Arm ist, wer nur zwei Räder hat
In Tschechien kann man prima Fahrrad fahren - solange man nicht die gekennzeichneten Radwege im Wald verlässt und sich auf heißes Straßenpflaster begibt. Das muss man sich nämlich mit den Autos teilen. Und dazu gehört in Tschechien schon ein wenig Lebensmüdigkeit. Obendrein erntet man mitunter gerümpfte Nasen in der Öffentlichkeit. Christian Rühmkorf über die Situation der Zweiräder in Tschechien.
Auf dem Platz Jiriho z Podebrad im Prager Stadtteil Zizkov versammelten sich Ende April mehrere hundert Fahrradfahrer zur großen Fahrraddemonstration "Cyklojizda" quer durch Prag. Unter ihnen stand auch Umweltminister Martin Bursik und hielt sich - Helm auf dem Kopf - an seinem Fahrrad fest. Er erklärt, was es mit der Cyklojizda auf sich hat:
"Cyklojizda - das ist schon eine Tradition. Ich bin hier zum sechsten oder vielleicht schon achten Mal. Das ist eine Aktion bei der Fahrradfahrer zeigen wollen, dass Prag nicht nur den Autofahrern gehört. Sie wollen zeigen, dass Prag für Fahrradfahrer ein unangenehmes und gefährliches Pflaster ist. Es ist nötig ist, die Politik zu ändern, damit man das Fahrrad nicht nur als Mittel zur Erholung sieht, aufs Autodach montiert und dann aufs Land fährt. Auch das ist gut. Aber das Fahrrad soll ein vollwertiges Verkehrsmittel werden. Und das fehlt hier. Wenn Sie das vergleichen mit Wien oder München, da sehen Sie auf den Parkplätzen hunderte, manchmal tausende von Fahrrädern. Warum sollte das nicht auch in Prag so sein? Jede Cyklojizda zeigt, dass immer mehr Leute genau das wollen und unterstützen. Das ist ein Signal für die Kommunalpolitiker!"
Umweltminister Bursik steigt ab und zu auch auf das Fahrrad, um morgens zur Arbeit zu fahren. Das machen nur magere 1,2 Prozent der Prager. Das hat eine bisher einmalige Untersuchung festgestellt, die das "Zentrum für Verkehrsanalyse" kürzlich für die Tageszeitung Lidove Noviny durchgeführt hat. Der durchschnittliche Tscheche krebst mit 193 Kilometern pro Jahr im Sattel im unteren Drittel der EU herum. Zum Vergleich: Jeder Däne fährt im Schnitt fast 1000 Fahrradkilometer pro Jahr, jeder Holländer 900 und jeder Deutsche rund 300 Kilometer pro Kopf. Das tschechische Problem: Von den fast 200 Kilometern, die ein Tscheche pro Jahr fährt, machen nur 43 Kilometer den Weg zur Arbeit aus. In Tschechien ist das Fahrrad kein Verkehrsmittel, sondern ein Sportgerät. Fährt jemand mit dem Fahrrad zur Arbeit, dann kann er sich wohl kein Auto leisten, so der Kurzschluss im Kopf vieler Tschechen. Arm ist, wer nur zwei Räder hat. Es müssen also nicht nur mehr Fahrradwege her, sondern die Menschen müssen umdenken. Auch die Autofahrer, die sich erst noch an die zweirädrigen Nebenbuhler auf den Straßen gewöhnen müssen. Das zu erreichen ist das Ziel der großen Fahrraddemo "Cyklojizda". Ich habe mich mit dem Fahrradlenker in der Linken und dem Mikrofon in der Rechten eingereiht:
Die Parade mit buntgeschmückten Fahrrädern, Pflanzen und ganzen Stereoanlagen auf den Gepäckträgern rollt vom Wenzelsplatz wieder auf die Stadtautobahn, die so genannte Magistrale, wo die Autos in der Warteschlange stehen. Die Fahrer starren mürrisch auf die Straße, aber manche winken den Radlern auch grüßend zu. Auf den letzten hundert Metern Stadtautobahn habe ich es geschafft, mit dem Umweltminister gleichzuziehen:
"Herr Minister, wie fühlt sich das an auf der Stadtautobahn - auf dem Fahrrad?""Wunderbar! Das ist immer so, dass die Magistrale plötzlich zu einem riesigen, x-Meter breiten Fahrradweg wird. Jeder freut sich hier. Und wenn Sie sich mal die Autofahrer anschauen - die sind nicht aggressiv, sondern nehmen das einfach hin. Die Autofahrer merken, dass das Fahrrad in die Stadt gehört. Jetzt geht es noch darum, dass sich die Politiker dessen bewusst werden und mehr dafür tun."
15 Minuten später rollt der Fahrrad-Konvoi auf dem Messegelände "Vystaviste" auf der anderen Seite der Moldau ein. Hier hat in Windeseile Peta Beyeru seinen kleinen Stand mit Info-Material, T-Shirts von der "Cyklojizda" und anderen Fahrrad-Devotionalien aufgebaut:
Ich sehe, dass du hier einen ganzen Stand aufgebaut hast. Hast du den auf dem Fahrrad mitgeschleppt?
"Ich nicht, aber ein Kollege hat es mitgenommen. Das war kein Problem."
Hast du schon Informationen darüber, wie viele Leute heute an der "Cyklojizda" teilgenommen haben?
"Eine nicht genaue Information habe ich schon: Es könnten etwa 600 Teilnehmer gewesen sein."
War das heute die größte Aktion?
"Nein, die größte fand im September letzten Jahres statt. Dort waren 1300 Menschen."
Wie geht es weiter mit dieser Fahrrad-Aktion?
"Diese Aktion findet jeden Monat statt. Mehr Werbung wird dafür aber im Frühling und im Herbst gemacht. Sonst findet es jeden dritten Donnerstag statt, gestartet wird die Fahrt auf dem Platz Jiriho z Podebrad / Georg von Podiebrad-Platz. Aber es wird nicht so viel Werbung gemacht. Es nehmen daran etwa fünfzig Leute teil."
Wie reagieren gewöhnlich die Autofahrer darauf?
"Sie sind nicht gerade begeistert, weil wir sie blockieren. Aber wir sagen: Wir sind auch Verkehrsteilnehmer und haben auch das Recht auf die Straßen."
Wie fühlt sich das an auf der Magistrale, der Stadtautobahn, mit dem Fahrrad?
"Ja, das ist ein tolles Gefühl, man ist der König der Straßen - aber mit dem Fahrrad! Wir haben das Recht dazu, also warum sollten wir das nicht nutzen!"
Es ist Abend geworden. Die große Prager Fahrradtour gleitet hinüber in eine entspannte Party mit Live-Musik. Die Band trägt Fahrradhelme und an ihren Gitarren blinken im Takt Rücklichter. Unten im Publikum plant man beim Bier bereits die Tour für den Herbst. Das wars von der Prager "Cyklojizda" im Frühling 2007.