Alle Menschen sind gleich, nur Männer sind gleicher: Gleichstellungspolitik in Tschechien nicht prioritär

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Eine bessere Ausbildung, weniger Gehalt im Job, dafür mehr unbezahlte Arbeit im Heim und am Herd: So lassen sich Status und Rolle der durchschnittlichen EU-Bürgerin zusammenfassen. Auch Tschechien macht hierbei keine Ausnahme, obwohl gerade das kommunistische System die Gleichstellung von Mann und Frau forciert hat. Genau das aber machte - und macht auch heute noch - das schwache Geschlecht noch schwächer. Sandra Dudek berichtet über den Stand der Gleichstellung in den EU-Ländern und wie die Nachwehen des Kommunismus eine Umsetzung dieser Politik in Tschechien erschweren:

Das Gespenst geht immer noch um in Europa. Der Kommunismus, einst vom ehemaligen tschechischen Präsidenten Vaclav Havel als Gespenst bezeichnet, hinterlässt in Tschechien nach wie vor seine Spuren - und trägt zumal auch unfreiwillig komische Blüten: Im Gegenzug zur Einführung des Karfreitags als offiziellen Feiertag soll der "Internationale Frauentag" aus dem Kalender gestrichen werden. Damit würde man sich, so Josef Pavlata, ODS-Abgeordneter und Initiator dieses ungewöhnlichen Tauschhandels, auf die christlichen Wurzeln besinnen und sich gleichzeitig eines weiteren Relikts des kommunistischen Regimes entledigen. Allerdings ist die überwiegende Mehrheit der Tschechinnen und Tschechen atheistisch. Und der "Internationale Frauentag", laut Pavlata "der widerwärtigste kommunistische Feiertag", wurde bereits am 8. März 1908 begangen, und zwar in den USA. Gerade aber der Kommunismus wäre ein Argument, den "Internationalen Frauentag" ernst zu nehmen, denn das totalitäre System ist am heutigen Rollenverständnis der Geschlechter in der Tschechischen Republik nicht ganz unbeteiligt. Dazu Hana Havelkova, Professorin am Institut für Gender Studies der Karlsuniversität Prag:

"Was im Kommunismus geschah, war eine Retraditionalisierung. Diese traditionellen Haltungen waren eigentlich eine Reaktion auf die offizielle Politik, die ja pro-emanzipatorisch war. In den 50er Jahren war die Gesellschaft Veränderungen gegenüber relativ offen, aber dann, in der Opposition zum Regime haben die traditionellen Werte einen neuen, speziellen Stellenwert bekommen."

Dabei galt in der einstigen Tschechoslowakei der Feminismus und mit ihm eine fortschrittliche Frauenpolitik als Teil der Tradition:

"Vor der kommunistischen Machtübernahme war der tschechische Feminismus sehr stark, sehr gut entwickelt, es war eine ganz reiche, ganz starke Szene. Hier gab es eine der ersten Modernisierungen des Familienrechts in Europa überhaupt, es gab seit 1950 kein Familienoberhaupt in unserem Rechtssystem, also das war sehr progressiv."

Mehr als 50 Jahre später kann vom europäischen Spitzenplatz in Bezug auf die Gleichstellung keine Rede mehr sein, wirft man einen Blick auf die Statistiken. Da nämlich liegt die Tschechische Republik im Mittelfeld: Mit Ausnahme von Litauen haben die Frauen in den EU-Ländern zwar eine bessere Ausbildung, verdienen aber weniger Geld als Männer im gleichen Job und leisten wesentlich mehr Arbeit im Heim und am Herd, selbstverständlich unbezahlt. Während aber europaweit ein Rückgang der geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Bereichen Bildung und Beschäftigung festgestellt werden kann, bleibt das Lohngefälle nahezu unverändert. Frauen verdienen im EU-Schnitt um 15 Prozent weniger als Männer, in Tschechien knapp 20 Prozent. Allerdings muss man diese Zahlen unter Berücksichtigung anderer Faktoren lesen, wie Katharina von Schnurbein, Pressesprecherin im EU-Kommissariat für Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit erläutert:

"Es ist eben oft so, dass Frauen sehr viel mehr in Teilzeit arbeiten: 30 Prozent der Frauen arbeiten in Teilzeit gegenüber 6,6 Prozent der Männer. Da reduziert sich dann natürlich der Lohn. Das Lohngefälle oder der "gender pay gap" heißt nicht, dass man in den europäischen Ländern für gleiche Arbeit unterschiedliche Löhne hat, sondern es heißt, dass Frauen insgesamt weniger verdienen."

