Zwischen alter und neuer Heimat: der Germanist und Historiker E. E. Metzner
Auf unserem Programm steht jetzt eine neue Folge der Sendereihe Regionaljournal. Jitka Mladkova, ihre Begleiterin durch die böhmischen und mährischen Lande, hat Sie vor etwa einem Monat in das historische Österreichisch Schlesien geführt. In Opava / Troppau, der Hauptstadt der Region, hat sie am Rande einer Historikerkonferenz mit Prof. Gernot Rotter von der Universität Hamburg gesprochen. Auch heute können Sie mit ihr dieselbe Region besuchen. Ihr Gesprächspartner ist diesmal Prof. Ernst Erich Metzner. Das Leitmotiv des Interviews bleibt allerdings dasselbe: "Auf den Suche nach eigenen Wurzeln".
Bruno von Schaumburg, Premysl Otokar II sowie andere Gestalten der tschechischen Geschichte sind ihm vertraut, weil er Historiker ist. Er weiß aber auch, wie etwa der Ortsname Hotzenplotz und viele andere entstanden sind, weil er Germanist ist. Die Rede ist von dem Professor der Goethe-Universität Frankfurt und meinem heutigen Gesprächspartner Ernst Erich Metzner. Geboren wurde er in einem kleinen Gebirgsort in der Nähe von Opava / Troppau in - und jetzt muss ich unbedingt sagen - in Schlesien, denn eben darauf legt er besonderen Wert. Dort beginnt auch seine Erzählung.
"In Troppau hat man mehr Tschechischkenntnisse gehabt, im Gebirge hingegen gar nicht. Auch die Sozialstruktur war anders. Handwerker in der Stadt, Bauern auf dem Lande. und auch die Mundart war viel ausgeprägter. Wir haben auf dem Dorf nur Mundart gesprochen und auch von den Leuten, die das Hochdeutsch konnten, wurde die Mundart verlangt. Meine Schwester z.B. ist in Troppau aufs Internat gegangen und ist Lehrerin geworden, aber daheim musste sie Mundart sprechen. Und zwar ganz schönes Schlesisch. Ich sage ausdrücklich "Schlesisch", weil wir immer gesagt haben, dass wir in Schlesien und nicht in Mähren leben."
Wie alt waren sie, als sie Ihre Heimat verlassen mussten?
"Das war im Januar 1946, da war ich knapp acht Jahre alt. Ich bin ein wenig merkwürdig gewesen, denn ich habe meine Mutter und meine Schwester gezwungen, auch im Westen die Mundart zu sprechen, damit ich sie richtig lerne. Ich habe auch Germanistik studiert und mich weiterhin für Mundart interessiert. Es hat mich sehr motiviert, dass ich die Mundart sprechen konnte, und es motiviert mich übrigens bis heute, Mundarten zu vergleichen bzw. Haltungen und Mentalitäten zu vergleichen. Dazu gehört auch die Mentalität der Schlesier. Ich bin sicher, dass die Schlesier eine besondere Mentalität haben."Haben sie also in der Familie nach dem, euphemistisch gesagt, Umzug nach Deutschland konsequent den Dialekt gesprochen?
"Ich kann dazu eine kleine Geschichte erzählen. Wir sind im Jahr 1946, im Januar, als sehr schlechtes Wetter war, nach Westdeutschland gekommen. Wir waren dort die ersten so genannten Flüchtlinge und die westdeutschen Gemeinden und Beamten wussten nicht, was sie mit uns machen sollten. Dann kamen sie auf die glorreiche Idee: Wir wurden zur Strafe bei alten Nazis einquartiert. Und auf diese Art und Weise bin ich eigentlich auch gewissermaßen dazu bekehrt worden, Nazis nicht besonders zu mögen. Ich war ja ein kleiner Junge und die alten Nazis haben sich uns gegenüber nicht besonders sympathisch verhalten. Wie bereits gesagt, haben wir untereinander Schlesisch gesprochen, und wenn mich oder meine Mutter der Nazi-Hauswirt ärgern wollte, dann sagte er: Wenn ihr Tschechisch sprecht, dann kann ich ja euch nicht verstehen."
Es ist also anzunehmen, dass Sie sich als waschechter Schlesier fühlen. Wodurch zeichnen sich bitte die Schlesier aus der Troppauer Region aus? Sie haben ja von einer schlesischen Mentalität gesprochen.
"Ich weiß nicht ob sich die Troppauer besonders auszeichnen gegenüber den anderen Schlesiern. Man sagt "die Schlesier sind gemietlich", also gemütlich, und ich glaube schon, dass es so ist. Ich persönlich habe schon einen gewissen Sinn für Gemütstimmungen, für Gemütlichkeit. So sind etwa die Weihnachten und ähnliches für mich nichs, worüber man lacht. Oder nehmen wir die Verwandtschaft. Das hängt vielleicht gar nicht mit dem Schlesischen zusammen, eher viel mehr damit, dass man aus einer ländlichen Region kommt, aber die Verwandtschaft wird bei uns sehr wichtig genommen. Bis ins Groteske sogar, und da denke ich an die Gastfreundlichkeit."
Mit acht Jahren sind sie also nach Deutschland gekommen. Glauben Sie, dass Ihre Zugehörigkeit zu Ihrer schlesischen Heimat ihren weiteren Lebensweg irgendwie beeinflusst hat?
