Arbeitslosigkeit als Wahlkampfthema in Tschechien
Ende Dezember hat die Zahl der Arbeitslosen in Tschechien erneut die Grenze von einer halben Million überschritten und die Arbeitslosenrate ist damit auf 8,9 Prozent angestiegen. In absoluten Zahlen ausgedrückt heißt das, dass im Vergleich zum vorangehenden Monat bei den Arbeitsämtern insgesamt rund 20 000 Menschen zusätzlich als arbeitslos gemeldet waren. Kein Wunder, dass die tschechischen Politiker, die sich mitten im Wahlkampf befinden, dieses Thema in den vergangenen Tagen aufgegriffen haben und seither eine Verbesserung der Lage auf dem heimischen Arbeitsmarkt versprechen.
Die Wege, die sie dabei beschreiten wollen, sind natürlich völlig unterschiedlich. Die oppositionellen rechtsliberalen Bürgerdemokraten setzen alles auf eine komplexe Reform des Steuersystems, sowie der sozialen Sicherungssysteme und wollen im Endeffekt jeden einzelnen Bürger zu mehr Eigenverantwortung verleiten. Auf diese Weise soll gemäß den Vorstellungen der Opposition die Arbeitslosenrate bis zum Jahr 2010 auf vier Prozent absinken. Die regierenden Sozialdemokraten wollen dagegen am bestehenden System wenig ändern und hoffen wiederum, dass das relativ starke Wirtschaftswachstum auch künftig dafür sorgen wird, dass die Zahl der Erwerbslosen allmählich zurückgehen wird. So meinte Premierminister Jiri Paroubek unlängst, dass auf Grund eine guten Wirtschaftsentwicklung die Arbeitslosenrate bis zum Jahr 2010 auf sechs Prozent reduziert werden könnte. Alles nur Zahlenspielerei der Politiker, die schließlich auch um die Stimmen der Arbeitssuchenden buhlen, oder sind wirklich realisierbare Vorstellungen?
Welche Konzepte im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit bieten die tschechischen Politiker eigentlich an? Darüber unterhielten wir uns mit dem Wirtschaftsforscher David Marek von der tschechischen Finanzgruppe Patria, der gleich einleitend meint:
"Ich befürchte, dass bislang niemand irgendwelche komplexe und vernünftige Ideen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit vorgestellt hat, zumindest was die gegenwärtigen Parlamentsparteien angeht. Deshalb kann man nur auf ein größtmögliches Wirtschaftswachstum hoffen, denn für den Fall, dass die Konjunktur schwächer werden sollte, besteht das Risiko, dass es zu einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit kommen würde. Niemand ist bislang den Ursachen für die Arbeitslosigkeit nachgegangen, die auch außerhalb des Arbeitmarktes liegen können."
Es scheint nicht uninteressant zu sein, dass die meisten Politiker nicht nur Erfolge bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, sondern gleichzeitig auch einen Anstieg der Löhne versprechen. Das wird bei den Wählern zweifellos gut ankommen, muss aber bei Wirtschaftsforschern gleichwohl große Bedenken wecken. Lassen sich diese unterschiedlichen Ziele - aus ökonomischer Sicht - überhaupt miteinander vereinen? David Marek:"Natürlich ist das alles vereinbar und zwar bei der Erfüllung einer wichtigen Voraussetzung, nämlich eines lang anhaltenden Wirtschaftswachstums - dann können sowohl die Arbeitslosenzahlen niedrig gehalten werden, wie auch die Löhne hoch sein. Deshalb ist es verantwortungslos, wenn Politiker den Anschein zu wecken versuchen, dass sie selber ein gewisses Gehaltsniveau garantieren können. Dazu kann ja die Politik einer Regierung nur indirekt beitragen und zwar in dem sie günstige Bedingungen für ein Wachstum der Wirtschaft schafft. Man kann sich aber nicht hinstellen und versuchen die Höhe der Gehälter zu diktieren. Hier mit beliebigen Zahlen zu spielen ist also schon ein wenig merkwürdig."
