„Aha, was ist denn das?“ – Claudia Marek über ihr Fach Bohemistik

Claudia Marek (Foto: Offizielle Facebook-Seite des Tschechischen Zentrums Prag)

Die Bohemistik könnte man leicht zu den Orchideenfächern an den Universitäten zählen. Nicht viele in der Welt haben das Interesse, oder aber auch die Nerven, sich mit dem kleinen mitteleuropäischen Land Tschechien und seiner Sprache auseinanderzusetzen. Selbst im benachbarten Österreich ist das Studium der Bohemistik keine Selbstverständlichkeit. Claudia Marek hat es trotzdem gewagt und studiert Bohemistik an der Universität Salzburg. Im Interview schildert sie, warum sie sich für ihr Fach entschieden hat. Aber auch, wie es um das Verhältnis der Österreicher zu Tschechien bestellt ist.

Claudia Marek  (Foto: Offizielle Facebook-Seite des Tschechischen Zentrums Prag)
Frau Marek, sie haben einen tschechischen Nachnamen. Hat ihre Entscheidung für die Bohemistik vielleicht etwas damit zu tun?

„Mein tschechischer Nachname kommt von meinem tschechischen Mann. Die Bohemistik hat daher bei mir sehr viel mit der Familie zu tun. Ich habe mich wegen meiner Schwiegermutter für das Fach entschieden. Als wir uns das erste Mal getroffen haben, sagte sie: ‚Ich bin leider zu alt, um Deutsch zu lernen, du musst also Tschechisch lernen!‘ Die Entscheidung für das Studium war dann auch rasch getroffen.“

Reden Sie dann daheim auch konsequent Tschechisch?

„Wenn mein Mann zu Hause ist, reden wir ausschließlich Tschechisch miteinander. Nur wenn ich die Kinder direkt anspreche, dann rede ich mit ihnen Deutsch. Wir wollen sie ja zweisprachig erziehen.“

Hatten Sie davor keinen Kontakt mit Tschechien oder der tschechischen Kultur?

Universität Salzburg  (Foto: Sergio de Ferra,  CC BY-SA 3.0)
„Bevor ich meinen Mann kennengelernt habe, wusste ich nicht viel von Tschechien. Nur, dass es eben ein Nachbarland von Österreich ist. Davon, wie man dort lebt, oder aber auch von der Vergangenheit des Landes hatte ich nicht viel Ahnung. Zumindest nur so viel, wie man aus dem normalen österreichischen Geschichtsunterricht kennt.“

Sie sind Bohemistin an der Universität Salzburg. Womit beschäftigen Sie sich da genau, und wie sieht generell die Bohemistik in Salzburg aus?



Foto: Verlag Langenscheidt
„Es wird viel Wert auf die Sprache gelegt. Im ersten Studienjahr hat man an die sechs Wochenstunden nur Tschechisch. Dabei haben wir immer mit Muttersprachlern gelernt. Auch die Kulturwissenschaft ist sehr wichtig. Wir haben uns sehr intensiv mit tschechischen Filmen, der Oper und dem Theater beschäftigt. Natürlich ist aber auch die tschechische Literatur eines der wichtigsten Themengebiete. Wir lesen sehr viel und diskutieren über die tschechischen Autoren und die Umstände, wie manche Bücher geschrieben wurden. Vor allem der Samisdat spielt in Salzburg eine große Rolle und wird viel gelesen. Das zeigen auch zahlreiche Diplomarbeiten zu dem Thema.“

Und wie sieht es generell in Österreich aus? Was für einen Stellenwert hat die Bohemistik an den österreichischen Hochschulen?

„Wenn man heute ein Wiener Telefonbuch aufschlägt, dann findet man da mehr tschechische Nachnamen als österreichische.“

„In Salzburg gibt es die Bohemistik im universitären Leben, in Wien ist sie aber noch viel präsenter. Wien hat einfach mehr Möglichkeiten, da die Universität größer ist. Auch die kulturellen Verbindungen zwischen Wien und Tschechien sind im Allgemeinen viel enger. Es gab in der Geschichte eine große Einwanderung aus Tschechien nach Wien. Wenn man heute ein Wiener Telefonbuch aufschlägt, dann findet man da ja mehr tschechische Nachnamen als österreichische.“

Was für Reaktionen ernten Sie, wenn Sie sich als Bohemistin zu erkennen geben?

