Backsteingotik und Beethoven – Schloss Hradec nad Moravicí

Weißes Schloss

Das Nationale Denkmalamt verwaltet in Tschechien über einhundert bedeutende Burgen und Schlösser. Doch nur drei befinden sich im Kreis Mährisch-Schlesien. Eines davon ist das Schloss Hradec nad Moravicí / Grätz in der Nähe von Opava / Troppau. Eine Exkursion in die Geschichte der früheren Adelsresidenz.

Der Ort, an dem sich Hradec nad Moravicí, oder auf Deutsch Grätz, inmitten einer sanft hügeligen Landschaft befindet, kann auf eine lange und wechselhafte Geschichte zurückblicken. Die Region gehörte einst zum historischen Schlesien. Dies änderte sich allerdings infolge der österreichisch-preußischen Kriege. Radomír Přibyla stammt aus Hradec und leitet seit vielen Jahren die Verwaltung des dortigen Schlossareals:

Foto:  Schlossverwaltung Hradec nad Moravicí

„Die älteste schriftliche Erwähnung stammt von 965. Damals stand auf diesem strategisch günstigen Hügel eine Fliehburg. In der Urkunde wird erwähnt, dass die erstgeborene Tochter des böhmischen Fürsten Boleslav I. hier mit dem polnischen Fürst Mieszko I. aus der Herrscherfamilie der Piasten vermählt wurde. Ihr Sohn Boleslaw der Tapfere wurde später der erste König von Polen. Mitte des 13. Jahrhunderts ließ der böhmische König Přemysl Ottokar II. hier eine gotische Burg mit starker Befestigung errichten. Gedacht war der Bau als Sitz für seinen außerehelichen Sohn Nikolaus I. Mit ihm wurde der Nebenzweig der Přemyslidendynastie begründet. Seine Angehörigen verließen später Grätz, um in Troppau als Herzöge zu regieren. Infolgedessen verfiel nach und nach die Burg und verlor zugleich an Bedeutung.“

1481 wurde Grätz zur Stadt erhoben, mit eigenem Wappen und dem Marktrecht. Doch in der Burg wechselten eine Zeitlang nur die Pächter. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts ging das Grätzer Burgareal in den Erbbesitz von Caspar Pruskowsky über. Die Wurzeln seiner schlesischen Familie reichten weit ins 13. Jahrhundert zurück. Die von ihm umgebaute Burganlage erlitt während des Dreißigjährigen Krieges etliche Schäden durch wiederholte Überfälle feindlicher Heere. Unter Caspar Pruskovsky und dessen Nachfahren wurde die Burg gut 30 Jahre lang umgestaltet. Das Ergebnis war ein Renaissanceschloss mit vier Flügeln. Außerdem machte er sich auch um die Entstehung der Peter-Pauls-Kirche unweit des Schlosses verdient. Nach 150 Jahren endete die Herrschaft der Pruskowskys in Grätz mit dem Verkauf des Schlosses. Doch etwa 40 Jahre später wechselte das Anwesen erneut den Besitzer.

Umbau nach schwerem Brand

Foto:  Schlossverwaltung Hradec nad Moravicí

1777 begann mit Johann Gottlieb Carl Lichnowsky ein neues Kapitel in der Geschichte des Grätzer Schlosses. Der neue Besitzer entstammte einer mährisch-schlesischen Adelsfamilie. Lichnowsky bekleidete wichtige Ämter am preußischen Hof und wurde 1773 auch der erste Angehörige der Familie, der den preußischen Herzogtitel erhielt. Das Schloss blieb nachfolgend bis 1945 im Besitz von insgesamt sechs Generationen der Familie. In der zweiten Generation war es Karl Alois Lichnowsky.

