Architektur im Dienste der Ersten Republik

Architektur im Dienste der Ersten Republik

Welche Rolle spielte die Architektur nach der Entstehung der Tschechoslowakei vor 100 Jahren? Eine Antwort auf diese Frage gibt eine Ausstellung in Prag mit dem Titel „Architektur im Dienste der Ersten Republik“. Diese konzentriert sich auf Bauten in der tschechischen Hauptstadt und in Mittelböhmen aus den Jahren 1918 bis 1938, mit einem kleinen Abstecher nach Mittelböhmen.

Architektur im Dienste der Ersten Republik
Die Stadtbibliothek in Prag ist selbst ein Beispiel der Architektur, die damals die neue Republik repräsentieren sollte. Der neoklassizistische Bau wurde von František Roith entworfen und in den Jahren 1924 bis 1928 erbaut. In dem Palais befinden sich neben der Bibliothek unter anderem auch Ausstellungsräume, eine repräsentative Wohnung des Prager Oberbürgermeisters und ein Kino. Eben in der Halle vor dem Kinosaal, im Untergeschoss der Stadtbibliothek, ist derzeit die Ausstellung zur Architektur der Ersten Republik zu sehen. Sie konzentriert sich auf Prag sowie Mittelböhmen und ist Teil einer Reihe, die im Laufe des Jahres in den weiteren tschechischen Regionen fortgesetzt wird. Šárka Koukalová vom Nationalen Denkmalschutzamt hat die Ausstellung in der Hauptstadt mitkonzipiert:

„Die Architektur spielte nach der Staatsgründung eine bedeutende Rolle. Ganz allgemein waren Kunst und Design im Prozess der Gestaltung der neuen Republik sehr wichtig. Und die Idee der Repräsentation, die Begeisterung für den neuen Staat prägten damals die Architektur.“

Repräsentation des neuen Staates

Matyáš Kracík ist der zweite Kurator der Ausstellung. Er nennt noch einen weiteren Aspekt des Baubooms nach 1918:

„Die Architektur hatte eine repräsentative Funktion, aber auch einen wichtigen praktischen Nutzen: Man brauchte einfach Gebäude für Ministerien und Behörden in dem neuen Staat, aber nicht nur das, sondern auch Verkehrsbauten, Kultureinrichtungen und Kirchen. Prag benötigte zudem ein neues Wasserwerk und eine neue Infrastruktur.“

Die Kuratoren haben sich in der Ausstellung auf Bauten konzentriert, die vom Staat oder aus öffentlichen Mitteln finanziert wurden. Verzichtet haben sie auf Bauten, die im Auftrag von Privatinvestoren entstanden. Gezeigt werden alle Stile, die die Jahre 1918 bis 1938 prägten, also die Moderne der 1920er Jahre, den Neoklassizismus, den Konstruktivismus und den Funktionalismus sowie den spezifischen tschechoslowakischen Rondokubismus. Zu sehen sind Häuser nach den Plänen der wichtigsten Architekten wie Josef Gočár, Pavel Janák und Jan Kotěra. Die Entwürfe für die neuen Staats- und Verwaltungsgebäude wurden in Architekturwettbewerben ausgewählt, sagt Kracík:

Finanzministerium  (Foto: Filip Jandourek,  ČRo)
„Die Wettbewerbe hatten oft mehrere Runden. Die höchste Zahl von Entwürfen, etwa 40, ging für das Gebäude der damaligen Arbeiterversicherung ein. Es gab entweder offene Ausschreibungen, die anonym waren, oder sogenannte beschränkte Ausschreibungen. Dabei wurden bedeutende Architekten aufgefordert, sich daran zu beteiligen. Dieser Vorgang war vor allem bei den Ministerien üblich. Man wandte sich unter anderem an František Roith, Bohumil Hypšpman und weitere Persönlichkeiten, die eine eher konservative Linie in der Architektur vertraten.“

Beispielen dieser „konservativen Architektur“ könne man bei einem Spaziergang entlang der Moldau begegnen, sagt Matyáš Kracík:

„Wenn man den Spaziergang bei der Štvanice-Insel beginnt, geht man am Südufer der Moldau in Richtung Westen am Verkehrs- und Landwirtschaftsministerium vorbei. Noch ein bisschen weiter steht das Gebäude der Arbeiterversicherung. Setzt man seinen Weg am anderen Ufer fort, kommt man zum Finanzministerium und – noch weiter hinter der Palacký-Brücke – dem Arbeitsministerium und dem Gesundheitsministerium. Die Ministerialgebäude konzentrieren sich alle entlang der Moldau.“

