Arthauskinobetreiber Jörg Jacob: „Kino ist weiße Magie“
Das „Europa Cinemas Label“ wird seit 2003 bei fünf europäischen Festivals verliehen, und zwar von einer Jury aus Kinobetreibern des Netzwerks Europa Cinemas. Unter den drei Jury-Mitgliedern beim 57. Internationalen Filmfestival in Karlsbad war auch Jörg Jacob aus Deutschland.
Herr Jacob, Ihre Jury vergibt das „Europa Cinema Label“. Was ist das für einen Preis?
„Das ‚Europa Cinemas Label‘ ist dafür da, um Kinobetreiber in ganz Europa zu animieren, den Film, den wir auszeichnen, zu spielen. Das heißt natürlich auch, dass der Film nicht nur künstlerisch anspruchsvoll sein sollte. Er muss auch die Aussicht haben, eine Menge Publikum ins Kino zu holen. Und das ist auch die Aufgabe des Netzwerks ‚Europa Cinemas‘, die Kinos zu unterstützen. Unser Projekt wird dabei auch von der EU finanziert, indem sie möglichst viele europäische Produktionen in die hiesigen Kinos bringt.“
Unterstützung für europäische Filme
Konzentrieren Sie sich auf die Filme im Hauptwettbewerb? Oder standen noch weitere Titel zur Auswahl?
„Der Sieger wurde aus dem Hauptwettbewerb und dem Proxima-Wettbewerb ausgewählt. Insgesamt kamen also 13 Filme in Frage.“
Gibt es in diesen Sektionen viele Filme mit europäischer Beteiligung?
„Ja, ich würde schon sagen, dass dieses Festival das Hauptaugenmerk auf europäische Produktionen legt. Und es gibt hier zudem den Fokus auf den osteuropäischen Film. Das ist, glaube ich, auch der Grund, warum Karlovy Vary eines der fünf ‚Europa-Label-Festivals‘ ist.“
Welche sind die anderen vier Festivals, bei denen das „Europa Cinemas Label“ vergeben wird?
„Das sind Locarno, Cannes, Venedig und die Berlinale.“
Haben Sie schon einmal am Festival in Karlsbad teilgenommen?
„Ja, ich war vor sieben Jahren schon einmal da. Damals haben wir komischerweise den deutschen Film ausgezeichnet. Wir waren uns aber wirklich alle komplett einig, ich habe die Entscheidung nicht beeinflusst. Der Siegerfilm war ‚Original Bliss‘ von Sven Taddicken.“
Was ist für das Festival in Karlsbad neben dem Fokus auf Osteuropa sonst noch prägend? Wie würden Sie es charakterisieren?
„Was ich am allerbesten hier am Festival finde, ist das Publikum. Wir saßen hier mit einem weiteren Jury-Mitglied im Kino, es war total voll. Gezeigt wurde eine amerikanische Produktion. Der Film selbst hat uns total angestrengt und war auch ziemlich abgefahren. Wir haben uns gewundert, dass kaum jemand rausgegangen ist, was bei anderen Festivals ziemlich normal ist. Eigentlich zeigt das, dass das tschechische Publikum ein filmkundiges Publikum ist. Die Menschen hier sprechen die Filmsprache, sie muten sich auch etwas zu. Ja, so sollte es in Deutschland auch sein, aber so ist es nicht.“
Das tschechische Publikum spricht die Filmsprache
Für das Programm wurden in diesem Jahr mehr als 2000 Streifen eingereicht, das sind etwa 400 mehr als im Vorjahr. Der Dramaturg des Festivals führt das darauf zurück, dass viele Filmemacher nach der Corona-Zeit ihre Filme fertig gestellt haben. Sehen Sie das ähnlich, oder wie würden Sie die Situation im europäischen Film bewerten?
