine Stütze, sie hat ihn beruhigt, ihm geholfen - und sie war eine gute Mutter. Es war wirklich eine sehr glückliche Ehe. Wenn man sich heute Fotos von damals ansieht, posieren die meisten Menschen, die aus dieser Gesellschaftsschicht stammten, sehr steif. Es gibt jedoch von meinen Urgroßeltern Fotos, auf denen sie händehaltend abgebildet sind, was für die damalige Zeit sehr untypisch war. Das ist wiederum ein Zeichen für mich, dass es eine beispielgebende Ehe war. Diese glückliche Ehe hat den Kindern sicherlich auch sehr viel Kraft gegeben.“

Österreich-Ungarn  (Quelle: Free Domain)
Sie wurden während der Debatte auch gefragt, was wäre, wenn Ihr Urgroßvater noch weitergelebt hätte. Es ist nicht nur in Historikerkreisen bekannt, dass Ihr Urgroßvater Reform-Pläne hatte. Wissen Sie etwas darüber?

„Ich weiß leider auch nicht mehr als die Historiker. Es ist jedoch offensichtlich, dass mein Urgroßvater gesehen hat, dass einige Ethnien in diesem Reich große Rechte hatten und andere nicht. Mein Urgroßvater war der Meinung, dass es so nicht funktionieren würde und dass er auf diese Weise die Loyalität seiner Völker nicht bekommen würde. Das bedeutet: Es hat in seinem Interesse gelegen, etwas zu ändern. Es ist eine historische Anomalie, dass Kaiser Franz Josef nie zum König von Böhmen gekrönt wurde. Denn alle Habsburger, die Herrscher waren, wurden zu Königen von Böhmen gekrönt. Mein Urgroßvater hätte diese Entscheidung sicherlich gefällt, wenn er in die Situation gekommen wäre.“

Schloss Konopiště  (Foto: CzechTourism)
Waren Sie selbst einmal auf Schloss Konopiště?

„Ich war einmal auf Konopiště. Man merkt natürlich in diesem Schloss, dass es meinen Großvater und seine Geschwister geprägt hat. Für die Kinder war das Schloss eine Art ‚Camelot‘. Es war das Paradies für die Kinder. Sie haben auch im Nachhinein immer wieder vergeblich versucht, es zu kopieren. Es ist der Ort, an dem sie eine glückliche Zeit verbrachten.“

Haben Sie vielleicht mitbekommen, warum sich damals Ihr Urgroßvater entschlossen hatte, Konopiště zu kaufen? Was hat ihn an diesem Schloss so fasziniert?

Schloss Konopiště  (Foto: Archiv des Nationalen tschechischen Denkmalschutzamtes)
„Familie Lobkowicz hatte es zum Verkauf angeboten, weil sie in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation war. Das war für meinen Urgroßvater sicherlich interessant, und er war sich bewusst, dass Böhmen die wirtschaftliche Kraftkammer von Österreich-Ungarn war. Deshalb war es für meinen Urgroßvater sicherlich nicht uninteressant, dort ein Anwesen zu besitzen. Das könnte ein Grund gewesen sein. Ich weiß aber nicht genau, warum er letztlich die Entscheidung getroffen hat. Aber er hat es nie bereut und war immer sehr gern in Konopiště.“