Bei sich selbst anfangen: Inwiefern kann man das Klima durch eigenes Konsumverhalten beeinflussen?
Wie kann jeder von uns zur Lösung der Klimakrise beitragen? Sei es auf der Ebene des individuellen Verbrauchs oder auf der systemischen Ebene. Dies ist das Thema für die dritte Folge unseres tschechisch-deutschen Klima-Podcasts, über das wir mit Melanie Speck vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie und mit der Leiterin der Umweltorganisation Hnutí Duha, Anna Kárníková, gesprochen haben.
Welche Bereiche unseres Konsumverhaltens tragen am meisten zum Klimawandel bei? Die Wissenschaftlerin Melanie Speck vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie erläutert:
„Das ist natürlich ganz besonders der Bereich Mobilität, das heißt der Individualverkehr. Mit dem PKW unterwegs zu sein, ist ein riesengroßer Faktor für unseren CO2-Fußabdruck und den Ressourcen-Fußabdruck. Im Bereich ‚Wohnen‘ wäre das Wichtigste, auf Ökostrom umzustellen, um die Stromversorgung des privaten Haushaltes ökologischer zu gestalten. Im Handlungsfeld ‚Ernährung‘ liegt der Fokus auf die Reduktion von Fleisch und Fleischerzeugnissen sowie von Milch und Milchprodukten. Dazu gibt es noch viele weitere Möglichkeiten, wie man den privaten Fußabdruck beeinflussen kann, zum Beispiel indem man auf das Fliegen verzichtet – sei es privat oder auch im Job. Oder man berücksichtigt die Empfehlung zur Abschaffung des eigenen Autos, sodass man dann auf Carsharing beziehungsweise auf öffentlichen Nahverkehr setzt.“
In all diesen Punkten stimmt Anna Kárníková, Leiterin des tschechischen Umweltverbandes Hnutí Duha (Bewegung Regenbogen), mit Melanie Speck überein. Ihre Erkenntnisse fasst sie in vier simplen Empfehlungen zusammen.
„Das Auto loswerden, lange Flüge vermeiden, grüne Energie nutzen und sich pflanzlich ernähren – diese Dinge haben den größten direkten Einfluss auf die Emissionen.“
Reduktionspotenzial von 30 Prozent
Die Forscher vom Wuppertal Institut untersuchen auch, inwieweit der individuelle Verbrauch direkt mit den Emissionen zusammenhängt. Das bedeutet: In welchem Umfang wir als Verbraucher die Menge der Emissionen selbst beeinflussen können…
„Wir haben eigene Berechnungen aus unterschiedlichen Forschungsprojekten. Diese zeigen: Wenn die Verbraucher von heute auf morgen ihr Verhalten - wie ich es eben beschrieben habe – sehr umfänglich umstellen würden, dann sollte man durchaus ein Reduktionspotential von bis zu 30 Prozent erreichen können“, so Melanie Speck.
Doch Anna Kárníková mahnt zur Vorsicht. Die Annahme, dass große Emissionseinsparungen allein durch das Verbraucherverhalten erzielt werden könnten, hake an einigen Stellen, sagt sie. Denn dabei werde zu viel von Einzelpersonen verlangt, die große Anstrengungen dafür unternehmen müssten.
„Damit man sich richtig entscheiden kann, braucht man sehr viele Informationen. Einige von ihnen sind nur mühsam zu bekommen. Das schränkt die Vorstellung ein, dass uns nachhaltiger Konsum hilft. Denn dafür sind große Informationsmengen vonnöten, aber auch soziales Kapital. Man muss die Möglichkeit haben, sich im Bekanntenkreis zu informieren. Und auch finanziell ist das aufwendig: Man muss nicht nur Zeit investieren, sondern oft auch einen höheren Preis zahlen. Solange aber nachhaltiger Konsum nicht für alle verfügbar ist, wird er nur einen begrenzten Effekt haben.“
Über die Umweltfreundlichkeit eines Produkts entscheiden zudem oft Details, bei denen man schnell den Durchblick verliert. Den größten Einfluss auf Emissionen hat oft etwas ganz Anderes, als man denken würde. Das ist beispielsweise gut an landwirtschaftlichen Produkten zu sehen.
