Adalbert Stifter - 200. Geburtstag des deutschsprachigen Romantikers aus Böhmen
Eine groß angelegte tschechisch-österreichisch-deutsche Veranstaltungsreihe wurde am letzten Freitag im Januar in der oberösterreichischen Stadt Linz gestartet. Mehr als 150 Veranstaltungen sollen im Laufe des ganzen Jahres an den 200. Geburtstag des Schriftstellers, Künstlers und Pädagogen Adalbert Stifter aus erinnern. Den Romantiker aus dem Böhmerwald Adalbert Stifter stellen wir Ihnen im folgenden Kultursalon näher vor.
Veranstaltungen aller Art werden für das Stifterjahr 2005 vorbereitet: von Lesungen über Ausstellungen bis hin etwa zu literarischen Wanderungen auf den Spuren von Adalbert Stifter. Der Prager Verlag Vitalis hat im Hinblick auf den 200. Geburtstag Adalbert Stifters schon 2002 mit der Herausgabe einer parallelen Ausgabe von Stifters Werken - sowohl in deutscher als auch in tschechischer Sprache - begonnen. Die Übertragung ins Tschechische wurde dem renommierten Übersetzer Hanus Karlach anvertraut, den ich ans Mikrofon gebeten habe.
Stifter wird als ein böhmisch-österreichischer Autor bezeichnet, der für das tschechisch-deutsch-österreichische Nachbarschaftsverhältnis von großer Bedeutung ist. In wie weit kann man bei ihm von einer Zugehörigkeit zu einer der genannten Nationen bzw. Nationalliteraturen sprechen, fragte ich Hanus Karlach?
"Adalbert Stifter ist ein Schriftsteller, für den die Maßstäbe der Nationalität, der Sprache, nur bedingt gelten. Das heißt, er ist in Südböhmen geboren, in Österreich gestorben. Er ist ein Schriftsteller, der in einer bestimmten Ecke Europas seine Werke schuf, der über Leute in einer bestimmten Gegend schrieb, über Leute, die, sagen wir, zufällig eine bestimmte Sprache sprachen, d.h. Deutsch, die aber ebenso gut auch Tschechisch hätten sprechen können, und die ein gewissermaßen modellhaftes Leben leben, d.h. in einer Kette von Situationen leben, in einer Gegend, die die Situationen bestimmt und umrahmt. War Stifter ein deutscher, ein österreichischer, ein süd-west-böhmischer Schriftsteller? Das ist schwer zu sagen. Er war einfach ein Schriftsteller in einem bestimmten Lande, einer Gegend, und hat über die Leute in dieser Gegend geschrieben. Eine gewisse Ebene dieser Literatur hieß früher Heimatliteratur, d.h. eine Literatur, die lokal sehr geprägt ist. Aber wenn man über Stifter spricht, muss man sagen, wenn die Heimatliteratur überhaupt bei ihm der Fall war, dann nur in dem Sinne, dass sie ein Anfang von etwas war, was der Schriftsteller durch sein Werk und mit seinem Werk durchbrochen hat oder wovon er sich entfernt hat."
Der Vitalis-Verlag proklamiert im Zusammenhang mit der Edition seinen Wunsch, Adalbert Stifter wieder zurück in die Buchhandlungen, Bibliotheken und Schulklassen - und damit in den gegenwärtigen Lesegebrauch - zu bringen. Sind aber Stifters Werke wirklich überzeitlich und haben auch für den heutigen Leser eine Gültigkeit?"Ich würde sagen ja. Denn Stifter, abgesehen davon dass er vor 200 Jahren tätig war, schrieb eben diese Modellsituationen abseits von politischen, kriegerischen und anderen Erschütterungen. Und das hat einen Sinn auch für uns. Wir sagen immer, und es ist jetzt zu einer gewissen Mode geworden, weg von der transparenten Politik in der Literatur. Gut, und was spricht uns dann an? Eine Literatur, die über Familie, über einfaches Leben von Leuten spricht! Nehmen wir zum Beispiel das Werk von Ivan Klíma: Abgesehen von gewissem Grad der Entwicklung der Sprache - was das Sujet betrifft, was die Handlung und die handelnden Leute darin betrifft, was ist der Unterschied zwischen Stifter und sagen wir Klíma? Meiner Meinung nach keiner."
Adalbert Stifter war nicht nur ein Schriftsteller, sondern auch ein Maler, Kunstkritiker und Mitbegründer der Oberösterreichischen Landesgalerie in Linz. Über die Stellung der bildenden Kunst in Stifters Schaffen spricht der heutige Direktor der Galerie, Martin Hochleitner:
"Es ist eine ganz wesentliche Komponente. Man darf nicht vergessen, dass Stifter wirklich über viele Jahre Kunstrezensionen in den oberösterreichischen Tageszeitungen geschrieben hat und damit ganz wesentlich ein Kunstverständnis im 19. Jahrhundert geprägt hat. Und gleichzeitig sieht man auch, wie innovativ er war. Die Gründung einer Landesgalerie war absolut neu. Der Bund der deutschen Kunstvereine hat Linz sozusagen als Vorbild bezeichnet, dass also auch die deutschen Kunstvereine Bilder kauften sollten nach dem Beispiel von Linz. Also er hat wirklich sehr umfassend sein Kunstverständnis selbst als Künstler formuliert, in seinen Rezensionen beschrieben, und stand sozusagen auch ganz dahinter, dies auch zu vermitteln, in Rezensionen und eben auch in der Museumsgründung."
Und wie war dieses Kunstverständnis bei Stifter?
"Es war ein sehr romantisches Kunstverständnis. Es ist ihm sehr stark um die Stimmung des Bildes gegangen und am meisten hat er die Seele des Bildes in Landschaften gesehen. Er war also keiner, der sozusagen dem Historismus gewürdigt hat, den verschiedenen Inhalten im Sinne von Wissensinformationen über verschiedene Geschlechter, historische Zusammenhänge, Mythologien oder Anderes. Das ist eine Phase, die erst nach Stifter in Oberösterreich einsetzt, also Stifter hat wirklich die Seele der Landschaft, die Stimmung des Künstlers in der Auseinandersetzung und Begegnung mit der Wirklichkeit gesucht. Und das hat er sozusagen mit großem Interesse verfolgt."
Adalbert Stifter hat auch selbst gemalt. Wie waren seine Bilder?
"Ganz auch in dem Sinne. Er hat vor allem ein Faible gehabt für bestimmte Lichtphänomene, etwa ein sehr romantischer Mondschein, oder etwa das Phänomen des Regenbogens, das hat er aufgegriffen. Auch hier deckt sich die literarische Aufmerksamkeit Stifters bei der Beschreibung der Sonnenfinsternis im Dichterischen mit dem bildnerischen Anliegen - eben auch die Aufmerksamkeit auf spezielle Lichtsituationen."
Das enge Verhältnis zwischen der bildenden Kunst und der Dichtung bei Adalbert Stifter wird auch vom Übersetzer Hanus Karlach bestätigt:
"Ja, so ist es. Wenn man sich die Sprache Stifters ansieht, dann ist es auf den ersten Blick zu spüren, dass er sich sehr genau und sehr lange mit der bildenden Kunst, spezifisch mit der Malerei befasst hat. Die Beschreibungen der Natur, der Leute in der Natur sind optisch so beeindruckend, dass es eigentlich für einen Literaten, für einen Dichter nicht gewöhnlich ist."