Zwischen Filmrollen und Berufsverbot: Geschichte des tschechischen Theaters bis in die 1980er Jahre
Eine neue Ausstellung im Prager Nationalmuseum beschreibt derzeit mehr als 200 Jahre tschechischer Theatergeschichte. Sie erinnert an berühmte, aber auch inzwischen fast vergessene Persönlichkeiten des Theaterlebens und zeigt, wie sich die Stellung von Schauspielern seit den Anfängen verändert hat. In die Schau mit dem Titel „Když hvězdy září“ haben wir Sie bereits im vergangenen Kapitel aus der tschechischen Geschichte das erste Mal eingeladen. In den folgenden Minuten setzen wir unsere Führung fort.
In den 1920er und 1930er Jahren begannen sich berühmte Schauspielerinnen und Schauspieler der Theaterszene auch im Film durchzusetzen. Dies sagt Libor Vodička. Er leitet die Theaterabteilung des Nationalmuseums und ist Kurator der neuen Ausstellung:
„In dieser Zeit gab es neben den Theaterstars schon auch die ersten Filmstars. In den 1920er Jahren spielten zudem die Schallplattenindustrie und anschließend auch der Rundfunk eine wichtige Rolle. Die Schauspieler bekamen damit neue Möglichkeiten, sich zu präsentieren. Gleichzeitig aber verkürzte sich die Zeit, in der die Stars glänzten, wenn ich auf den Titel der Ausstellung eingehen darf. Dies galt vor allem für Schauspielerinnen, die oft dank einigen wenigen Filmen berühmt wurden. Schon bald wurden sie jedoch von neuen, jüngeren Stars abgelöst, die das Publikum beeindruckten. Und dies war eigentlich für das ganze 20. Jahrhundert typisch.“
Wie Vodička sagt, gab es in den 1920er und 1930er Jahren jene Schauspielerinnen, die als Theaterstars bekannt wurden, und andere Schauspielerinnen, die als Filmstars galten.
„Auf der Bühne setzten sich damals Mařenka Zieglerová (1881-1966) und Andula Sedláčková (1887-1967) durch. Im Film machten andere, etwas jüngere Schauspielerinnen Karriere. Zieglerová, Sedláčková oder auch Olga Scheinpflugová (1902-1968, Ehefrau von Schriftsteller Karel Čapek, Anm. d. Red.) bekamen im Film keine Rollen mehr. Scheinpflugová spielte erst viel später im Film – in den 1960er Jahren. Das Paradoxe aber ist, dass gerade Andula Sedláčková und ihr Mann, der Architekt Max Urban, für Pioniere des tschechischen Films gehalten werden. Denn schon 1912 gründeten sie die Filmgesellschaft Asum. Ihr Plakat zum Streifen ,Idylle aus dem alten Prag‘ gilt als das älteste tschechische Filmplakat überhaupt. Das war jedoch noch in der Stummfilmära.“
Sedláčková spielte im Prager Nationaltheater und im Theater Divadlo na Vinohradech. Sie stritt sich jedoch oft mit den Theaterintendanten. Darum entschied sich Andula Sedláčková, ihr eigenes Theater zu gründen. Dieses wurde während der nationalsozialistischen Besatzung geschlossen. Nach dem Kriegsende trat die früher berühmteste Theaterschauspielerin Böhmens fast nicht mehr auf.