„Das Schloss wurde 1796 bei einem Brand schwer beschädigt. Eine gesamte Etage brannte aus. Karl Alois, der damals in Wien lebte, zögerte eine Zeitlang, bevor er sich entschied, nach Grätz zu übersiedeln und das Schloss aus der Asche wiedererstehen zu lassen. Damals geschah das im Empirestil, den das Schloss bis heute behalten hat. Auf dem umliegenden Gelände wurde zudem ein Park im englischen Stil angelegt, der sich auch über die steil abfallenden Hänge der Hügel erstreckt. Mit seinen 30 Hektar Fläche gilt er als einer der größten Schlossparks hierzulande. Karl Alois ließ sich dabei von der Landschaftsgestaltung rund um Schloss Bad Muskau in der Oberlausitz inspirieren. Bekannt wurde der Adlige vor allem als Musikliebhaber und Mäzen von Beethoven. In seinen Memoiren schrieb er, dass Wolfgang Amadeus Mozart seine Kinder in Wien im Klavierspiel unterrichtete. Nach dem Verkauf seiner Wiener Wohnung und dem Umzug nach Grätz nahm Karl Alois Lichnowsky das Klavier mit“, so Radomír Přibyla.

In Wien kam es höchstwahrscheinlich auch zu seinem ersten Kontakt mit Ludwig van Beethoven. Der Komponist wurde zweimal nach Grätz eingeladen. Dort hielt er sich bei seiner ersten Visite im Jahr 1806 fast drei Monate lang auf:

Flügel,  an dem Beethoven mehrere Musikwerke komponierte | Foto:  Schlossverwaltung Hradec nad Moravicí

„Man kaufte speziell für ihn einen Flügel aus der Produktion des berühmten Klavierbauers Érard in Paris, an dem Beethoven mehrere Musikwerke zu komponieren begann. Vermutlich auch seine Klaviersonate f-moll, bekannt unter dem Namen ‚Appassionata‘. Sowohl der Flügel als auch der Tisch, an dem er mit der Notation beschäftigt war, sind in der Ausstellung auf unserem Schloss zu sehen. Bei seinem zweiten Besuch 1811 blieb Beethoven nur zehn Tage lang. Damals soll es zu einem Streit zwischen ihm und dem Gastgeber gekommen sein. Lichnowsky bat Beethoven, für Napoleons Soldaten, die damals Grätz besetzten, ein Konzert zu geben. Der Komponist lehnte dies jedoch ab und verließ hastig und höchst erbost das Schloss.“

1814 übernahm Eduard Maria Lichnowsky das Erbe seines verstorbenen Vaters. Er hatte fünf Kinder, davon vier Söhne. Auf seinem Familiengut im nahegelegenen Chuchelná / Kuchelna züchtete er Schafe. Dabei setzte er modernere Methoden ein, sodass die Zucht europaweit als eine der besten galt. Doch Eduard wurde vor allem als Schriftsteller, Übersetzer und Verfasser von acht Bänden über die mittelalterliche Geschichte der Habsburger bekannt. Allerdings drohte ihm zu Ende seines Lebens der Bankrott und er war außerdem auch krank. Deswegen ließ Eduard Maria den Schlossbesitz in Grätz an den ältesten seiner Söhne, einen ranghohen preußischen Offizier übertragen. Der Schlossverwalter:

Foto:  Schlossverwaltung Hradec nad Moravicí

„Er hieß Felix Lichnowsky und machte Karriere vor allem als preußischer Abgeordneter der deutschen Nationalversammlung in Frankfurt am Main. 1848 erlebte er die turbulenten Verhandlungen über die Frage der nationalen Zugehörigkeit von Schleswig-Holstein mit. Am 18. September kam es in Frankfurt deswegen zu einem Volksaufstand der Stadtbevölkerung. Bei einem Erkundungsritt wurde Felix Lichnowsky von einer revoltierenden Menschenmasse verfolgt und letztlich in einem Hauskeller tödlich verwundet. Einen Monat später wurde sein Leichnam nach der Exhumierung auf Wunsch seiner Mutter nach Grätz überführt und in der Kapelle auf dem hiesigen Friedhof beigesetzt.“

Erst da wurde aber bekannt, dass Felix Lichnowsky sein Vermögen kurz vor seinem Tod mündlich seiner um 21 Jahre älteren Freundin Dorothea Herzogin von Dino vermacht hatte. Sie war die jüngste Schwester von Katharina Wilhelmina, Fürstin von Sagan, bekannt aus dem Buch „Die Großmutter“ der tschechischen Autorin Božena Němcová.

