„Das geht sich aus“: Wie viel Tschechisch steckt im österreichischen Deutsch?

Stefan Michael Newerkla

Die Phrase „das geht sich aus“, mit der beschrieben wird, dass etwas klappt oder gelingt, ist aus dem österreichischen Sprachgebrauch kaum wegzudenken. Was die meisten Sprecher wohl nicht wissen: Ihren Ursprung hat die Redewendung im Tschechischen. Sprachkontakte wie diesen erforscht der Bohemist Stefan Michael Newerkla, der das Institut für Slawistik der Universität Wien leitet. In diesem Jahr wurde er für seine Forschung mit dem prestigeträchtigen Preis Premia Bohemica ausgezeichnet. Radio Prag International hat den Sprachwissenschaftler in seinem Büro in Wien besucht.

Herr Professor Newerkla, es gibt diese eine Frage, die man oft hört, wenn man Tschechisch studiert oder als Ausländer in Prag lebt: „Wie bist du denn dazu gekommen?“ Diese Frage erscheint mir oft langweilig, die Antworten sind aber meistens sehr spannend. Deshalb meine Frage: Wie sind Sie denn dazu gekommen, sich mit dem Tschechischen zu beschäftigen?

„Ich bin in Horn geboren und in Groß Gerungs im Waldviertel ausgewachsen. Von dort sind es 13 Kilometer bis zur Staatsgrenze. Schon in der Volksschule sind wir zur Grenze gefahren, das war noch zu Zeiten des Eisernen Vorhangs. Der Raum drüben hat mich immer interessiert, es war sehr schwierig hinüber zu kommen. Im Gymnasium in Zwettl hatte ich dann Russisch, und aus dieser Sprache habe ich maturiert. Mich hat das gesamte slawische System interessiert, ich wollte diese Sprache studieren und wusste, dass ich dazu auch eine weitere Slawine brauchen werde. Ich habe mich also für das Tschechische entschieden, das lag ja nahe. Also bin ich in die damalige Tschechoslowakei zu einem Sommerkurs der Prager Karlsuniversität gefahren, der aber in Marienbad stattfand. Dort habe ich meine Frau kennengelernt. Sie hat eine slowakische Mutter und einen tschechischen Vater, und ich habe mich deshalb von der Ostslawistik abgewandt und bin voll in die Westslawistik eingestiegen – mit Tschechisch, Slowakisch, Polnisch und Sorbisch.“

Sie sind mit nur 32 Jahren Professor geworden. Wie kam es dazu? Ich habe gelesen, dass Sie zu dieser Zeit einer der jüngsten Linguistik-Professoren überhaupt waren…

„Es wurden damals verschiedene Professuren neu geschaffen. Und es war die Zeit der Umgestaltung: Breite Professuren, die Sprach- und Literaturwissenschaften umfassten, wurden nun aufgeteilt. Schließlich kam eine Vorziehprofessur zustande; das Pendant in Deutschland wäre eine Juniorprofessur. Die Rechten und Pflichten waren aber die gleichen wie bei einer eigentlichen Professur. Es gab damals kaum andere Bewerberinnen und Bewerber, die so wie ich Tschechisch und Slowakisch sprachen. Da hatte ich schon große Vorteile, denn in Deutschland sind die meisten Richtung Polen ausgerichtet und sprechen Russisch. Ich aber konnte eben genau die Sprachen vorweisen, die man hier in Wien braucht – auch angesichts der Minderheitensituation.“

Ihre Studierenden waren damals vermutlich nur wenig jünger als Sie, oder? Wie war das für Sie?

„Das war natürlich witzig. Einige meiner Kommilitoninnen und Kommilitonen haben sehr lange studiert. Sie mussten dann auch noch bei mir Prüfungen absolvieren.“

Eines der Gebiete, mit denen Sie sich befassen, ist die Kontaktlinguistik. Was finden Sie gerade daran so spannend?

Hier in Wien haben die Sprachen der Monarchie zusammengefunden, und das Deutsche wurde natürlich davon geprägt.

