Bürgerdemokraten vor Zerreißprobe – Innerparteiliches Duell spitzt sich zu

Premier Mirek Topolánek (Foto: ČTK)

Bei den Kreis- und Senatswahlen vor gut zwei Wochen erlebten die tschechischen Bürgerdemokraten ein Debakel. Václav Klaus, Ehrenvorsitzender der größten Regierungspartei und derzeitiger Staatspräsident, fällte sogleich sein Urteil. Die Wahlen seien ein Referendum über den Kurs von Regierungschef Mirek Topolánek gewesen. Dem weht also nun nicht nur Gegenwind von Seiten der sozialdemokratischen Opposition entgegen. Auch in der eigenen Partei gerät er unter Druck.

Premier Mirek Topolánek  (Foto: ČTK)
„Auf dem Dezemberparteitag will ich den Parteivorsitz der Bürgerdemokraten verteidigen. Ich will nicht vorzeitig vor der Arbeit davonlaufen. Zu meiner Arbeit als Parteivorsitzender stehe ich. Ich fürchte nicht, die Rechnungen in weiteren Parlamentswahlen zu bezahlen. Ich betrachte es vielmehr als meine Pflicht, meine Arbeit zu beenden.“

Das sagte Mirek Topolánek am Sonntag auf einer außerordentlichen Pressekonferenz. Mit der Erklärung, seinen Posten als Parteichef der Bürgerdemokraten (ODS) behalten zu wollen, hat sich der tschechische Regierungschef in den vergangenen Tagen geziert. Überrascht war am Sonntag nach Topoláneks Verlautbarung allerdings niemand in der tschechischen Politszene. Auf dem Parteitag der Bürgerdemokraten, der am 5. Dezember stattfinden soll, wird Topolánek nicht der einzige Kandidat für den Parteivorsitz sein. Der Prager Oberbürgermeister Pavel Bém, derzeit noch stellvertretender Vorsitzender der ODS, will Topoláneks Job. Zumindest den in der gemeinsamen Partei.

„Wenn im Schiff unter Deck das Wasser schon einen Meter hoch steht und der Wasserspiegel weiter steigt, können wir auf der Brücke nicht weitersteuern als sei nichts geschehen. Da ist etwas nicht in Ordnung. Wir müssen nun das Wahldebakel analysieren und herausfinden, warum uns die Wähler die rote Karte gezeigt haben. Wir müssen etwas an unserer Politik ändern und den Wählern etwas anderes anbieten.“

Pavel Bém  (Foto: ČTK)
„Etwas anderes“ – damit meint Bém offenbar den Wechsel in der Parteiführung, sonst verliere man auch die nächsten Wahlen. Er traue sich zu, die Bürgerdemokraten im Hinblick auf die Parlamentswahlen 2010 wieder auf Kurs zu bringen, fügte er hinzu.

Bém werden zwar seit geraumer Zeit auch Ambitionen auf den Posten des tschechischen Regierungschefs nachgesagt. Angesichts der bevorstehenden EU-Ratspräsidentschaft, die Tschechien am 1. Januar von Frankreich übernimmt, hält sich Bém indes zurück. Es gilt, innenpolitische Stabilität zu wahren. Nach den Kreis- und Senatswahlen vor gut zwei Wochen, in denen die größte Regierungspartei ODS ein Debakel erlebte, ist die Stabilität ohnehin schon gründlich erschüttert. Ein Misstrauensvotum der oppositionellen Sozialdemokraten überstand Topoláneks Dreierkoalition aus Bürgerdemokraten, Christdemokraten und Grünen zwar denkbar knapp. Aber der Regierungschef ist angezählt.

Pavel Bém versuchte daher am vergangenen Montag, als er seine Kandidatur für den Parteivorsitz bekannt gab, eventuelle Befürchtungen über weitere Turbulenzen zu zerstreuen. Auch unter ihm als Parteivorsitzendem müsse Topolánek Regierungschef bleiben. Eine Spaltung der Partei, die auch die Arbeit in der Regierung beeinträchtigen würde, befürchte er in diesem Fall nicht.


Premier Mirek Topolánek  (Foto: ČTK)
Pavel Bém fühlte sich von Topolánek zur Kandidatur zum Parteivorsitzenden herausgefordert. Über Zeitungen ließ er ausrichten: „Mirek, du wolltest es. Da hast du es!“ In der Tat: Topoláneks Äußerung vor gut anderthalb Wochen, dass er seinen Posten als Parteichef mit Sicherheit verteidigen wolle, für den Fall das Bém kandidiere, hatte die gewünschte Wirkung. Mirek Topolánek gab dann auch im Tschechischen Fernsehen zu, seinen innerparteilichen Kritiker geradezu provoziert zu haben, für den Parteivorsitz zu kandidieren.

„Es gefiel mir nicht, dass er immer irgendwo im Hintergrund geblieben ist und aus dem Verborgenen angriffen hat. Ich habe ihn zu dem Duell also mehr oder weniger eingeladen.“

Topolánek hat es geschafft, Bém aus der Deckung zu locken. Scheinbar will er es nun darauf ankommen lassen,„Mirek Topolánek ist jemand, der seine ganzen Konflikte öffentlich austrägt. Er geht nicht hinter die Kulissen, um durch irgendwelche Hintermänner Konflikte zu lösen oder auszulösen. Pavel Bém hingegen ist jemand der hinter den Kulissen agiert. Damit hängt auch zusammen, dass Topolánek eindeutig auf eine Koalition setzt bei die Handschrift der ODS zwar vielleicht verwässert ist, aber dennoch klar zu sehen bleibt. Und das ist die jetzige Koalition mit den Christdemokraten und vor allem mit den Grünen.“ den Konflikt der seit Jahren zwischen ihm und Pavel Bém schwelt, endlich zu entscheiden.

