Zu 100 Prozent erfolgreich? Bilanz des EU-Ratsgipfels in Brüssel

Es war der erste – und gleichzeitig wohl auch der letzte - große Auftritt von Tschechiens Übergangspremier Jan Fischer auf dem glatten EU-Parkett, zumindest in seiner Funktion als Ratspräsident. Die Agenda des Gipfeltreffens hatte es in sich und bot mit der Neubestellung des EU-Kommissionspräsidenten, dem Dauerbrenner-Thema Finanz- und Wirtschaftskrise und vor allem den von Irland geforderten weitreichenden Zugeständnissen als Bedingung für eine neuerliche Volksabstimmung über den EU-Reformvertrag von Lissabon mehr als nur eine Stolperfalle. Wie sich die von manchen Ländern nicht besonders geschätzte Ratspräsidentschaft in Brüssel geschlagen hat, erfahren Sie in unserer Rubrik „Schauplatz“:

Freitag, Brüssel, früher Nachmittag, Gebäude „Justus Lipsius“, Sitz des Rates der Europäischen Union: Der zweitägige Ratsgipfel ist zu Ende und die EU-Spitze aus Tschechiens Premier Jan Fischer, Außenminister Jan Kohout und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso zieht Bilanz. Als erster am Wort Jan Fischer:

„Oft wurde behauptet, und ich selbst habe es des Öfteren gesagt, dass der Erfolg der tschechischen Ratspräsidentschaft am Erfolg des letzten Gipfels gemessen werden wird. Ich hoffe, das ist wirklich so. Denn unser Juni-Gipfel war ein voller Erfolg.“

Dem pflichtete der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso bei:

„Lassen Sie mich damit beginnen, der tschechischen Ratspräsidentschaft für das Erreichte zu danken. Premierminister Fischer verdient unsere besondere Anerkennung: Es war eine wirkliche Herausforderung für ihn, das Amt mitten in der tschechischen Ratspräsidentschaft zu übernehmen und gleichzeitig so wichtige Ergebnisse zu erzielen. Dafür gebührt allen Mitgliedern der tschechischen Ratspräsidentschaft unser Dank. Das zeigt die besondere Intelligenz der Tschechen: So einen Regierungswechsel zu meistern und gleichzeitig so viel zu erreichen in sechs schwierigen Monaten.“

José Manuel Barroso und Jan Fischer  (Foto: ČTK)
Tatsächlich hat Tschechien einiges erreicht auf diesem EU-Ratsgipfel Ende vergangener Woche in Brüssel. Dabei war die Agenda mehr als dicht und voller Fallstricke:

„Die tschechische Präsidentschaft hat sich vier Ziele gesteckt für diesen Gipfel, und das waren wirklich keine kleinen Ziele: Erstens, Irland gewisse Garantien zu geben, um ein neues Referendum zum Lissabon-Vertrag abhalten zu können. Zweitens, sich auf die Nominierung eines Kandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten zu einigen. Außerdem Maßnahmen gegen den Klimawandel und eine verbesserte europaweite Banken- und Finanzmarktaufsicht zu beschließen. Man muss, glaube ich, kein Statistiker sein, um zu dem Schluss zu kommen, dass dieser Gipfel zu 100 Prozent erfolgreich war" ,so ein sichtlich erschöpfter, aber auch erleichterter Premierminister Jan Fischer in Anspielung auf seinen „Zivilberuf“ als Leiter des Tschechischen Statistikamtes.

Besonders hart wurde erwartungsgemäß um die Garantien für Irland gerungen. Im Gegenzug für eine neuerliche Volksabstimmung über den EU-Reformvertrag hatte die Regierung in Dublin eine Reihe von Zugeständnissen gefordert, etwa eine Garantie für den Fortbestand der militärischen Neutralität des Landes, die Versicherung, das strikte Abtreibungsverbot nicht anzutasten oder diverse Steuerangelegenheiten. Besonders wichtig war Irland der Anspruch auf einen eigenen EU-Kommissar. Somit wird also nichts aus der geplanten Verkleinerung und auch die neue EU-Kommission wird 27 Mitglieder, eines pro Mitgliedsstaat zählen. Doch nicht diese inhaltlichen Fragen waren das Problem bei den Verhandlungen, sondern vielmehr die technische Umsetzung. Irland hatte einen Zusatz zum Lissabon-Vertrag gefordert. Ein Ansinnen, das die meisten anderen EU-Länder kategorisch abgelehnt haben. Mit der Begründung, dass dies wahrscheinlich in vielen Staaten eine neuerliche Ratifizierung des Vertrags nötig gemacht hätte. Am Ende stand – wie so oft – ein Kompromiss. Doch ein Kompromiss sei ja nichts Schlechtes, im Gegenteil, er zeuge von guter Zusammenarbeit und gegenseitigem Respekt, betonte Premier Fischer

„Die tschechische Präsidentschaft hat einen Text ausgehandelt, der für beide Seiten annehmbar ist, sowohl für Irland, als auch für die übrigen EU-Mitgliedsstaaten. Es handelt sich um einen erklärenden Text, der nicht einen Beistrich am Lissabon-Vertrag ändert. Die Irland gemachten Zugeständnisse erfordern also keine weitere Ratifizierung. Zunächst muss die noch laufende Ratifizierung in allen Ländern abgeschlossen werden. Dann können die einzelnen Mitgliedsstaaten entscheiden, wie sie das von Irland geforderte Zusatzprotokoll ratifizieren. Das wird frühestens bei einer neuerlichen Erweiterung der Europäischen Union der Fall sein.“

Somit sind beide Seiten zufriedengestellt: Die EU-Verträge werden nicht sofort wieder aufgeschnürt, sondern erst dann, wenn sie durch eine EU-Erweiterung ohnehin geändert und neuerlich ratifiziert werden müssen.