Im Gegensatz zum angelsächsischen Raum, wo sich in der Gesellschaft eine bedeutend größere Mobilität feststellen lässt und es üblich ist, dass man während des aktiven Lebens mehrere Berufe durchläuft und in der Zwischenzeit manchmal auch erwerbslos ist, stellt für viele Menschen in Kontinentaleuropa die Arbeitslosigkeit ein großes psychologisches Problem dar. In einigen Ländern, wie zum Beispiel in Deutschland, werden dann auch immer Erinnerungen an die Zwischenkriegszeit wach, als die explosive soziale Situation in weiten Teilen der Gesellschaft auch ganz konkrete politische Folgen hatte. Wie ist es aber in Tschechien? Schließlich herrschte noch vor zwanzig Jahren in der einstigen sozialistischen Tschechoslowakei offiziell Vollbeschäftigung und arbeitslos zu sein ging auch vom Gesetz her nicht. Wenn jemandem der entsprechenden Stempel eines Arbeitgebers in seinem Personalausweis fehlte, musste er mit Konsequenzen rechnen. Ist also die öffentliche Wahrnehmung der Arbeitslosigkeit in Tschechien eine andere?
"Ich denke, hier ist es ganz gleich wie in jedem anderen Land auch. Natürlich ist die Arbeitslosigkeit ein Problem vor allem, wenn es sich um Langzeitarbeitslosigkeit handelt. Dank sinkt nämlich auch die Wahrscheinlichkeit, dass man noch eine neue Stelle findet, weil sicher auch Schwierigkeiten mit der Wiedereingliederung in die Arbeitswelt auftreten können. Vor allem geht dann auch das Selbstvertrauen verloren. Die Probleme und auch der psychologische Aspekt sind hierzulande also die Gleichen, wie zum Beispiel in Deutschland oder anderswo."Bei der schellst möglichen Vermittlung von Langzeitarbeitslosen hängt Vieles auch von der Flexibilität des Arbeitsmarkts ab. In Deutschland zum Beispiel hat man dieses Problem erkannt und in den vergangenen Jahren versucht mit den Hartz-Reformen Abhilfe zu schaffen. Wie rigide ist eigentlich der Arbeitsmarkt in Tschechien? Geht es hier nicht noch ein wenig flexibler zu, als in vielen Ländern Westeuropas? Dazu meint David Marek:
"Im gewissen Sinne sind wir immer noch besser dran, als Deutschland oder andere westeuropäische Länder, weil sich hier kein ausgeprägter Sozialstaat etablieren konnte. Natürlich gibt es aber auch hier ähnliche Probleme, die vor allem den Kampf gegen die so genannte strukturelle Arbeitslosigkeit bremsen und dazu führen, dass man sich ausschließlich auf das Wirtschaftswachstum als Weg zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen verlässt. Egal ob es um die Kosten für das Einstellen neuer Arbeitskräfte geht, oder um Kosten im Zusammenhang mit der Mobilität der Arbeitskräfte im Rahmen bestimmter Regionen oder auch Wirtschaftszweige, das alles sind Probleme, die für den tschechischen Arbeitsmarkt charakteristisch sind und wo bislang Niemand mit wegweisenden Rezepten in Erscheinung getreten ist."
Viele Wirtschaftsforscher vertreten die Ansicht, dass es in jeder marktwirtschaftlich aufgebauten Wirtschaftsordnung Menschen geben muss, die nicht beschäftigt sind und als Reservoir für potentielle Arbeitskräfte dienen. Kritiker halten dem entgegen, dass unter den Arbeitslosen oft überproportional jene Bevölkerungsgruppen vertreten sind, die schwer vermittelbar sind. Entweder, weil sie zu jung sind und über keine ausreichende Ausbildung, bzw. Erfahrung im Berufsleben verfügen. Oder aber es handelt sich um Angehörige der mittleren Generation handelt, deren Einstellung sich in den Augen vieler Unternehmen nicht mehr lohnt. Gibt es Modelle, wie man gerade diese Menschen aus der Arbeitslosigkeit holen kann? Hören Sie dazu noch einmal den Wirtschaftsforscher David Marek:
"Es gibt Rezepte, wie man diese Personen, die nur schwer eine Stelle suchen und somit die natürliche Arbeitslosigkeit ausmachen, wieder in den Arbeitsmarkt einbinden kann. Zu diesen Methoden gehören wenige häufige Beschäftigungsmodelle, also zum Beispiel Halb- oder Drittelstellen. Diesen Weg haben vor einigen Jahren die Niederländer beschritten, wo heute ein relativ großer Teil der Bevölkerung auf diese Weise geringfügig beschäftigt ist. Auch deshalb gehört die Arbeitslosenrate in den Niederlanden zu den niedrigsten in Europa."