„Das ist eine schwere Frage. Es mag wohl so sein, dass es durch Corona bedingt ist, dass jetzt alles auf den Markt gespült wird. Das heißt aber vor allem auch, das Geld ist da, um die Filme zu produzieren, was aber nicht unbedingt bedeutet, dass am Ende immer etwas Gutes herauskommt. Ja, es erscheinen auch gute Sachen, und wir suchen diese guten Titel. Ich finde aber, es müsste mehr in darauf geachtet werden, wo das vorhandene Geld hinfließt.“
Sie betreiben ein Programmkino in Kaiserslauten. Was bieten Sie dort an?
„Eigentlich das Standardprogramm eines Arthauskinos. Allerdings kuratieren wir wirklich alles selbst und zeigen nur Sachen, hinter denen wir auch stehen und die wir vorher gesehen haben. Deswegen ist es auch so notwendig, auf Filmfestivals zu gehen. Mittlerweile gibt es die Möglichkeit, die Filme im Büro online zu screenen. Aber dort bin ich abgelenkt und schaue die Filme nicht mit ganzem Herzen.“
Wie geht es dem Kino in dieser Zeit? Die Corona-Pandemie bedeutete eine schlimme Periode für die Kinos und generell die gesamte Kulturlandschaft. Hat sich die Lage gebessert?
„Das kommt auf das Kino drauf. Im Arthaussektor läuft es nicht so gut und auch im Mainstreamsektor hat sich das alles noch nicht wieder gefangen. Wir befürchten, dass die alten Zahlen, die wir einst hatten und die auch schon damals nicht wirklich prächtig waren, nicht mehr zurückkommen werden. Ich habe schon seit langem die abwegige Idee, dass das Kino auf irgendeine Art und Weise von der UN als Kulturtechnik unter Schutz gestellt werden sollte. Denn langfristig habe ich wirklich Angst um diese Präsentationsform. Auf Filmfestivals verwischt das, weil das ein richtiger Event ist. Der Jahrmarkt hier draußen um das Hotel Thermal, das ist richtig schön. Aber wenn man die Alltagsarbeit im Kino sieht, schnürt es einem manchmal die Luft ab.“
Kinos sollten als Kulturtechnik von der UN unter Schutz gestellt werden
Sehen Sie selbst Wege, wie man die Zukunft des Kinos sicherstellen kann?
„Ich sage schon seit ein paar Jahren immer wieder, dass ich das Serienformat ins Kino holen würde. Allerdings auch irgendwie exklusiv, zumindest für ein paar Wochen. Hinterher könnte man mit den Episoden machen, was man will. Und es ist ganz wichtig, in allen Unterrichtsformen, Kino als wichtiges Kulturgut zu präsentieren und vor allem die Jüngsten anzusprechen. Je jünger man die kriegt, desto treuer wird das Publikum sein.“
Was sehen Sie als die größten Konkurrenten und Gefahren für das Kino. Sind das die aktuell so populären Streaming-Plattformen?
„Sie sind eine Herausforderung. Aber ich bin wirklich dagegen, sie als Gegner zu sehen. Ich würde viel lieber mit ihnen zusammenarbeiten, das wäre viel besser.“
Sie haben am Anfang gesagt, dass das Festival in Karlsbad durch seinen Fokus auf den osteuropäischen Film interessant ist. Ist dies nach Ihrer Meinung ein geographischer Begriff, oder gibt es wirklich ein Phänomen ‚osteuropäischer Film‘?
„Ich bin aus Deutschland und meine Jury-Kolleginnen kommen aus den Niederlanden und aus Schweden, also aus dem ehemaligen Westen. Ich finde, es gibt immer noch eine gläserne Wand zwischen beiden Regionen, nach wie vor. Dieser osteuropäische Film, der manchmal wirklich bedeutende Sachen hervorbringt, ist völlig unterbewertet. Ich glaube, dass es ein ziemliches Missverhältnis ist. Der Fluss von einer Richtung in die andere, ist ganz anders als andersherum.“
Dann können Sie in Ihrem Kino hoffentlich dazu beitragen, dass die Richtung auch umgekehrt ist…
„Das mache ich wirklich gerne, weil Filmsprache ist Weltsprache.“
Auf dem 57. Internationalen Filmfestival in Karlsbad wurde der Streifen „Hypnosen“ des schwedischen Regisseurs Ernst De Geer damit ausgezeichnet.