„Mich fasziniert der Kontakt in Österreich mit den Sprachen, die heute Nachbarsprachen sind, früher aber in den Erbländern gesprochen wurden. Hier in Wien haben die Sprachen der Monarchie zusammengefunden, und das Deutsche wurde natürlich davon geprägt. Diese Konstruktionen, die aus den slawischen Sprachen – vor allem aus dem Tschechischen –, aber auch aus dem Ungarischen stammten, haben den Standard in Österreich geprägt. Im Rest des deutschen Sprachgebiets gibt es sie so nicht.“

Haben Sie dafür ein Beispiel?

„Statt des universellen Verbs ‚tun‘, das in anderen Sprachgebieten mit ‚setzen‘, ‚legen‘ oder ‚stellen‘ ersetzt wird, sagen die Leute im Wiener Raum und in Ostösterreich ‚geben‘. Sie ‚geben‘ ein Buch auf den Tisch oder in die Tasche. Die Parkscheibe ‚geben‘ sie hinter die Windschutzscheibe. Und das kommt aus dem Slawischen. Wir konnten im Rahmen unseres Forschungsprojekts eindeutig nachweisen, dass dieser Einfluss aus dem Tschechischen stammt. Es gibt mehrere derartige Phrasen. ‚Die Kinder spielen mit sich‘. Solche Konstruktionen mit Reflexivum sind in Österreich ganz normal, sie fallen erst auf, wenn man in andere deutsche Sprachgebiete wechselt. Auch ‚das geht sich aus‘ stammt aus dem Tschechischen, wo man sagt ‚to vyjde‘ oder eben ‚to nevyjde‘. Hier am Institut für Slawistik gibt es noch ein weiteres Beispiel. So haben wir hier die Galerie auf der ‚Pawlatsche‘. Das ist ein eindeutig tschechisches Lehnwort, es kommt von ‚pavlač‘. Dieser Begriff findet sich nur im österreichischen Deutsch, anderswo wird er lediglich als Laubengang umschrieben.“

Sie haben auch die Einflüsse des Deutschen auf das Tschechische untersucht. So haben Sie etwa ein Kontaktwörterbuch mit fast 800 Seiten geschrieben. Man könnte ja annehmen, dass der Sprachkontakt zwischen Deutsch und Tschechisch sich eher zu Zeiten der deutschen Minderheit in Böhmen und Mähren oder vor dem Hintergrund Österreich-Ungarns abspielte. Aber wissen Sie, was die letzte Entlehnung aus dem Deutschen ins Tschechische war? Was ist der letzte nachgewiesene Sprachkontakt?

„Das ist sehr schwierig zu sagen. Um diese Frage zu beantworten, müsste ich mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen beraten. Eine Kollegin aber hat ihre Diplomarbeit bei mir über die Terminologie des Aerobic im Tschechischen geschrieben. Sie ist dabei darauf gekommen, dass im Grenzgebiet in Mähren viele Ausdrücke aus der österreichischen Terminologie des Aerobic übernommen wurden. Das sind oft Quasi-Anglizismen, die nicht aus dem Englischen stammen, sondern aus dem österreichischen Gebrauch. Ich kann mir vorstellen, dass es derartige Lehnwörter auch in anderen Bereichen gibt, etwa in solchen, in denen die deutsche Wirtschaft besonders stark ist.“

Gibt es ein Thema, zu dem Sie gerne noch forschen würden und das Sie hier verraten wollen?

„Für die breite Öffentlichkeit mag das nicht so interessant klingen, aber ich fände es sehr spannend, eine Phonologie der deutschen Lehnwörter im Tschechischen zu erstellen. Für mein großes Wörterbuch habe ich bereits sehr viel Material gesammelt. Es finden sich dort zahlreiche Entlehnungen – aus der alttschechischen Zeit bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nun im Sprachvergleich eine Lautleere dieser Lehnwörter zu machen und sich anzuschauen, welcher Laut wie ersetzt wurde, wäre natürlich sehr spannend. Im Mittelteil meines Wörterbuches habe ich bereits begonnen, dazu eine Übersicht zu machen.“

Sie wurden im Oktober mit dem Preis Premia Bohemica ausgezeichnet. Er wird vom tschechischen Kulturministerium an Bohemisten im Ausland für ihre Leistungen verliehen. Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie?

Die Wiener Bohemistik ist die älteste der Welt. Wir sind 1775 begründet worden, 2025 feiern wir also 250 Jahre.