„Für den größten Teil der CO2-Bilanz eines bestimmten Produkts ist nicht der Verkehr verantwortlich, der uns als erstes einfällt, sondern die Produktion. Wenn ein Produkt zum Beispiel aus der industriellen Landwirtschaft stammt und dafür ein Stück Regenwald gerodet wurde, dann hat es eine sehr schlechte CO2-Bilanz. Exotische Früchte, die unter natürlichen Bedingungen mit ausreichend Sonne und Feuchtigkeit gewachsen sind, können aber manchmal auch umweltfreundlicher sein als Tomaten aus dem Gewächshaus um die Ecke“, erläutert Kárníková.
Und dann gibt es da noch ein Problem, vielleicht sogar das größte. Denn ob unser Verhalten den gewünschten Effekt erzielt, hänge ganz elementar vom gesamten System ab, betont die Leiterin von Hnutí Duha:
„Wenn ich nicht mehr Auto fahre und dafür den Zug nehme, dann ist wichtig zu wissen, ob der Zug überhaupt mit sauberen Ressourcen angetrieben wird. Hier in Tschechien werden Züge zu 50 bis 60 Prozent mit Energie aus Kohlekraftwerken betrieben. Meine persönliche Entscheidung hat dann keinen so großen Effekt. Ich kann auch Müll trennen, aber die getrennten Wertstoffe landen dann zum Großteil auf einer Müllhalde, weil Firmen fehlen, die sie verwerten können. Dann haben meine persönlichen Bemühungen am Ende nur wenig Einfluss.“
Auch das System muss stimmen
Obwohl der Endverbraucher mit seinem Verhalten nur einen kleinen Teil der Emissionen beeinflussen kann, stand er lange Zeit im Zentrum der Aufmerksamkeit. Melanie Speck:
„Politik verlagert sehr gerne die Verantwortung auf den Einzelnen und den Privathaushalt, als dieser eigentlich schultern kann.“
Das Argument, dass jeder bei sich selbst anfangen sollte, lässt sich leicht missbrauchen. Sei es politisch oder wirtschaftlich…
„Lange Zeit haben das vor allem Firmen versucht, die selbst eine unterirdisch schlechte CO2-Bilanz haben. Man wollte die Verantwortung auf die Verbraucher schieben und ihnen zeigen, dass sie mit ihren Entscheidungen etwas bewegen können. Gleichzeitig war das aber der Versuch, einen größeren Systemwandel aufzuschieben“, sagt Anna Kárníková.
Ganz eindeutig sollten wir unsere Aufmerksamkeit also auch auf systemimmanente Probleme richten, die wir mit unserem eigenen Verbraucherverhalten nur schwer beeinflussen können:
„Im Hinblick auf die Treibhausgase ist die Kohleverbrennung eindeutig das größte Problem. Im tschechischen Energiemix stammt ungefähr die Hälfte der Energie aus Kohle. Von dort kommt auch der Großteil unserer Emissionen. Ein Wandel in der Energiewirtschaft ist also eine ganz grundlegende Sache, die notwendig ist, um das Klima zu schützen.“
Die Kohle ist vielleicht das größte, aber lange nicht das einzige Problem. Um die Emissionen deutlich zu reduzieren, muss Anna Kárníková zufolge auch in anderen Bereichen ein Systemwandel erfolgen:
„Aktuell unterstützen wir aus dem öffentlichen Haushalt ganz massiv eine Landwirtschaft, die die Böden zerstört und extreme Emissionen von Treibhausgasen verursacht, vor allem durch intensive Tierhaltung. Das müssen wir in Zukunft auf jeden Fall ändern. Für uns ist das nicht nur wegen der Treibhausgase eine Bedrohung, sondern auch wegen weiterer Aspekte. Wenn der Boden staubtrocken ist, nimmt er kein Wasser mehr auf. Wenn wir Unmengen Düngemittel verwenden, kontaminieren wir damit nach und nach auch unsere Wasserquellen. Zu hohen Emissionen tragen zudem der Verkehr und die Industrie bei. Den Verkehr nehmen viele Menschen in ihrem Alltag wahr. Und gerade dort erwartet uns ein Wandel, weil Verbrennungsmotoren der Vergangenheit angehören werden.“
Aktiv zu werden nützt
Kann eine Einzelperson überhaupt die Industrie oder die Landwirtschaft beeinflussen? Was kann jeder von uns über den eigenen Verbrauch hinaus unternehmen? Welche Möglichkeiten haben wir? Anna Kárníková hat dazu eine klare Meinung:
