Wo Hašek und Kafka an einem Tisch saßen: Prager Café Montmartre
Jede große Stadt in Mitteleuropa hatte früher ihre berühmten Cafés. Dort trafen sich Künstler, Schriftsteller und Politiker, aber auch alle Bewohner, für die es sich gehörte, ein Stammcafé zu haben. In Prag war und ist das nicht anders: Slavia, Louvre oder Montmartre – werden auch heute noch häufig besucht. Das letztgenannte Café erlebte sogar nach der Wende 1989 seine Renaissance. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es jedoch dadurch besonders, dass sich hier sowohl tschechische als auch deutsche und jüdische Intellektuelle trafen. Ein Streifzug durch die Kaffeehauskultur des früheren Prags.
„Das Café Montmartre wurde 1911 von dem bekannten Prager Kabarettisten Josef Waltner gegründet. Von allen Gasthäusern in der Altstadt hatte es die besten Voraussetzungen, zum Zentrum der künstlerischen Bohème zu werden. Es befand sich in einer Nebengasse in einem altertümlichen Haus. Die Decke in der Hauptstube war mit kühnen erotischen Bildern ausgemalt, die wie eine Parodie auf den damals verbreiteten Kubismus wirkten. Es gab dort regelmäßige Programme, in denen Sänger und Schauspieler aus unterschiedlichen Prager Theatern auftraten. Später engagierte Waltner auch ständige Mitwirkende aus den Reihen der damals arbeitslosen Künstler, zum Beispiel Emil Arthur Longen und seine Ehefrau Xena, die französische Chansons perfekt vortrugen.“
Erotische Bilder und Hašeks Saufgelage
Dass die Geschichte des Cafés sehr gut dokumentiert ist, das ist vor allem dem deutschsprachigen Journalisten Egon Erwin Kisch zu verdanken. In seinem Buch „Abenteuer in Prag“ erwähnt er unter anderem, dass während der Habsburgermonarchie in dem Café zum ersten Mal Tango getanzt wurde. Josef Waltner soll diesen Tanz in Paris gesehen und auch sofort gelernt haben. Diese Informationen lassen sich heute nicht mehr überprüfen. Kisch war aber jedenfalls Stammgast im Montmarte, sagt der heutige Eigner des Cafés, Milan Jaroš.„Das Café hatte zur Zeit seiner Gründung von zehn Uhr abends bis zehn Uhr vormittags geöffnet. Weil die meisten Prager Lokale ab Mitternacht schon geschlossen hatten, versammelten sich diejenigen, die noch nicht nach Hause gehen wollten, eben hier. Man sollte vielleicht anmerken, dass das Montmartre ein Treffpunkt für tschechische, deutsche und jüdische Gäste war. Die meisten Menschen bevorzugten nämlich hingegen ihre Cafés nach der Nationalität. Hier saßen sie aber alle an einem Tisch: Jaroslav Hašek, Franz Kafka, Johannes Urzidil und Gustav Meyrink – einfach die ganze Prager Bohème.“
Der treueste Stammgast des Montmartre war Jaroslav Hašek, vor dem Ersten Weltkrieg schon als Journalist und Autor satirischer Erzählungen bekannt. Im selben Jahr, als das Café Montmartre eröffnete, gründete Hašek 1911 die groteske „Partei des gemäßigten Fortschritts in den Schranken des Gesetzes“, die zugleich eine politisch-künstlerische Aktionsgruppe war. Zu dieser Zeit führte er aber ein ziemlich wildes Leben.Wirt Waltner setzt Hašek vor die Tür
Wie Egon Erwin Kisch berichtet hat, soll Hašek in allen Prager Gasthäusern bekannt gewesen sein, das Café Montmartre sei jedoch seine unglückliche Liebe gewesen. Er soll das Lokal immer erst in den späten Abendstunden besucht haben, als er sich wegen Alkoholgenusses angeblich nur noch wenig beherrschen konnte und wohl sehr laut war. Zu bestimmten Zeiten nutzte er das Café praktisch auch als sein Zuhause. Josef Waltner ermöglichte ihm, in einer Nebenstube zu übernachten. Manchmal aber ärgerte sich der Wirt über ihn, denn dieser soll die „gute Klientel“, die Josef Waltner mit allen Kräften ins Café locken wollte, gestört haben.
„Hašek erheiterte manchmal das Publikum mit verschiedenen Erzählungen oder Auftritten. Er setzte sich zum Beispiel auf die Bühne und wickelte eine halbe Stunde lang seine Fußlappen ab. Ein anderes Mal verhielt er sich aber so laut und unerträglich, dass ihn Josef Waltner vor die Tür setzte und ihm nachschrie, er solle sich nie wieder blicken lassen. Am anderen Tag saß der Schuldige vor dem Eingang und wartete auf einen Bekannten, der für ihn bei Waltner ein gutes Wort einlegen könnte. Das geschah natürlich jedes Mal, und Hašek durfte wieder rein. Es gibt auch die Legende, dass Hašek zusammen mit einem weiteren Saufkumpan irgendwo nicht bezahlen konnte und verhaftet wurde. Nachdem die Nachricht ins Montmartre geflattert war, soll Waltner seinen Kellner geschickt haben, um im betroffenen Lokal die Rechnung zu begleichen. Beide Männer kamen so wieder frei“, so Jaroš.