"Auf jeden Fall, aber das würde ich nicht als typisch ansehen. Es gibt ja zwei Möglichkeiten: Entweder man passt sich so schnell wie möglich an und versucht den Unterschied, der da ist, auszubügeln, oder aber man versucht, in irgendeiner Weise man selbst zu bleiben. Ich habe Germanistik, Geschichte und Politik studiert. Politik auch deshalb, weil wir aus politischen Gründen gewissermaßen die Heimat verloren haben, und das wollte ich ein bisschen hinterfragen, und damit nicht nur das Alte, sondern auch die Moderne erfassen. Dass ich Germanistik studiert habe, das hängt bei mir mit dem Sinn für Romantik, für Sprache und für Mundarten zusammen. Und die Geschichte ist, was eigentlich alles zusammenhält. Andererseits interessiere ich mich sehr auch für meine neue Heimat, vielleicht mehr als mancher Hesse, weil ich irgendwie den Begriff Heimat nicht zu pathetisch nehme, aber zugleich weiß, was das wert ist, eine Heimat zu haben. Deswegen ist mir auch die neue Heimat wichtig."
Wann haben Sie Ihre ehemalige Heimat zum ersten Mal wieder besucht?
"Gleich, sobald es nur möglich war. Ich wusste ja, dass Erinnerungen so bald wie möglich aufgefrischt werden müssen. Und so habe ich meine Schwester und meine Mutter motiviert, die ist aber dann bald gestorben, und so bin ich nur mit meiner zwölf Jahre älteren Schwester schon sehr früh in die damals noch kommunistische Tschechoslowakei gereist. Das war in 1958 und ich war zwanzig Jahre alt. Fast alle Westdeutschen hatten Angst, dahin zu reisen, aber bei mir war das nicht der Fall."
Wie war die erste Begegnung mit dem Troppau der 50er Jahre?
"Sehr enttäuschend. Auch meine Schwester, die einst an der Lehrerbildungsanstalt war und ein ganz anderes Troppau in Erinnerung hatte, war sehr enttäuscht. Sehr viel, nicht nur Troppau, war vom Krieg gezeichnet. Das Troppau von heute ist etwas ganz anderes. Wir sind dort damals nicht lange geblieben. Wir fuhren weiter in unser Dorf, wo es aber ebenso enttäuschend war. Wir sind aber nicht gekommen, um aufzulisten, was schlecht war. Ich wollte das sehen, was mich noch an meine Kindheit erinnern konnte."
Folgte dann diesem ersten Aufenthalt in der Heimat eine Pause oder sind Sie wieder bald zu Besuch gekommen?
"Keine große Pause, doch es hat sich insoweit geändert, dass ich schon wissenschaftlich zu arbeiten begann. Vorher war ich bemüht, meinen Lebensweg zu wählen und habe an der Uni vieles gemacht, das mit der Tschechoslowakei bzw. mit Schlesien überhaupt nichts zu tun hatte. Aber im Hinterkopf hatte ich immer die mit meiner Heimat verbundenen Pläne, die sich auch zunehmend weiter intensivieren. Mittlerweile habe ich schon vergleichsweise viel darüber publiziert."
Welche sind die Schwerpunkte Ihrer Arbeit in dieser Richtung?
"Ich bin Germanist und beschäftige mich hauptsächlich Texten des Mittelalters. Ich verwende das, was Historiker nicht so gerne nehmen: Dichterische Texte des Mittelalters, die ja immer auch historische Texte sind, z.B. das Nibelungenlied, und versuche, sie als Geschichtsquellen oder als Quellen für die Mentalität einer bestimmten Zeit, eines bestimmten Ortes oder einer Landschaft zu nehmen, insbesondere die deutschsprachigen Texte, die sich mit Böhmen, Mähren und Schlesien beschäftigen. Es ist erstaunlich, wie sehr die slawischen Fürsten des Mittelalters, die Premysliden in Prag und in Mähren oder die Piasten in Breslau, der deutschen Kultur aufgeschlossen waren. Aber nicht nur das. Sie haben gleichzeitig auch versucht, die deutsche Kultur durch Übersetzungen aufzunehmen. Und das nicht bloß, indem sie diese den Tschechen auf das Auge drückten, sondern sie wurde sozusagen mundgerecht gemacht. Und das sind besonders interessante Texte für mich, die ich versuche zu lokalisieren, also etwa zu bestimmen, wann ein bestimmter Text übersetzt worden ist und von welchem Herrscher er als wichtig genug empfunden wurde, dass die Tschechen ihn kennen. Und auf diese Art und Weise kommen Geschichte und Literatur und Sprache zusammen. Ich habe auch immer meine Freude an ästhetischen Dingen, aber natürlich muss man daneben viel lateinische Texte lesen und Texte, die nicht so attraktiv sind, aber ich versuche da immer eine Brücke zu schlagen."
Professor Metzner will nach eigenen Worten Brücken schlagen wie auch die bereits eingangs erwähnten Protagonisten der tschechisch-deutschen Koexistenz im Mittelalter, Premysl Otokar II. und der Olmützer Bischof Bruno von Schaumburg. Dies ist aber ein Thema für unsere Sendereihe "Kapitel aus der tschechischen Geschichte". Zum neuen "Kapitel" am 14. Januar und damit zu einem weiteren Treffen mit Prof. Metzner möchte ich Sie schon heute einladen.