Und zwar EU-weit. Hinsichtlich der unterschiedlichen Bezahlung von Männern und Frauen gibt es keine auffallenden Unterschiede zwischen der EU der 15 und der EU der 25: Am geringsten ist die Diskrepanz in Malta und Italien, währenddessen beispielsweise die britischen oder deutschen Frauen noch schlechter verdienen als die tschechischen im Vergleich zu ihren jeweiligen Landesgenossen. Außerdem sind viele Frauen, die Kinder haben, gezwungen, in Teilzeit zu arbeiten, da es an guten und/oder erschwinglichen Kinderbetreuungsmöglichkeiten mangelt. Und nicht zuletzt machen sich die fortbestehenden Vorurteile gegenüber Frauen und die Einstellung, dass sie auf dem Arbeitsmarkt weniger "wert" seien, auch auf dem Bankkonto bemerkbar. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass schlecht bezahlte Berufssparten von Frauen dominiert werden - dies gilt übrigens auch dann, wenn es sich um besonders prestigeträchtige Berufe handelt. So ist es zum Beispiel ein Phänomen der ehemaligen Ostblockstaaten, dass hier der Frauenanteil in der Wissenschaft bei knapp 40 Prozent liegt, in einzelnen Ländern sogar über 50 Prozent. Warum es in dem sonst so männerdominierten Bereich so viele Frauen gibt, ist für Hana Havelkova, Professorin am Institut für Gender Studies der Karlsuniversität Prag, einfach zu erklären:

"Weil sie in der Wissenschaft 200 Euro pro Monat verdienen und das ist für Männer nicht mehr interessant. Das Problem liegt darin, dass die Frauen ganze Sektoren halten, die eigentlich unattraktiv sind, weil die Gesellschaft so eingestellt ist, dass die Frauen einfach kleinere Gehälter haben, sie akzeptieren das, alle akzeptieren das. Frauen dienen wirklich als billige Arbeitskraft, auch in der Wissenschaft."

Außerdem hätte auch die intellektuelle Elite des Landes noch kein ausgeprägtes Geschlechterbewusstsein. Vieles würde einfach als gegeben hingenommen, frauenspezifische Angelegenheiten würden noch nicht in dem Ausmaß reflektiert wie beispielsweise in den skandinavischen Ländern. Denn, so Havelkova:

"Hier herrscht immer noch sehr viel Naturalismus. Man nennt es hier "geneticky zakodovany", meint also: "die genetisch eincodierten" Eigenschaften der Frauen und Männer. Das ist so stark, das hält sich sogar unter Sozialwissenschaftlern. Und man muss auch daran denken, dass die Leute immer noch sehr viele Probleme mit sich selbst haben, mit der Anpassung an das neue kapitalistische Regime. Die Leute halten diese Fragen für etwas, wofür sie noch nicht genug Zeit haben."

Die Gleichstellungsfrage ist in den ehemaligen Ostblockstaaten komplexer, da sie in einem größeren Kontext und auch unter Berücksichtigung des politischen Wandels gesehen werden muss. Aber gerade in der Politik sieht Hana Havelkova das bremsende Moment, denn dort stehen speziell frauenpolitische Themen kaum auf der Tagesordnung, weil es einfach an Politikerinnen mangelt, die sie einbringen könnten. Dabei wünscht sich sowohl die Öffentlichkeit mehr Frauen in der Politik, als es auch viele kompetente Frauen gibt, die in die Politik gehen möchten. Aber, so Hana Havelkova:

"Die Bremse liegt in den Leitungen der Parteien, bei den Gatekeepers. Der Punkt ist, dass sich diese Gatekeepers keine großen Sorgen machen brauchen, dass diese Frauenpolitik sie kompromittieren würde, weil es wieder andere, wichtigere politische Probleme gibt. Und dann ist das Kriterium, wie viele Frauen sie auf den Kandidatenlisten haben, auch für die Wähler eigentlich nicht erstrangig, was ja auch ein Unterschied zum Westen ist."

Das kann auch Katharina von Schnurbein, Pressesprecherin im EU-Kommissariat für Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit bestätigen:

Foto: Europäische Kommission
"Was die Vertretung von Frauen in nationalen Parlamenten anbelangt, da ist die Situation für Frauen in den neuen Mitgliedsländern relativ schlechter als in den alten Mitgliedsländern mit der Ausnahme von Frankreich, wo die Situation für Frauen auch relativ schlecht ist. In den neuen Mitgliedsländern gibt es nur knapp 12 Prozent Frauen in den nationalen Parlamenten."

Aber auch EU-weit ist die Situation alles andere als ausgewogen: Im Schnitt sind in den Mitgliedsländern nur ein Fünftel der Parlamentsmitglieder Frauen. Schweden ist das einzige EU-Land, in dem sich Frauen und Männer das Parlament teilen. Gesetze erlassen, um die Situation für Frauen am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft zu verbessern, kann die EU freilich nicht, das obliegt den Mitgliedstaaten. Aber sie kann die Gleichstellungsproblematik zum Thema machen, Aktionen organisieren und Frauen fördern, Frauenlobbying unterstützen und vor allem auch Werte und Verhaltensweisen verbreiten, die langfristig Stereotypen abschaffen sollen. Denn, so Katharina von Schnurbein:

"Das ist grundsätzlich ein Bestreben, das die Kommission hat und dazu gehört auch, dass man bis zu einem gewissen Grad propagiert, dass es nicht abnormal ist, wenn Frauen mit Kindern arbeiten und dass es auch nicht abnormal ist, wenn Männer mit Kindern zu Hause bleiben. Und in den nordischen Ländern wird uns das ganz gut vorgelebt."





Folgende Hinweise bringen Ihnen noch mehr Informationen über den Integrationsprozess Tschechiens in die Europäische Union:



www.integrace.cz - Integrace - Zeitschrift für europäische Studien und den Osterweiterungsprozess der Europäischen Union

www.euroskop.cz

www.evropska-unie.cz/eng/

www.euractiv.com - EU News, Policy Positions and EU Actors online

www.auswaertiges-amt.de - Auswärtiges Amt