Begegnungen mit dem Prager Frühling 1968 – Deutsche erzählen

August 1968 in Prag

Auf der einen Seite des Eisernen Vorhangs die Studentenrevolten, auf der anderen Seite bereits leise Resignation. So sah es in den beiden deutschen Staaten aus, während 1968 der Prager Frühling erblühte. Aus beiden Ländern reisten Menschen in die Tschechoslowakei, um dort den Aufbruch aus dem Stalinismus zu erleben. Wie erinnern sich die Deutschen an die Erlebnisse in dem Nachbarland? Antworten darauf haben Zeitzeugen gesucht, die die Brücke/Most-Stiftung anlässlich des Gedenkens an den Prager Frühling vor 40 Jahren nach Dresden geladen hatte.

Hans-Jürgen Fink studierte Ende der 60er Jahre in Köln Betriebswirtschaft. Der heutige Journalist beschäftigte sich damals wissenschaftlich mit dem Umbruch in der Tschechoslowakei.

„Es muss Ende März, Anfang April 1967 gewesen sein, dass ich nach Prag fuhr. Ich wollte dort meine wissenschaftliche Arbeit über die wirtschaftlichen Reformen in der damaligen ČSSR dort fortsetzen wollte. Ich bin dann in den Strudel des Prager politischen Frühlings geraten, der ja im Januar 1968 begann. Dann ist ja sozusagen alles über einen hergestürzt“, erzählt Fink.

Der Leipziger Sozialhistoriker Hartmut Zwahr erlebte die Aufbruchstimmung aus der Perspektive eines damaligen DDR-Bürgers. Er fuhr für eine Stippvisite nach Nordböhmen:

„Was mir in Erinnerung geblieben ist, als meine Frau und ich am 10. März 1968 in Liberec / Reichenberg waren: Es war die Bewegtheit in den Straßen, die Tische in den Straßen, hinter denen Leute saßen, die Unterschriften sammelten. Es waren die Transparente mit Texten, die für mich aus Leipzig völlig ungewöhnlich waren: Demokratisierung. Und es war eine Stimmung, die ich erst wieder im Oktober 1989 bei den Leipziger Montagsdemonstrationen in diesem öffentlichen Aufbruch wieder gefunden habe, als ich zu meiner Frau sagte: ´Du Annett, es ist wie in Liberec´.“

Anders als Hartmut Zwahr verbrachte Hans-Jürgen Fink gleich mehrere Monate in der ČSSR. Die Niederschlagung des Prager Frühlings durch den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten erlebte er jedoch nicht mehr vor Ort.

August 1968 in Prag
„Ich bin wie viele andere wenige Tage vor dem 21. August 1968 in Urlaub gefahren. Es war Sommer, die Ferienzeit war da und alle meine tschechischen und slowakischen Freunde waren auch im Urlaub. Entweder machten sie Praktika im Ausland, oder sie waren wie viele weitere nach Mamaia an die rumänische Schwarzmeerküste gefahren, weil man das ohne Devisen konnte. In Mamaia hatten wir uns verabredet und dort habe ich sie dann getroffen. Zwischenrein geschah der 21. August und ich bin dann in diese schrecklichen Familien-Diskussionen hineingeraten. Tag und Nacht überlegten meine Freunde: ´Was machen wir denn jetzt? Fahren wir zurück nach Hause in unsere Heimat, wo unserer Freunde sind, wo wir unser Leben haben, wo wir alles kennen, oder fahren wir in die Ungewissheit des Westens?´ Viele, die im Westen eine berufliche Chance gehabt hätten, und ich kenne viele persönlich, sind dann nach Hause gefahren, aber sie haben eben bitter dafür bezahlt: Es ist eine verlorene Generation gewesen“, fasst der Journalist Hans-Jürgen Fink die Wirkung zusammen, den das Niederwalzen des Prager Frühlings durch die russischen Panzer hatte.

Bei der Veranstaltung, an deren Rand Hans-Jürgen Fink und Hartmut Zwahr aus ihren Erinnerungen gegenüber Radio Prag berichtet haben, stand die Bedeutung des Geschehens in der damaligen Tschechoslowakei für Ost und West im Vordergrund. Der Veranstalter, die Brücke/Most-Stiftung, setzt sich für die Verbesserung und Intensivierung der tschechisch-deutschen Beziehungen ein.

Autor: Till Janzer
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