WM-Hintergrund: Holt Tschechien den Titel, wird der Wiesensee umbenannt

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Westerburg ist eine kleine, knapp 6000 Einwohner zählende Kleinstadt im Westerwaldkreis in Rheinland-Pfalz. Ein kleines Nest also, von dem im gewöhnlichen Alltagsleben so gut wie keiner groß´ Notiz nimmt. In diesen Tagen aber, in denen ganz Deutschland die Fußball-Weltmeisterschaft "lebt", ist auch Westerburg dick im Gespräch - nämlich als WM-Quartierstadt, in deren Umfeld die Mannschaft der Tschechischen Republik ihr derzeitiges Domizil aufgeschlagen hat. Und die Einwohner von Westerburg genießen es, auch einmal im Mittelpunkt zu stehen. Hören Sie dazu den Bericht von Lothar Martin.

Es ist Dienstag, der 13. Juni 2006. Die Sonne brennt am Mittag bei Temperaturen um 30 Grad. Im äußersten Osten von Rheinland-Pfalz öffnet sich mir der Schatten spendete Westerwald, denn ich fahre ein in Westerburg. Und man sieht es auf den ersten Blick: Die WM hat von der Stadt Besitz ergriffen. Ganze Straßenzüge sind mit Wimpelketten und Fähnchen von Gastgeber Deutschland und von Gastland Tschechien ausgeschmückt. In den Auslagen vieler Geschäfte sind häufig Fußballsouvenirs zu sehen, darunter auch die Poster der Mannschaft oder die Portraits der Spieler aus der Tschechischen Republik. Diese haben gerade ihr Training im örtlichen Schulstadion beendet und treten die Rückfahrt zu ihrem Quartier, dem Hotel Lindner am nahe gelegenen Wiesensee an. Als sich der WM-Bus mit den Kickern in Bewegung setzt, schauen auch zwei Schüler der hiesigen Hauptschule staunend zu. Max Stoll ist ganz angetan von dem Treiben, dass man nun täglich hier erleben kann:

"O. k., ein Fußballfan bin ich nicht unbedingt, aber es ist schon interessant, dass wir jetzt so viele berühmte Leute hier bei uns im Westerwald haben. Das passiert nicht so oft. Wenn man sich nur mal die Nummernschilder der Autos ansieht, dann weiß man: Es ist total viel los hier. Jetzt fahren hier Tschechen rum, Polen und andere Ausländer."

Dagegen ist Medi Nezili, sein türkischstämmiger Schulkamerad, sehr Fußball interessiert. Vor meinen Ohren schwärmt er noch in höchsten Tönen von den drei Klassetoren der Tschechen bei ihrem 3:0-Auftaktsieg über die USA. Auch wenn er es noch lieber gesehen hätte, dass die Brasilianer anstatt der Tschechen hier im Westerwald Quartier gemacht hätten, so drückt er den Rosicky & Co. doch sehr die Daumen für den weiteren WM-Verlauf:

"Ja, man fiebert eigentlich schon mit, denn man will ja dann auch sagen können: Die Tschechen waren in unserer Stadt und jetzt sind sie Weltmeister! Oder sie kommen zumindest bis ins Halbfinale."

Auch der kaufmännische Angestellte Hans Georg Tiefenbach ist froh und glücklich darüber, eine spielstarke Mannschaft als WM-Quartiergast in seiner Region erleben zu können:

"Es ist prima, dass die Tschechen hier bei uns in der Nähe untergebracht sind. Wir sind auch ganz froh darüber, dass unser Landstrich endlich einmal ein bisschen berücksichtigt wird, wenn eine Mannschaft eine Unterkunft sucht. Wir haben ja gestern das erste Spiel der Tschechen sehen können. Sie haben sehr gut gespielt und waren ganz klar dominierend. Und wir sind erfreut, dass eine Mannschaft, die hier untergebracht ist, auch mal gewonnen hat."

In dem Gespräch, dass Kaufmann Tiefenbach mit der Imbissbudenverkäuferin führt, höre ich heraus, wie beide entzückt sind von den Leistungen, die insbesondere die Ex-Dortmunder Rosicky und Koller gegen die US-Boys gezeigt haben. Hans Georg, der sich ansonsten für keinen Fußballexperten hält, wird schon nahezu euphorisch, wenn er nur daran denkt, was hier in den nächsten Tagen noch so passieren könnte:

"Nach dem Spiel gestern Abend sehe ich die Tschechen mit als einen der großen Favoriten an. Und ich habe dann auch gleich nach dem Spiel gesagt: Falls sie Weltmeister werden, dann wird der Wiesensee umbenannt in Weltmeistersee!"

Die tschechischen Fußballer haben die Einwohner im verträumten Westerburg regelrecht wach geküsst. Und diese hoffen und bangen nun, dass ihnen diese willkommenen Gäste noch möglichst lange erhalten bleiben. Denn dann würde auch Westerburg endlich mal in großen Lettern im Fokus der Öffentlichkeit stehen.

Autor: Lothar Martin
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