Theater unter der NS-Besatzung
Das Museum zeigt neben zahlreichen Fotos und Alltagsgegenständen aus dem Nachlass der berühmten Schauspielerinnen und Schauspieler auch Kleidungsstücke. Der Film- und Theaterschauspieler Svatopluk Beneš (1918-2007) wurde dem Kurator zufolge als „Frackmann“ bezeichnet. Einer seiner Fracks, in denen er auf der Bühne stand, ist auch in der Ausstellung zu sehen. Die Kleider, die gezeigt werden, gehörten Adina Mandlová (1910-1991). Sie galt als einer der attraktivsten Filmstars der 1930er Jahre. Der Kurator:
„Damals war es üblich, dass sich die Schauspielerinnen das Kleid, in dem sie auch auf der Bühne standen, selbst nähen ließen. Sie trugen es nicht nur auf dem Podium, sondern beispielsweise auch bei Bällen und zu weiteren Gelegenheiten. Im Theater hatten die Schauspieler zu der Zeit ihre eigenen Schränke mit ihrer eigenen Bekleidung. Dies änderte sich erst nach 1945 mit der Verstaatlichung aller Kulturinstitutionen. Interessant ist, dass Adina Mandlová dieses Kleid oft ihrer Freundin und auch Konkurrentin Nataša Gollová (1912-1988) geliehen hat. Sie trat in diesem Kleid nicht nur im Theater, sondern auch in zwei Filmen auf. Wir zeigen in der Schau zudem Schmuck aus dem Nachlass von Olga Scheinpflugová.“
In einem weiteren Teil konzentriert sich die Ausstellung auf die Zeit der nationalsozialistischen Besatzung. In dieser schweren Zeit seien einfache Filmkomödien und Lovestorys gedreht worden, so Libor Vodička.
„Einige der damals großen Theaterstars hatten ein tragisches Schicksal. Wir erinnern an die Schauspielerin Anna Letenská (1904-1942). Sie wurde 1942 im KZ Mauthausen ermordet. Der Schauspieler und Liedermacher Karel Hašler (1879-1941) starb 1941 ebenfalls in Mauthausen. Die Choreografin und Tänzerin Anna Jirsíková (1910-1978), die auf einigen Avantgardebühnen auftrat, wurde 1941 im Theater D34 verhaftet und ins KZ Ravensbrück verschleppt. Sie überlebte, und nach ihrer Rückkehr schuf sie eine Serie von Zeichnungen, die das Leben im KZ darstellten. Die Zeichnungen sind sehr beeindruckend. Wir haben vor kurzem ein Buch über Anna Jirsíková herausgegeben, in der ebenfalls einige der Zeichnungen zu sehen sind.“
Von den Kommunisten verfolgt
In der Ausstellung wird die Aufmerksamkeit auch auf Schauspielerinnen und Schauspieler gelenkt, die während des kommunistischen Regimes Berufsverbot hatten. Zu ihnen gehörte Vlasta Chramostová (1926-2019). Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings wurden ihr 1969 das Auftreten vor der Kamera und drei Jahre später jegliche künstlerische Tätigkeit verboten. Sie gehörte 1977 zu den ersten Unterzeichnern der Charta 77. In den Jahren 1976 bis 1980 betrieb Chramostová ein Haustheater, im Tschechischen ein sogenanntes „Wohntheater“. Bei diesem wurden Theaterstücke in privaten Wohnungen aufgeführt. In der Schau können sich die Besucher eine Vorstellung davon machen. Libor Vodička:
„Hier zeigen wir das Wohntheater von Vlasta Chramostová. Dabei handelt es sich um authentische Gegenstände, die entweder aus den Sammlungen des Nationalmuseums stammen oder geliehen wurden. Der Stuhl, der hier zu sehen ist, stammt übrigens aus Stanislav Milotas (Milota war Ehemann von Chramostová, Anm. d. Red.) Film über Božena Němcová. Authentisch sind Schals, die über dem Stuhl hängen, genauso wie die kleinen Lampen. Vlasta Chramostová und ihr Mann kreierten diese Lampen, um etwas Geld zu verdienen. Das war in den schwersten 1970er Jahren, als sie beide Berufsverbot hatten.“
Im selben Raum wird auch eine kurze dokumentarische Aufnahme eines Auftritts in einem Wohnzimmer mit Vlasta Chramostová gezeigt. In einem weiteren Raum sind Gegenstände aus einem offiziellen Theater zu sehen. Darunter befinden sich beispielsweise Schminke und Fotoalben. Diese gehörten den renommierten Theater- und Filmschauspielern Karel Höger und Radovan Lukavský. Letzterer war nicht nur Schauspieler, sondern übersetzte auch deutsche und französische Gedichte, darunter Rainer Maria Rilke.
Die Ausstellung „Když hvězdy září“ (Als die Stars geglänzt haben) ist bis 30. September im neuen Gebäude des Nationalmuseums in Prag zu sehen. Das Museum ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Die Ausstellung ist zweisprachig – tschechisch und englisch.