Neoklassizismus und nationaler Stil

Legiobank,  photo: Petr Vilgus,  CC BY-SA 3.0
Die Ministerien sind überwiegend im Stil des modernen Neoklassizismus gestaltet. Dieser galt zu dieser Zeit bereits als konservativ und war monumental. Die Architekten der Ersten Republik hätten sich aber sogar etwas Neues ausgedacht, den sogenannten nationalen Stil, sagt Matyáš Kracík.

„Dieser knüpfte an den Kubismus der Vorkriegszeit an. Zu den geometrischen geraden Linien des Kubismus fügte man Bögen hinzu sowie die Staatsfarben Rot und Weiß. So entstand der sogenannte Rondokubismus. Er lässt sich in Prag am Gebäude der Legiobank und am Palais Adria am deutlichsten sehen.“

Die Architektur in Prag und die im Umland waren eng miteinander verbunden, wie Šárka Koukalová erläutert. Symbolisiert werde diese Verknüpfung durch den Architekten Josip Plecnik.

„Prag war die Hauptstadt des neuen Staates, und der Staatspräsident hatte seinen Sitz auf dem dortigen Hradschin. Eine weitere Residenz des Staatsoberhauptes befand sich in der mittelböhmischen Gemeinde Lány. Der geniale Künstler und Architekt Josip Plecnik leitete den Umbau der beiden Sitze und stellte so eine Verbindung zwischen Prag und Mittelböhmen her.“

Hinterland der Hauptstadt: Erholung und Industrie

Mittelböhmen galt als Hinterland der Hauptstadt und diente den Einwohnern Prags vor allem zur Erholung. Dies war schon seit Ende des 19. Jahrhunderts so. In der Umgebung der Metropole entstanden prächtige Villen, Einfamilienhäuser und Wochenendhäuser. In der Zwischenkriegszeit konnten sich auch mittlere Gesellschaftsschichten ein Anwesen dort leisten. Zugleich boomten die öffentlichen Bauten in dieser Ära des Aufschwungs, der in Mittelböhmen stärker als in anderen Regionen gewesen sei, sagt Koukalová. Er konzentrierte sich vor allem auf Industriestädte wie Mladá Boleslav, Kladno und Kolín:

„Viele Architekten, die sich am modernen Ausbau der Hauptstadt beteiligten, waren danach in der Umgebung Prags und in den Industriestädten Mittelböhmens tätig. Sie arbeiteten an Bebauungsplänen für diese Städte und prägten ihr künftiges Aussehen.“

Die Kuratorin nennt auch einige Beispiele mittelböhmischer Bauten, die im weltweiten Vergleich von Bedeutung sind:

Wasserkraftwerk in Poděbrady  (Foto: Miloš Turek)
„Da ist zum Beispiel das Krematorium in Mladá Boleslav von Bohumil Hypšman. Und die Landesindustrieschule in der Stadt von Jiří Kroha war eines der kompliziertesten und modernsten Schulgebäude überhaupt. Zu erwähnen sind auch etwa das Wasserkraftwerk in Poděbrady von Antonín Engel. Diese Bauten wurden im vergangenen Jahr sogar zu nationalen Kulturdenkmälern erklärt.“

Die sogenannte Erste Tschechoslowakische Republik bestand zwanzig Jahre lang. Wie lässt sich ihre Architektur mit jener des heutigen Tschechiens vergleichen? Der Architekt Matyáš Kracík:

„Heutzutage lassen sich kaum Bauten benennen, die aus öffentlichen Mitteln finanziert wurden. In Prag sind es nur ein paar Metro-Stationen, die Technische Nationalbibliothek und die Fakultät für Architektur der Technischen Universität. Ansonsten stehen private Investoren hinter allen Projekten. Ein Vergleich mit der Ersten Republik ist daher schwer möglich.“

Die Ausstellung „Architektur im Dienste der Ersten Republik“ ist in der Prager Stadtbibliothek zu sehen, und zwar noch bis 28. Juni. Danach wandert sie in die Gärten unterhalb der Prager Burg und anschließend ins Kulturzentrum der mittelböhmischen Stadt Mělník.