„Ich habe mich natürlich sehr darüber gefreut, habe den Preis aber auch als eine Auszeichnung für die gesamte Bohemistik hier in Wien gesehen. Es ist ja wahrscheinlich nicht allen bekannt: Die Wiener Bohemistik ist die älteste der Welt. Wir sind 1775 begründet worden, 2025 feiern wir also 250 Jahre. In Prag wurde erst 1792 ein entsprechender Lehrstuhl eingerichtet. Heute sind wir ein wirklich gutes Team. Dass nun gerade ich am auffälligsten war und diesen Preis bekommen habe, freut mich natürlich, aber ich sehe das als Ehrung für die gesamte Belegschaft.“

Sie sind der Leiter der Wiener Slawistik. Wie ist Ihr Institut aktuell aufgestellt? Sind Sie von Kürzungen betroffen?

„Von echten Kürzungen kann man nicht sprechen, aber wir sind momentan in einer schwierigen Situation. Ich war ja auch schon in den 2000er Jahren einmal Leiter des Instituts. Da hatten wir eine gute Zeit, es gab wirklich sehr viele Studierende. Nach wie vor sind wir das größte slawische Institut weltweit. Allerdings kommen nun die geburtenschwachen Jahrgänge an die Reihe. Hinzu kam die Corona-Epidemie. Außerdem steht die Diskussion über die künstliche Intelligenz im Raum und die Frage, ob es in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Sinn hat, ein philologisches Studium zu ergreifen. Dies alles hat zu sinkenden Studierendenzahlen geführt. Und dann fragt sich natürlich die Universitätsleitung: Braucht es noch so viele Lehrende? Bislang konnten wir alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter halten und Stellen auch wieder nachbesetzen. Es ist aber zusehends schwieriger geworden. Man spürt einen deutlichen Druck.“

Wie hat sich der Krieg in der Ukraine auf Ihr Institut ausgewirkt? Vermutlich gab es ein steigendes Interesse an der Ukrainistik?

„Wir sind eines der wenigen Institute, das dieses Fach schon lange vor Kriegszeiten angeboten hat – also noch bevor die Krim annektiert wurde und es schließlich zum Angriffskrieg kam. Die Ukrainistik war immer ein vergleichsweise kleines Fach, und natürlich ist nun das Interesse daran gewachsen, vor allem das am Spracherwerb. Hinsichtlich der Russistik ist die Nachfrage vergleichbar mit den anderen slawischen Sprachen gesunken. Die Russisch-Sprachkurse haben aber keinen Einbruch erlitten. Sie werden jetzt vermehrt von Interessierten aus Sozial- und Politikwissenschaften besucht, die verstehen wollen, was in Russland publiziert und geschrieben wird. Mit der Situation in dem Land haben wir uns als Institut schon immer kritisch auseinandergesetzt, es ist nicht unsere Aufgabe, Propaganda zu verbreiten. Der Krieg in der Ukraine hat uns sehr betroffen gemacht, weil wir alle persönliche Verbindung in das Land haben und auch Forschungsprojekte darunter leiden. Den Lehrbetrieb hat der Konflikt aber nicht direkt beeinträchtigt.“

Herr Newerkla, ich hätte da noch eine persönliche Frage. Sie haben unheimlich viele Monographien geschrieben und Artikel herausgebracht. Wie viel schlafen Sie eigentlich?

„Diese Frage stellen sich viele – und sie ist schwer zu beantworten. Es gibt schon Phasen, in denen ich nur auf zwei, drei Stunden in der Nacht komme. Meistens lege ich mich dann aber am Tag kurz hin. Ich komme also schon auf meine sechs, sieben Stunden, ich schlafe nur eben nicht immer am Stück. Wenn es dem Körper nicht mehr guttut, merkt man das eh. Das Ding ist, dass ich während des Tages mit meinen Aufgaben an der Universität, also mit dem Vorbereiten der Lehre und auch mit der Verwaltung, sehr viel zu tun habe. Nur während der Nachtstunden kann ich wirklich über wissenschaftliche Probleme nachdenken. So ab 23 Uhr bis drei, vier Uhr morgens wird es ruhiger. Niemand schreibt mehr E-Mails, und im Radio wird meist nur noch klassische Musik zur Berieselung gespielt. Das ist die Atmosphäre, in der ich mich am besten konzentrieren kann.“