„Es mag banal erscheinen, aber sich Petitionen anzuschließen, hat wirklich einen Einfluss. Wir bei Hnutí Duha merken, dass es unsere Handlungsmöglichkeiten verbessert, wenn hinter einer Forderung gleich mehrere Zehntausend Menschen stehen. Dabei ist es egal, ob es um die Abkehr von der Kohle geht oder um eine naturnahe Forstwirtschaft. Das würde ich also auf keinen Fall unterschätzen. Gut ist es auch, der Umgebung mitzuteilen, dass man so etwas unterstützt. Man sollte also das eigene Netzwerk nutzen, um ein Bewusstsein für die Sache zu schaffen.“
Es gibt eine ganze Reihe von Organisationen und Initiativen, die sich mit systemischen Problemen befassen und die man auf unterschiedliche Weise unterstützen kann. Melanie Spech vom Wuppertal Institut:
„Feel free, alles zu tun mit meinem Geld, was in irgendeiner Form Nachhaltigkeit unterstützen kann – also NGOs zu unterstützen oder auch eigene Kommunalinitiativen zu gründen. Was ich als einen weiteren Beitrag sehe, wenn man vielleicht nicht Vollzeit arbeitet und das nicht tun muss: sich ehrenamtlich zu engagieren.“
Wichtig ist auch, keine Angst zu haben, Politiker anzusprechen…
„Wenn man aus einer kleineren Gemeinde kommt, kann man sich dort mit dem Bürgermeister oder der Bürgermeisterin darüber unterhalten, wie das Dorf energieautarker werden kann. Mittlerweile haben viele Modernisierungsfonds Angebote direkt für Gemeinden, die auf erneuerbare Energien umsteigen wollen. Man kann seinen Bürgermeister oder seine Bürgermeisterin einladen und darüber diskutieren, ob so etwas vielleicht eine Lösung für die Gemeinde sein könnte“, sagt Kárníková.
Und wenn man Erspartes hat, dass man aufwerten will, sollte man Melanie Speck zufolge Investitionen in grüne Technologien bevorzugen oder in Firmen, die umweltschonend produzieren.
„Es gibt ja drei langjährig existierende Banken, die auch ihre Mitglieder befragen, was denn mit ihrem Sparanleihen überhaupt zu tun ist und in was die investiert werden sollen. Und da kann man als privater Anleger sehr viel tun. Denn es sind zwei Mausklicks, mit denen ich mein Konto ändern kann. Am Ende habe ich den gleichen Komfort wie bei einer anderen Bank auch. Das finde ich ein wichtiges Thema, das bislang nicht so sehr berücksichtigt wird in Deutschland.“
Obwohl auch systemische Probleme bestehen, spielt der individuelle Verbrauch eine große Rolle. Unsere Alltagsentscheidungen haben ganz klar einen Einfluss auf das Klima. Sei es direkt – in Form von CO2-Emissionen – oder indirekt zum Beispiel, weil wir bestimmte soziale Normen stützen. Anna Kárníková:
„Was wir verbrauchen, ist ganz entscheidend von sozialen Normen geprägt. Wenn jemand mit einem großen SUV herumfährt, dabei Benzin verbrennt und das auch noch super findet, kann das an einem Mangel an Informationen liegen. Vermutlich steht dahinter aber, dass ein solches Verhalten gesellschaftlich hoch angesehen wird. Wenn wir es jetzt schaffen, in der Gesellschaft die Vorstellungen von dem, was hoch angesehen ist, zu ändern, kann dies einen großen Effekt haben. Denn ein solcher Wandel hat langfristige Auswirkungen auf unsere gesellschaftlichen Werte.“
Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, wie jeder von uns die Folgen des Klimawandels und des menschlichen Verhaltens für die Umwelt verringern kann. Auf der Ebene des Systems und ebenso individuell. Gleichzeitig sollte man nicht damit rechnen, dass es jedem einzelnen gelingt, alle Empfehlungen einzuhalten.
„Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass man zu sich selbst nicht allzu streng ist. Davon wird man mit der Zeit müde. Es ist gut, wenn jeder für sich selbst festlegt, was seine Priorität ist. Das kann der Klimawandel sein, aber auch die Biodiversität. Oder vielleicht interessiert einen ja der Regenwald des Amazonas. Man sollte seinen Weg finden und diesen gehen“, so die Leiterin von Hnutí Duha.