Auf den Spuren der Geschichte - ein tschechisch-deutsches Projekt in Boskovice

Le cimetière juif de Trebic

Jitka Mladkova hat kürzlich die südmährische Stadt Boskovice besucht und dort viel Interessantes erfahren. Worum es geht, können Sie gleich in der nun nachfolgenden Sendereihe Begegnungen erfahren:

Boskovice
Wer nach Boskovice kommt, der kommt nicht um sie herum, geht es doch um einen festen Bestandteil dieser Stand mit 11 000 Einwohnern: Gemeint ist die ehemalige Judenstadt, die - wie historischen Quellen zu entnehmen ist - bereits im 16.Jahrhundert eine voll entwickelte Gemeinde darstellte. Im Jahr 1589 zählte sie, wie historische Dokumente belegen, 189 Mitglieder und 25 Stammhäuser. Ihren Höhepunkt erreichte die Judengemeinde in Boskovice - eine der größten in Mähren - in der 2.Hälfte des 19.

Jahrhunderts, nachdem das etwa 130 Jahre zuvor gegründete Ghetto seine Unabhängigkeit erlangt hatte. Das neuzeitliche Schicksal der Boskovicer Juden unterschied sich allerdings nicht von dem, das der überwältigenden Mehrheit der Juden in ganz Europa mit dem Beginn des 2.Weltkrieges beschieden war. Bis auf wenige Ausnahmen haben sie den Holocaust nicht überlebt. Rund 400 Juden wurden am 15. März 1942 von hier in verschiedene KZs deportiert. Nach dem Krieg waren ihre kleinen Häuser verlassen, erst später wurden sie von neuen Bewohnern bezogen. Bis heute sind in Boskovice 79 dieser Häuser erhalten geblieben, 20 von ihnen stehen unter Denkmalschutz. Am Stadtrand liegt der alte Judenfriedhof, die Ruhestätte vieler angesehener Rabbiner, der drittgrößte Friedhof seiner Art in Tschechien. Vor zwei Jahren entstand in Boskovice ein interessantes Projekt:

Judenstadt in Boskovice
Dreißig Schüler des Boskovicer Gymnasiums und fünfundzwanzig Schüler des Partnergymnasiums im deutschen Bitterfeld haben beschlossen, sich gemeinsam auf die Spuren der jüdischen Stadtbewohner zu machen. Über diese Schulpartnerschaft und das Projekt erzählte mir Frau Svetlana Trefna, Deutschlehrerin am Boskovicer Gymnasium:

"Die Freundschaft beider Gymnasien funktioniert seit bereits zehn Jahren. In dieser Zeit waren unsere Schüler mehrmals in Deutschland, im Bundesland Sachsen-Anhalt, und deutsche Schüler wiederum bei uns in Boskovice. In den Jahren 2001 - 2002 haben wir gemeinsam an einem Projekt zusammengearbeitet. In seinem Rahmen haben wir alle Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof in Boskovice dokumentiert. Wir haben die Grabsteine auch fotografiert und gleichzeitig auch alle Grabinschriften übersetzt - as dem Deutschen und Hebräischen ins Tschechische."

Die Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof drohten zu verwittern. Da sich seit langem niemand der Sache angenommen hatte, bestand die Gefahr, dass der Zahn der Zeit schon bald die hebräischen Grabinschriften für immer auslöschen würde. So entstand das Projekt, das sich nicht nur den Erhalt dieser Grabinschriften, sondern auch deren Veröffentlichung im Internet zum Ziel setzte, um den noch lebenden Juden aus Boskovice und deren Angehörigen in aller Welt zu ermöglichen, Informationen über die Grabstätten ihrer Familienmitglieder zu erhalten. Die tschechischen und die deutschen Schüler haben sich gemeinsam ans Werk gemacht, in Zusammenarbeit mit dem örtlichen Heimatmuseum. Die tschechischen Jugendlichen belegten bereits im Vorfeld einen Intensivkurs in hebräischer Sprache. Von ihren Kenntnissen profitierten später auch die deutschen Schüler. Gemeinsam erhielt die ganze Gruppe einen Schnellkurs in hebräischer Schrift. Der tschechische Jude und Ideengeber des Projektes, Ahab Haidler, führte die Schüler auch in den jüdischen Kalender und die Geschichte der tschechischen Juden ein. Diese Kenntnisse waren beim Abschreiben der Grabinschriften sehr hilfreich. Das Projekt wurde auch durch die Robert-Bosch-Stiftung unterstützt und das entstandene Dokument wurde dann in Berlin vorgestellt. Svetlana Trefna sagt dazu:

