Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Tschechien
In allen früheren kommunistischen Ländern gehörten die dortigen Geheimdienste zu den Stützen des Regimes. Sie schirmten die Machthaber vor allem gegen den s.g. inneren Feind, das heißt die Opposition ab. Sie bespitzelten Regimekritiker, unternahmen gezielte Provokationen und über all das legten sie haufenweise Akten an. Wie es nun in Tschechien um die Aufklärung dieser Aktivitäten bestellt und was ist mit den Akten des tschechischen Staatssichertsdienstes StB geschehen ist, das erfahren sie nun von Robert Schuster in einer weiteren Folge unserer Sendereihe Schauplatz.
Eine Meldung haben die Medien hierzulande in der vergangenen Wochen eher als Randnotiz vernommen: Der tschechische Justizminister hat als oberste Berufungsinstanz entschieden, daß sich der frühere langjährige kommunistische Ministerpräsident Lubomír Strougal erneut wegen Amtsmißbrauch vor Gericht verantworten muß. Strougal wird vorgeworfen, daß er 1965 als Innenminister die Ermittlungen in einem Mordfall vereitelte, den Mitglieder einer Einheit der damaligen kommunistischen Geheimpolizei StB an einem Regimekritiker verübt hatten. Würde es zu einer Verurteilung des heute 77-jährigen früheren Spitzenpolitikers kommen, wäre er einer der wenigen, die sich nach der politischen Wende des Jahres 1989 für ihre Taten auch wirklich verantworten mußten. Nicht daß es in den vergangenen 12 Jahren an Versuchen gemangelt hätte führende Köpfe des unterdrückerischen Regimes vor Gericht zu stellen. Das Problem lag jedoch wo anders. Erstens mußten ihre Taten nach damaligen Recht beurteilt werden und zweitens konnten viele der früheren Funktionäre auf ihr fortgeschrittenes Alter, bzw. die Unfähigkeit verweisen an einem längeren Gerichtsverfahren teilzunehmen. Den Opfern kommunistischer Willkür, blieb also oft nichts anderes übrig, als diesen Umstand zähneknirschend zur Kenntnis zu nehmen.
Auch bei den Akten der kommunistischen Staatspolizei schien es in Tschechien lange Zeit so, daß diese wichtigen Dokumente ein für aller mal versiegelt und der breiten Öffentlichkeit unzugänglich bleiben. Vor vier Jahren wurde jedoch vom Parlament eine Teilveröffentlichung dieser Dokumente beschlossen. Seither haben die Opfer kommunistischer Bespitzelung die Möglichkeit in ihre Akten einzusehen. Als Vorbild galt dabei den tschechischen Parlamentariern jene Regelung, die nach 1989 im wiedervereinigten Deutschland eingeführt wurde. Dort wurde mit der "Bundesbehörde für die Unterlagen der Staatssicherheitsdienstes der DDR" eine Institution geschaffen mit der Aufgabe die Dokumente zu verwalten und zu veröffentlichen. Erster Leiter dieser Behörde war der frühere ostdeutschen Bürgerrechtler und evangelischen Pastor Joachim Gauck. Gauck weilte Anfang dieser Woche für kurze Zeit in Prag, wo er zusammen mit anderen Persönlichkeiten auf Einladung von Präsident Vaclav Havel an den Tagungen des Forum 2000 teilnahm. Im Gespräch mit Radio Prag erinnerte sich Joachim Gauck an die Zeit unmittelbar nach der Wende in der früheren DDR. Unsere erste Frage lautete deshalb, ob es ähnlich wie in der Tschechoslowakei damals eine Diskussion über das Veröffentlichen oder Nichtveröffentölichen der Stasi-Akten gab:
"Es war eigentlich von vornherein eine klare Sache, daß es bei uns dazu kommen würde und zwar weil wir in Deutschland andere Vorausetzungen hatten, als sie hier in Tschechien. Während unserer revolutionären Phase im Herbst und Winter 1990 hatten wir die Stasi-Offices besetzt, d.h. Bürgerkomitees gelangten in die Stasigebäude und haben zweierlei bewirkt: Erstens, daß die Akten nicht vernichtet wurden; zweitens, daß die Arbeit der Stasi aufhörte und auch nicht unter einem anderen Firmenschild weiterging. Modrow, der Übergangspremier von der SED, wollte ja die Stasi umwandeln in ein Amt der nationalen Sicherheit oder Verfassungsschutz und am runden Tisch haben die Bürgerrechtler gesagt nein - mit diesen Leuten kein Geheimdienst. Also das sind schon zwei Unterschiede zu anderen postkommunistischen Ländern."
In Tschechien ist jedoch die Entwicklung in eine andere Richtung gegangen. Zwar wurde die allgegenwärtige politische Polizei StB formell aufgelöst und viele Offiziere wurden mit hohen Abfindungen und unabhängig vom Alter in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Einige wichtige Führungskräfte wurden jedoch vom neuen demokratischen Geheimdienst übernommen oder beteiligten sich sogar an dem Aufbau seiner Strukturen. Auch bei den Akten und Unterlagen der früheren StB gab es beträchtliche Unterschiede zu Deutschland. Vor allem wurden in Tschechien in den revolutionären Tagen des Herbstes 1989 die Dienststellen des Staatssichertsdienstes nicht auf eine ähnliche Weise besetzt, wie in Ostdeutschland. So konnten nicht alle Akten gesichert werden und es ist anzunehmen, daß zwischen November 1989 und Januar 1990 wichtige Unterlagen verschwunden sind oder einfach vernichtet wurden. Das was dann von den Unrterlagen übrigblieb, wurde weiterhin vom Innenministerium und nicht von einer Sonderstelle, vergleichbar mit der Gauck-Behörde, verwaltet. Was sind die Vorrausetzungen dafür, daß eine postkommunistische Gesellschaft die Öffnung der Archive ihrer politischen Polizei verkraftet?, fragten wir Joachim Gauck:
"Die Zivilgesellschaft muß soweit existieren, daß sie einen kontroversen Diskurs für normal hält. Sie muß eine Auseinandersetzung über Schuld und Verantwortung nicht als Bedrohung sehen, sondern muß es normal finden, daß die Unterdrückten mit ihren Unterdrückern auch reden, ein wenig kämpfen, vor Gericht gehen. Sehr hilfreich ist, wenn die Rechtsordnung die gilt auch durchgesetzt wird. Man muß also Strukturen haben, wo sich der Staat und der Bürger darauf verlassen können, daß mit diesem Recht nicht Schindluder getrieben wird."
"Wir haben, und das ist unser Vorteil, auch teilgehabt an einem schon erprobten Rechtsstaat. Den mußten die anderen Länder erst mühsam erfinden und entwickeln und wir haben ihm vom Westen übernommen, d.h. das Verwaltungsrecht, Verfassungsrecht auch die Instanzen, um Berufung einlegen zu können."
Bevor auch in Tschechien die StB-Archive, bzw. das was davon übriggeblieben ist, geöffnet wurden, gab es vor allem zu Beginn sehr hitzige Debatten. Selbst viele frühere Menschenrechtler warnten vor den unabsehbaren Folgen und einer möglichen Spaltung der Gesellschaft. Mit der Zeit hat sich jedoch diese Auseinandersetzung relativ versachlicht, was wahrscheinlich auch der Grund dafür war, daß die Opfer von einst spät aber doch noch Einsicht in die über sie geführten Akten nehmen konnten. Auch Joachim Gauck unterstreicht gegenüber Radio Prag, wie wichtig nicht nur für die Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit, sondern auch für den Zusammenhalt der Gesellschaft es ist die Archive der früheren Machthaber zu öffnen:
"Wenn wir nicht offen über diese Dinge sprechen könnten, würden wir den Monopolbesitz über das Wissen von Mitmenschen bei den Tätern von Einst belassen. Das kann nicht gut sein für ein friedliches Miteinander. Dann sind die, die früher alle Macht hatte heute zwar nicht mehr im Besitz aller Macht, aber im Besitz alten Herrschaftswissens. Und es gibt keinen vernünftigen Grund, warum man einem ehemaligen Opfer das Wissen vorenthält, dass sein Unterdrücker hat."
"Wir erleben immer wieder, daß dort, wo die Wahrheit gesprochen wird, der Weg zu Versöhnung auch kürzer ist. Die Opfer von einst werden böse, wenn diese Aktionen verschleiert werden, beim Verrat umgedeutet wird - etwa mit den Worten ´ich wollte dir ja nur helfen, oder wenn ich es nicht gemacht hätte, hätte Müller oder Maier es noch viel schlimmer gemacht´. Also wenn so etwas kommt, dann ist das kein Angebot zur Versöhnung. Es ist schon besser die Wahrheit zu sagen und daß man so etwas nicht mehr tun würde. Und da, wo so etwas geschehen ist, sind die Opfer eigentlich erstaunlich großzügig und großmütig auch mit ihrer Vergebung."
Manchmal fällt es aber vielen Opfern der kommunistischen Willkür besonders schwer zu vergeben. Das ist häufig dann der Fall, wenn sie das Gefühl haben, daß die Täter von einst heute in ihrer unmittelbaren Umgebung wieder als integere Menschen gelten. Vielen geht es dann so, wie dem bekannten tschechischen Bürgerrechtler John Bok. Der hat vor kurzem im Gespräch mit einer tschechischen Tageszeitung eine interessante Begebenheit geschildert. Er soll nämlich vor einiger Zeit zufällig auf der Straße jenen Mann getroffen haben, der ihn als Stasi-Offizier seinerzeit verhörte. Ganz offen und stolz soll sich dieser dem früheren Dissidenten gegenüber gebrüstet haben, daß er eine florierende Firma betreibe. Nach einer kurzen Denkpause soll er dann den völlig überraschten Bok unverblümt gefragt haben, ob er in seinem Unternehmen nicht arbeiten wolle? Gibt es auch in Deutschland Fälle, daß frühere Offiziere des kommunistischen Geheimdienstes heute erfolgreiche Unternehmer sind un von ihrer Umgebung weitgehend akzeptiert werden?, fragten wir abschliessend den früheren Bundesbeuaftragten für die Stasi-Akten Joachim Gauck:
"Ja, das gibt es auch und es gibt auch gute Gründe dafür. Einmal hatten die Stasi-Leute gute Startchancen in dem sie ein Teil des Geldes, das die Kommunisten dem Volk genommen haben, auf diese Weise privatisert haben. Das Geld ist heute weg. Aber ist auch etwas anderes: Sie gehörten früher zu einer Funktionärselite, das war eine Art sozialistischer Adel. Diese Leute haben zu herrschen und ihre Ellenbogen einzzusetzen gelernt. Die freie Gesellschaft erfordert von jedem, daß er Selbstbewußtsein hat, aber wenn du nur immer ängstlich gekuckt hast, was kann ich mir erlauben, dann hast oft dieses Selbstbewußtsein, dieses Durchsetzungsvermögen nicht, die haben es aber und daher sind die so erfolgreich im Wirtschaftsleben."