Unerwartet zäh haben sich auch die Gespräche über den neuen EU-Kommissionspräsidenten gestaltet. Gegen ein Uhr morgens konnte Ratspräsident Jan Fischer in der Nacht zum Freitag ein Ergebnis verkünden:

„Ich bin sehr froh, dass José Manuel Barroso die einstimmige Unterstützung aller Staats- und Regierungschefs für eine neuerliche Kandidatur für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten erhalten hat.“

Barroso selbst zeigte sich naturgemäß erfreut und betonte, es sei beachtlich, dass er von konservativen, liberalen und sozialdemokratischen Regierungen Unterstützung erfahre.

Doch die endgültige Entscheidung über Barrosos Wiederwahl zum Chef der Europäischen Kommission liegt in den Händen des Europäischen Parlaments. Dort sind zwar die Konservativen gestärkt aus den jüngsten Wahlen hervor gegangen, doch zur Wahl ihres Parteifreundes Barrosos brauchen sie Partner. Im Parlament will man sich bei der Entscheidung jedenfalls nicht unter Zeidruck setzen lassen, betonte dessen scheidender Präsident, der deutsche Christdemokrat Hans-Gert Pöttering:

„Am 9. Juli tagt die Konferenz der Präsidenten, also die Fraktionsvorsitzenden unter meinem Vorsitz. Dabei wird entschieden, ob die Wahl des Präsidenten auf die Tagesordnung der Juli-Sitzung kommt. Bisher gibt es einige Fraktionen, die das nicht wollen, aber warten wir einmal ab, wie sich die Dinge entwickeln in den kommenden vierzehn Tagen.“

Hans-Gert Pöttering kandidiert nicht mehr für das Amt des Parlamentspräsidenten und verabschiedete sich auf dem Ratsgipfel von seinen Kollegen und den Journalisten.

Foto: Europäische Kommission
Auch die tschechische EU-Ratspräsidentschaft geht am 30. Juni zu Ende. Im zweiten Halbjahr 2009 wird Schweden die Geschicke der Union lenken. Zeit also für eine erste Bilanz des tschechischen EU-Vorsitzes. Von vielen Seiten hatte es Lob, aber auch heftige Kritik gegeben. Der Fraktionschef der Europäischen Sozialdemokraten, der SPD-Politiker Martin Schulz hatte bereits vor einigen Wochen im Zusammenhang mit Tschechiens Ratsvorsitz von einem „Totalausfall“ gesprochen. Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering gilt gemeinhin als Mann der starken Worte, salopp formuliert: Er ist nicht eben auf den Mund gefallen. Doch bei der Frage nach einer Bewertung der Leistungen Tschechiens als EU-Vorsitzland muss er nach einer passenden Formulierung suchen:

„Als Präsident des Parlamentes bin ich verpflichtet, mir eine Wortwahl aufzuerlegen, die nicht konfrontativ ist. Wir wollen, dass der Vertrag von Lissabon in Tschechien ganz ratifiziert wird und daher will ich jede Formulierung vermeiden, die auf tschechischer Seite zu Verärgerung führen könnte. Daher sage ich, ich habe Vertrauen in den Ministerpräsidenten Fischer, der ja ganz offensichtlich ein gutes Verhältnis zum Herrn Staatspräsidenten hat. Und ich hoffe, dass dieses Vertrauen dazu führt, dass der Staatspräsident unterschreibt. Im übrigen bedaure ich natürlich, dass während der Ratspräsidentschaft die Regierung gestürzt ist. Das ist natürlich nie hilfreich für die Effizienz eines Ratsvorsitzes", so der Präsident des Europäischen Parlamentes gegenüber Radio Prag. Auch Kommissionspräsident Barroso zog Bilanz über die tschechische Ratspräsidentschaft:

„Ich war von Anfang an überzeugt, dass die tschechische Ratspräsidentschaft ein Erfolg wird. Es ist bemerkenswert, dass inmitten der politischen Krise dennoch beachtliche Erfolge erzielt werden konnten. Ich habe mit Premier Jan Fischer und seinem Vorgänger Mirek Topolánek gut zusammengearbeitet. Was am Ende zählt, sind Ergebnisse. Und diese Ergebnisse gibt es. Trotzdem, ich will jetzt nicht den übrigen Ländern raten, es Tschechien gleichzutun. Ich bevorzuge einen einzigen Ratspräsidenten während der sechs Monate.“