Außer dem Parteibuch haben beide Politiker nicht viel miteinander gemeinsam. Mirek Topolánek beerbte im Herbst 2002 den heutigen Staatspräsidenten Václav Klaus als ODS-Vorsitzenden. Er war alles andere als Klaus’ Wunschnachfolger. Das Lager der Klaus-Anhänger bei den Bürgerdemokraten baute daher von Anfang an eine innerparteiliche Opposition gegen Topolánek auf. Warum sich dabei Pavel Bém als Hauptkontrahent des ungeliebten Vorsitzenden herauskristallisierte, kann der Politikwissenschaftler Robert Schuster erklären.

„Erstens hat Pavel Bém eine starke Hausmacht hinter sich, nämlich die Prager Bürgerdemokraten. Er ist nicht nur Prager Oberbürgermeister, sondern auch Chef des Prager Regionalverbandes, eines Regionalverbandes, in dem die ODS immer am besten abschneidet bei Wahlen. Und zweitens ist Pavel Bém auch persönlich sehr eng mit Václav Klaus verbunden. Klaus hat ihn seinerzeit – Mitte der 90er Jahre – in die Politik geholt. Václav Klaus und seine Anhänger projizieren jetzt in Pavel Bém ihre Vorstellungen, wie die Partei der Bürgerdemokraten aussehen sollte, und welche Politik sie verwirklichen sollte.“

Doch auch Mirek Topolánek hat eine Reihe gewichtiger Unterstützer in der eigenen Partei, deren politisches Schicksal mit dem seinen verknüpft ist. Auf der Pressekonferenz am Sonntagvormittag, auf der Topolánek seine erneuten Kandidatur für den Parteivorsitz bekannt gab, standen ihm demnach einige Kabinettsmitglieder zur Seite, wie Innenminister Langer, Verkehrsminister Řebiček, Gesundheitsminister Julínek, Landwirtschaftsminister Gandalovič und andere – gleichsam als Demonstration von Topoláneks Hausmacht in der ODS. Mit gespielter Beleidigung reagierte am Sonntagnachmittag Pavel Bém im Tschechischen Fernsehen darauf, nicht zu der Pressekonferenz eingeladen worden zu sein.

„Es ist möglich, dass ich in diese Gruppe, diese Garnitur, die sich da um Mirek Topolánek aufgestellt hat, irgendwie nicht hineinpasse.“

Der ganze Streit erweckt also fast den Eindruck einer politischen Sandkastenfehde. Der Journalistengemeinde in Tschechien ist der Kampf der beiden rivalisierenden Lager in der ODS schon so in Fleisch und Blut übergegangen, dass man darüber eines fast vergessen hat: Wofür stehen die beiden Hauptbeteiligten, Topolánek und Bém, eigentlich inhaltlich? Dazu noch einmal der Politikwissenschaftler Robert Schuster:

Pavel Bém  (Foto: ČTK)
„Pavel Bém macht jetzt nichts anderes als dass er die Linie von Václav Klaus weiter fortführen will. Und der war eher ein liberaler, d.h. liberal in Wirtschaftsfragen und auch relativ liberal in Gesellschaftsfragen.“

Der Hauptunterschied zwischen Bém und Topolánek liegt aber für Schuster im politischen Stil.

„Mirek Topolánek ist jemand, der seine ganzen Konflikte öffentlich austrägt. Er geht nicht hinter die Kulissen, um durch irgendwelche Hintermänner Konflikte zu lösen oder auszulösen. Pavel Bém hingegen ist jemand der hinter den Kulissen agiert. Damit hängt auch zusammen, dass Topolánek eindeutig auf eine Koalition setzt bei die Handschrift der ODS zwar vielleicht verwässert ist, aber dennoch klar zu sehen bleibt. Und das ist die jetzige Koalition mit den Christdemokraten und vor allem mit den Grünen.“

Pavel Bém hingegen wird nachgesagt, dass er eine große Koalition mit den Sozialdemokraten bevorzuge, meint Schuster. Zwar würde auch dabei das Parteiprogramm der Bürgerdemokraten verwässert. Aber eine große Koalition würde, wie Schuster überspitzt prognostiziert, eine Aufteilung des Landes in eine blaue bürgerdemokratische Hälfte und eine orange sozialdemokratische Hälfte bedeuten. Der Vorteil wäre, dass die Machtposition der Bürgerdemokraten dadurch relativ gesichert wäre. Der derzeit so scharfen Konfrontation durch die Sozialdemokraten würde so der Wind aus den Segeln genommen. Politische Ausrichtung als Charakterfrage also.

Unterdessen kämpfen beide Kontrahenten weiter, um ihre Machtposition innerhalb der Partei. Auf der Pressekonferenz am Sonntag kündigte Topolánek an, dass er in naher Zukunft personelle Veränderungen in seiner Regierungsmannschaft vornehmen will. Köpfe werden also rollen bei den Bürgerdemokraten. Und dies noch vor dem Parteitag am 5. Dezember.