"In Berlin waren drei von unseren Schülern, ich persönlich war auch dabei. Wir waren dort mit weiteren zehn Schulen aus Osteuropa und Deutschland. Wir haben das Prjekt vorgestellt und es war ein großer Erfolg für uns."

Synagoge in Boskovice
Unter den drei Arbeiten, die am besten bewertet wurden, befand sich auch jene aus Boskovice. Svetlana Trefna erzählt, wie die tschechisch - deutsche Projektgruppe diese Arbeit erlebte:

"Also für die Schüler war das ganz bestimmt etwas Anderes als der normale Schulunterricht. Sie waren sehr darüber überrascht, was sie erfahren haben, bzw. was sie auf dem Friedhof gesehen und gefunden haben. Besonders die deutschen Schüler waren überrascht, muss ich sagen. Für sie etwas Neues, Interessantes. Alle haben sehr tüchtig gearbeitet. Einige von ihnen studieren mittlerweile schon an einer Hochschule, kommen uns besuchen und informieren sich, welche Projekte wir gerade haben."

Die Zusammenarbeit im Rahmen des Projekts stellt nur einen Teil der Kontakte zwischen den Gymnasien in Boskovice und Bitterfeld dar. Die tschechische Deutschlehrerin Trefna kann dies bestätigen:

"Es geht um Schüleraustausch. Wir fahren fast jedes Jahr nach Deutschland und die Deutschen wieder zu uns. Wir wohnen in Gastfamilien, besuchen den Unterricht in der Schule. Die Schüler können das Schulsystem in beiden Ländern vergleichen, wir haben auch Zeit, die Stadt und ihre Umgebung kennen zu lernen. Wir fahren z,B. jedes Mal nach Leipzig, nach Berlin oder nach Dresden. Wenn unsere deutschen Partner kommen, werden sie ebenfalls in Gastfamilien untergebracht."

Mit welchen Eindrücken kommen die einen und die anderen von dem Schülerautausch? Gibt es vielleicht auch negative Erlebnisse? Svetlana Trefna:

Synagoge in Boskovice
" Von negativen Erlebnissen weiß ich wirklich nichts. Der Aufenthalt in Deutschland dauert immer eine Woche. Manchmal sagen unsere Schüler, dass die Ausstattung der deutschen Partnerschule besser ist. Ich glaube, dass unsere deutschen Gäste vor allem die schöne Umgebung von Boskovice bewundern. Wir zeigen ihnen z.B. den Mährischen Karst. Meiner Meinung nach ist das Leben der tschechischen und der deutschen Jugendlichen derzeit sehr ähnlich. Ich sehe keine wesentlichen Unterschiede."

Abschließend noch eine simple Frage an die Koordinatorin der tschechisch-deutschen Schulpartnerschaft Boskovice-Bitterfeld: Worin sieht sie die Bedeutung dieser Begegnungen?

"Wenn sich die Leute treffen und miteinander austauschen können. Ich freue mich jedes Mal darüber, dass wir - jetzt kann ich das schon so sagen - unsere deutschen Freunde besuchen können. Auch jetzt freuen wir uns auf ein Wiedersehen."

Das tschechisch-deutsche Projekt "Auf den Spuren der Boskovicer Juden" gehört mittlerweile der Vergangenheit an, und so werden in Boskovice und Bitterfeld bereits Pläne für eine neue Zusammenarbeit geschmiedet. Das könnte aber Thema einer anderen Sendung sein.