„Aha, was ist denn das?‘ Das ist meist die erste Reaktion. Ich erkläre dann immer genau, womit ich mich beschäftige. Auch fordern mich die Leute auf, dass ich etwas auf Tschechisch sagen soll. Das versteht dann natürlich niemand, und das Thema wird gewechselt. Viele sind damit nicht vertraut und wissen einfach nicht, was man darüber reden sollte.“

Buchteln  (Foto: Barbora Kmentová)
Sie kennen ja Tschechien doch recht gut. Was meinen Sie, wie präsent ist denn das Tschechische oder die tschechische Kultur in Österreich? Und gibt es noch gemeinsame Wesenszüge?

„Wie bei den meisten Ländern, identifiziert man auch Tschechien zuerst über die Küche. Da kommen jedem gleich Bier, Knödel und natürlich Buchteln in den Sinn. Das sind dann eigentlich auch die größten kulinarischen Gemeinsamkeiten mit Österreich. Von der Kultur her sind sich die Tschechen und Österreicher sehr ähnlich, aber dann doch wieder sehr unterschiedlich. Zum Beispiel sind die Tschechen bei weitem nicht so offen wie die Österreicher. Das hängt bestimmt auch mit der jüngeren Vergangenheit zusammen. Um einen Tschechen wirklich kennenzulernen oder sich mit ihm privater zu unterhalten, muss man viel mehr investieren. Die Tschechen halten sich eher zurück, während die Österreicher oft richtige Plaudertaschen sind. Ansonsten denke ich, dass unsere beiden Kulturen nicht so unterschiedlich sind. Wir haben ja dann doch irgendwo unsere gemeinsamen Wurzeln.“

„Vor allem seit dem Fall des Eisernen Vorhangs wird man sich bewusst, dass Tschechien und Österreich doch eine lange gemeinsame Geschichte haben.“

Macht man sich in Österreich diese gemeinsamen Wurzeln oder die gemeinsame Geschichte auch bewusst, oder nimmt man eher die Unterschiede wahr?

„Vor allem seit dem Fall des Eisernen Vorhangs wird man sich bewusst, dass Tschechien und Österreich doch eine lange gemeinsame Geschichte haben. Man darf auch nicht unterschätzen, dass man so lange zusammengelebt und zusammengearbeitet hat. Gerade im niederösterreichischen Waldviertel sind die Leute darauf gekommen, dass Tschechien gar nicht so weit weg ist. Besonders schön habe ich die niederösterreichische Landesausstellung vor ein oder zwei Jahren in Erinnerung. Die Veranstalter haben sich dabei bemüht, gerade die Gemeinsamkeiten zwischen Niederösterreich und Tschechien darzustellen. Den Leuten sollte gezeigt werden, dass wir lange ein Land waren und wir keine eingebildeten Grenzen in unseren Köpfen hochziehen sollten. Auch wenn diese Grenze ja über 40 Jahre auch Realität war.“

Wie sehen Sie persönlich die Zukunft der österreichisch-tschechischen Verbindungen? Und vor allem: Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang Ihre Zukunft als Bohemistin?

Foto: ČT24
„Natürlich ist das mit den Verbindungen nach dem Brexit schwierig. Vor allem weil wir nicht wissen, ob die EU das aushalten wird. Trotzdem sollten wir da positiv denken und hoffen, dass sich die Beziehungen in Europa verdichten und enger werden. Das betrifft auch die Beziehung der Österreicher zu Tschechien. Je länger die physischen Grenzen nicht existieren, desto weniger werden wir sie auch in unseren Köpfen wahrnehmen. Meine Kinder wissen nämlich schon gar nicht mehr, was das ist: eine Grenze. Sie haben sich auch gewundert, warum da auf einmal Polizisten stehen, als wir bei unserer letzten Reise nach Tschechien kontrolliert wurden. Diese Generation wird es dann hoffentlich auch sein, die sich ganz als Europäer fühlt und nicht mehr zwischen den Ländern unterscheidet. Damit ist eigentlich auch die Frage nach meiner Zukunft beantwortet. Ich hoffe, dass ich mit meiner Bohemistik irgendwie Fuß fassen und den Menschen Tschechien näherbringen kann. Sei es über die Literatur, Ausstellungen oder Ähnliches. Damit will ich meinen Beitrag leisten, die Grenzen einzureißen.“