Ungewöhnliches Eingangstor

Zwei Jahre später kaufte Felix´ Bruder Robert Lichnowsky, Domherr im mährischen Olomouc / Olmütz, ihr das Schloss wieder ab. Nach seinem Wechsel in den Vatikan übernahm es 1857 der zweitälteste Sohn von Eduard Lichnowsky, Carl Maria. Er war befreundet mit dem Komponisten Franz Liszt, der mehrmals in Grätz konzertierte. Ebenso wie sein Bruder war auch Carl Maria ein politisch engagierter Anhänger Preußens. Seine politischen Ambitionen projizierte er unter anderem in die bauliche Gestaltung seiner Residenz.

Rotes Schloss | Foto: Schlossverwaltung Hradec nad Moravicí

„Im Lauf von rund 40 Jahren ließ er das Schlossareal um wichtige neue Bauten erweitern. Von seinen enorm kostspieligen Plänen konnte aber letztlich nur ein Teil realisiert werden. Der Schlossherr holte preußische Architekten auf das Gebiet der Habsburger Monarchie und damit auch die historisierende sogenannte Backsteingotik. So entstanden das Rote Schloss sowie das in der hiesigen Gegend ungewöhnliche Eingangstor mit runden Türmen und einem das Schlossgelände umschließenden Mauerwerk. Der Wirtschaftsteil des Roten Schlosses beherbergte die fürstlichen Stallungen und ein Kutschenlager. Dies jedoch zum großen Ärger der örtlichen Bewohner, die sich über den Gestank des Stallmists beschwerten. Das letzte und zugleich höchste Bauwerk, das 1887 ebenfalls in seiner Regie hinter dem Schloss entstand, war der Weiße Turm. Geplant war er als einer von zwei Zwillingstürmen, die zusammen einen neuen Haupteingang zum Schloss bilden sollten“, so Radomír Přibyla.

Dieses Vorhaben wurde aber nicht umgesetzt. 1901 starb Karl Lichnowsky in Grätz im Alter von 81 Jahren. Er war der einzige, der von den vier Brüdern verheiratet gewesen war und Kinder hinterließ. Das Erbe trat Karl Max Lichnowsky an. Er war einige Jahre lang als Diplomat zum Beispiel in Wien, Stockholm oder Peking tätig. 1912 wurde er von Kaiser Wilhelm II., der zweimal Grätz besuchte, als Botschafter nach London entsandt. Doch nach dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand im Juli 1914 in Sarajevo fiel es ihm schwer, sich mit dem drohenden Krieg in Europa abzufinden. Als Botschafter in London plädierte er für die Erhaltung friedlicher Beziehungen zwischen Deutschland und Großbritannien. Gleich nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde er von seinem Posten abberufen. Zudem verlor er seinen Sitz im Preußischen Herrenhaus. In der Folge zog sich Karl Max Lichnowsky aus der aktiven Politik zurück und kehrte gemeinsam mit seiner Ehefrau Mechtilde nach Grätz beziehungsweise an den nahen Familiensitz Kuchelna zurück. Schlossverwalter Přibyla:

„Sie war die bedeutendste Intellektuelle aller Frauen in der Geschichte des Grätzer Schlosses. Sie war eine begabte Pianistin, vor allem aber wurde sie als Autorin mehrerer Romane und Essays bekannt. Ihr Ehemann Karl Max war Kunstsammler und Mitglied verschiedener künstlerischer und wissenschaftlicher Vereine. Beide gehörten zu den ersten Bewunderern und Sammlern von Picassos Werken. Mechtild war zum Beispiel mit dem österreichischen Schriftsteller und Literaturkritiker Karl Kraus befreundet sowie mit dem Dichter Rainer Maria Rilke und dem Maler Oskar Kokoschka, der sie sogar portraitierte. Das Bild kann man bei uns im Schloss bewundern.“

Karl Max Lichnowsky starb 1928 in Berlin, bestattet wurde er aber in Grätz. Seine Witwe, die ihn um 30 Jahre überlebte, verließ jedoch den Ort. Sie starb in London, wo sie im nahen Friedhof Brockwood beigesetzt wurde. Der älteste Sohn des Ehepaars und der letzte Schlossbesitzer von Grätz, Wilhelm Lichnowsky, flüchtete im April 1945 kurz vor der Ankunft der sowjetischen Soldaten mit seiner Familie nach Brasilien, wohin bereits sein jüngerer Bruder Michael emigriert war. Ihre Nachfahren leben bis heute in dem südamerikanischen Land.

9
49.86401558987374
17.8744498696623
default
49.86401558987374
17.8744498696623
schlüsselwort: