Augenfasten in Speinshart: Patrik Hábl verhüllt Barock in der Klosterkirche

Foto: Archiv von Patrik Hábl

40 Tage lang dauert die christliche Fastenzeit vor Ostern bekanntermaßen. In Speinshart in der Oberpfalz üben sich die Kirchgänger in diesem Jahr in einer ungewöhnlichen Art des Verzichts: Der tschechische Künstler Patrik Hábl hat einen Seitenaltar der barocken Klosterkirche verhüllt, und ab Karsamstag – also mit Beginn der Osterzeit – wird auch der Hochaltar zu großen Teilen hinter einer monumentalen Leinwand verschwinden. Der visuelle Einschnitt will zeitgenössische Kunst und Barock zusammenbringen, und das in einer kleinen Landgemeinde.

Patrik Hábl  (Mitte). Foto: Archiv von Patrik Hábl
Neue Klänge und vor allem neue Ansichten bieten sich den Besuchern des Klosters Speinshart zu Ostern: Ab Karsamstag ist vom Hochaltar mit dem Gemälde der Immaculata nur noch ein schmaler Streifen zu erkennen, dazu erklingt in der Osternacht die „Missa abstracta“ von Michal Rataj. Im Zentrum aber steht die Installation von Patrik Hábl – sie trägt den Namen „Screen Tearing“ oder aber „Zerrissene Leinwand“.

„Ich denke, durch neue Kunst kann der Mensch auch alte Kunst kennenlernen – und umgekehrt. Oft haben die Besucher einer Kirche das Gefühl, dass sie die barocken Gemälde sehr gut kennen, dass sie nichts mehr überraschen kann.“

Stiftskirche der Abtei Speinshart  (Foto: Archiv von Patrik Hábl)
Das sagt Patrik Hábl. Der 40-jährige Künstler ist in die Oberpfalz gekommen und in einen Dialog getreten mit einem Meisterwerk des Hochbarock: der Stiftskirche der Abtei Speinshart. Erbaut nach Plänen von Wolfgang und Georg Dientzenhofer wurde sie Anfang des 18. Jahrhunderts prachtvoll ausgestattet und stuckatiert von den Gebrüdern Lucchese. Für Patrik Hábl war es nicht die erste Annäherung an sakrale Kunst. Vor drei Jahren hat er zum Beispiel den Innenraum von St. Salvator in Prag neu gestaltetet.

„40 Tage lang habe ich in dieser Fastenintervention 15 barocke Altargemälde verhüllt, mein bis dahin umfassendster Zugang zu einem sakralen Raum. Viele haben damals gesagt, die Intervention sei sehr radikal gewesen. Für mich war sie eher unauffällig, denn es war nicht auf den ersten Blick erkennbar, dass die ursprünglichen, barocken Bilder fehlen und durch abstrakte Bilder ersetzt wurden. Auf diese Weise ist die Zusammenarbeit mit Speinshart entstanden.“

Eine internationale Begegnungsstätte bringt seit einigen Jahren Kunst und Kultur in die Abtei Speinshart, der Kontakt zu Patrik Hábl kam über das Tschechische Zentrum München zustande. Das Projekt mit dem Tschechen ist bisher das größte für die Begegnungsstätte Speinshart.

Keine Gefahr für Stuck und Engel

Thomas Englberger  (Foto: Archiv der Stift Speinshart)
„Es ist von einer anderen Dimension – allein aufgrund der Ausmaße, der Herausforderung, dass wir so ein modernes Kunstwerk in eine barocke Kirche einbauen müssen, die ihre eigene Logik hat. Die Herausforderung bei der Probehängung war: Wie schaffen wir es, keine Stuckverzierungen und Engel herunterzuhauen?“

Thomas Englberger ist der Referent der Begegnungsstätte. Die Kirche hat dem Probedurchlauf mit Bravour standgehalten, und auch die Statiker des frisch renovierten Gebäudes haben ihr OK gegeben:

„Das war die allererste Sache: den Statiker fragen, der auch die Kirchenrenovierung betreut hat. Der hat aber nur geschmunzelt und gesagt: Ach, 100 oder 150 Kilo, da fragt man den Statiker noch gar nicht, bei uns geht es um Tonnen. 150 Kilo verträgt diese Kirche ohne weiteres.“

Am Karsamstag wird die „Zerrissene Leinwand“ erneut installiert und verdeckt dann bis Pfingsten den Hochaltar. Patrik Hábl bleibt in seiner Arbeit für Speinshart eng an der österlichen Liturgie:

Seitenaltar in der Nepomukkapelle  (Foto: Archiv von Patrik Hábl)
„Damit erfüllt sich vielleicht etwas, was die Prämonstratenserbrüder in diesem Moment fühlen. Wie es im Evangelium von Marcus, Lucas und Matthias heißt: Es wurde dunkel, der Himmel riss auf und die Erde erbebte. Auch wenn ich nicht direkt diese Begebenheit illustriere, so zeigt sie vielleicht etwas, was man im Kopf hat – auch für die Besucher, die am Sonntag in die Messe kommen und etwas sehen, was für diese Kirche nicht üblich ist.“

Bereits seit Aschermittwoch verhüllt ist der Seitenaltar in der Nepomukkapelle. Ins Zentrum des Kirchenraums kommt Patrik Hábls Kunst dann in der Osternacht, sagt Thomas Englberger:

„Dem Tuch in der Seitenkapelle, das an das Turiner Grabtuch erinnert, kann man ausweichen, man muss nicht in die Nepomukkapelle hineingehen. Aber die Verhüllung des Hochaltars von Ostern bis Pfingsten ist für normale Besucher unumgänglich. Man kann ihr nicht ausweichen, außer man macht die Augen zu. Das hat noch einmal eine andere Dringlichkeit. Für uns war es deshalb sehr wichtig, auch die Gemeinde mitzunehmen.“

Freiwillige Feuerwehr hilft bei der Installation

Foto: Archiv von Patrik Hábl
Die Stiftskirche mag ein Kunstschatz sein, in erster Linie ist es aber die Pfarrkirche der 1000-Seelen-Gemeinde Speinshart. Die Gläubigen wurden von Anfang an mit einbezogen. Ohne die Helfer von der freiwilligen Feuerwehr wäre das Projekt gar nicht zu stemmen gewesen, sagt Thomas Englberger:

„Interessant waren die ersten Reaktionen, vor allem der Feuerwehrleute, die mitgeholfen haben und es als erstes gesehen haben. Zunächst ist es natürlich ungewohnt. Ich denke, dass man bei den Arbeiten von Patrik Hábl häufig versucht ist, irgendetwas zu erkennen. Dann merkt man, es gibt gar nichts zu erkennen. Wenn man es aber auf sich wirken lässt, entfaltet es eine eigene Schönheit. Das hat auch die Leute bei der Probehängung beeindruckt. Es war eine Mischung aus Stolz, die beiden Tücher angebracht zu haben, und dem Erstaunen darüber, dass dieser Eingriff den Raum zu einem neuen Raum macht.“

Foto: Archiv von Patrik Hábl
Augenfasten, so bezeichnet Thomas Englberger in Anlehnung an einen Kölner Jesuitenpater die Verhüllung von zentralen Bildelementen.

„Wobei dieses Augenfasten durch den Spalt in der Mitte auch nicht ganz eingehalten wird. Denn dieser Spalt ist eigentlich eine Art Lichtführung, eine Blickführung auf die Hauptachse der Kirche. Sie ist auch sonst sichtbar, doch sie wird nicht wahrgenommen, weil sie im ganzen Raum unsichtbar vorhanden ist. Indem man nun einen Spalt von 70 Zentimetern schafft und nur die wichtigen Elemente der Mittelachse des Hochaltars sichtbar lässt – mit Tabernakel, Maria, den Engeln bis oben hin zur Uhr – kann sich der Betrachter bewusst machen, was eigentlich das Zentrum der Kirche ist.“

Patrik Hábl greift mit seiner zerrissenen Leinwand in Gold und Weiß die zentralen Farben der Stiftskirche auf und lässt der Vorstellungskraft ihren Raum:

Stift Speinshart  (Foto: Flopro,  CC BY-SA 3.0)
„Vielleicht sind das gar keine Farben. Denn Gold ist hell, und Weiß ist auf eine gewisse Art die Farbe der Festtage, in der Liturgie kommt sie nur an den großen Feiertagen zum Einsatz. Die Leinwand habe ich auf abstrakte Weise gestaltet, und sie verwandelt sich auf eine gewisse Weise in eine Art Landschaft. Dennoch kann der Besucher dort auch die reine Fläche sehen, einen Wasserfall etwa, er kann seine eigenen Vorstellungen projizieren.“

Die Leerstelle, repräsentiert durch eine abstrakte Leinwand, ist für die heutigen, mit Bildern gesättigten und vielleicht übersättigten Kirchgänger damit genauso Provokation, wie es die barocken Bilderwelten vor 300 Jahren einmal waren.

„Es war ein Ereignis für die Gläubigen, die nicht lesen konnten. Sie konnten mit der Kraft ihrer Gedanken in den Leinwänden etwas erkennen, die einen theatralischen Charakter bekamen. Zum Beispiel im Fastentuch, das voller Symbole und Geschichten ist. Ich denke, für viele Menschen war das ein unglaublicher Schock.“

Kein Werkzeug für barocke Bilder

Für die Begegnungsstätte Speinshart ist es in jedem Fall ein Glücksfall. Gerade die Provokation von außen sei notwendig, damit den Ortsansässigen wieder klar werde, über welchen Schatz sie mit der Klosterkirche verfügen. Patrik Hábls Reduktion auf das Wesentliche – für Thomas Englberger ist es keine Kritik am barocken Bildprogramm der Dientzenhofers und Lucchese, sondern eine Ergänzung:

„Barockkirchen waren in ihrem Bildprogramm sehr ausgefeilt. Das ist eine Denkweise, die wir heutzutage nicht mehr lesen können. Vielleicht hilft es uns, das im Kleinen und exemplarisch wieder wahrzunehmen. Barock – das ist nicht einfach viel Form, viel Ornament, viele Figuren, viele Farben. Sondern es gibt Bezüge, Querverbindungen, Verweise. Ich glaube, unser heutiges Problem ist eher, dass wir uns nicht mehr die Zeit nehmen können, die barocke Bildsprache zu lesen und dass uns in gewisser Weise die Werkzeuge dafür fehlen.“

Patrik Hábls Installation „Screen Tearing“ ist in der Stiftsbasilika Speinshart vom 26. März an zu sehen. Eröffnet wird sie am Karsamstag um 20 Uhr mit einer Aufführung der „Missa Abstracta“ des tschechischen Komponisten und Tonkünstlers Michal Rataj. Am 16. Mai, am Pfingstsonntag gibt es eine Podiumsdiskussion zum Thema „Kunst und Kirche“, mit dabei ist auch Patrik Hábl.

Autor: Annette Kraus
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